Person der Woche

Person der Woche Emerson - Mitwisser oder Dekorationsfigur?

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Nach dem NSA-Skandal haben die USA die deutsche Politik erneut bespitzelt. Berlin schnaubt vor Wut. Der Auftrag soll aus der Botschaft in Berlin gekommen sein. Botschafter Emerson gerät in peinliche Erklärungsnot.

John B. Emerson ist entweder direkt in die Spionageaktion verstrickt oder er hat seinen Laden nicht im Griff.

John B. Emerson ist entweder direkt in die Spionageaktion verstrickt oder er hat seinen Laden nicht im Griff.

(Foto: AP)

Die Stimmung im politischen Berlin schwankt zwischen Fassungslosigkeit und Wut. Selbst der von Amts wegen oberbesonnene Bundespräsident redet Klartext: "Jetzt reicht es auch einmal!" Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnt: "Wir reden hier nicht über Kleinigkeiten", und Innenminister Thomas de Maizière verlangt aus Washington "schnelle, eindeutige Äußerungen" zur neuerlichen Spionage. Die Kanzlerin bezeichnet den Fall dünnlippig als "ernsthaft". Und der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl sagt, was alle denken: Die amerikanische Regierung habe aus der Affäre um die NSA nichts gelernt, Amerika führe sich in Deutschland auf "wie eine digitale Besatzungsmacht".

Nach der Festnahme des mutmaßlichen US-Spions im Bundesnachrichtendienst ist der Botschafter der Vereinigten Staaten, John B. Emerson, ins Auswärtige Amt zitiert worden. Das dürfte ihm auch persönlich peinlich sein. Denn der Botschafter trägt direkte Verantwortung in diesem Fall. Angeblich erhielt der 31 Jahre junge Doppelagent seine Anweisungen direkt aus der Botschaft Emersons.

Nun ist Emerson erst seit einem Jahr Botschafter in Berlin, und womöglich ist er in die laufenden Machenschaften der CIA gar nicht eingeweiht gewesen. Der Schaden aber ist für ihn nicht nur groß, er ist gewaltig. Emerson war von Washington ausdrücklich geschickt worden, um das angeschlagene deutsch-amerikanische Verhältnis wieder zu verbessern. Nun steht er vor einem Scherbenhaufen. Kaum einer in der politischen Klasse Berlin schenkt ihm mehr Vertrauen. Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten werden durch die Spionageaffäre geradezu vergiftet. Besonders schwer wiegen Vorwürfe, dass die Amerikaner dem BND-Mann auch geheime Papiere über den NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags abgekauft haben soll. Der Ausschuss ist seit drei Monaten damit beschäftigt, die Aktivitäten der NSA auf deutschem Boden aufzuklären.

Geistiger Vater von TTIP

Eigentlich ist Emerson alles andere als ein grimmiger Geheimdienst- oder Militärmann. Er kommt als ein sympathischer Wirtschaftsexperte daher, ein deutschlandbegeisterter Freund der Musik und Wohltäter. Jedenfalls ein variantenreicher Mann, denn Emerson hat mindestens vier Gesichter.

Erstens gibt es den Deutschlandfreund Emerson. Er und seine Frau Kimberley kommen aus deutschstämmigen Familien, kennen die deutsche Kultur viel tiefer und genauer als die allermeisten Amerikaner. Emerson begann bereits mit zwölf Jahren, Deutsch zu lernen - auch um die auf deutsch geführten Gespräche zwischen seinem Vater und seiner Großmutter verstehen zu können. Und schon vor zwei Jahrzehnten kam er als junger Staatsjurist auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung nach Deutschland. Kaum ein US-Botschafter zuvor hat so gut nach Berlin gepasst wie er.

Zweitens gibt es den Handelspolitiker Emerson. Der Jurist begann seine Karriere bei einer Anwaltskanzlei für Wirtschafts- und Handelsrecht, dann arbeitete er als Justitiar für die Stadt Los Angeles. Bill Clinton holte ihn schließlich nach Washington in seinen Stab. Er war stellvertretender Leiter des Personalbüros des Präsidenten und Verbindungsbeamter des Präsidenten zu den Gouverneuren. Emerson zeigte vor allem aber systematisches Interesse an internationaler Handelspolitik. Er wurde Koordinator der Wirtschaftskonferenzen, kämpfte um die Zustimmung des Kongresses zum Gatt-Abkommen und organisierte die Handelspolitik gegenüber China. 2010 berief Präsident Obama Emerson in das Beratungskomitee des Präsidenten für Handelspolitik. Er ist einer der geistigen Väter der Idee vom transatlantischen Freihandelsabkommen.

Wusste er Bescheid oder nicht?

Drittens ist Emerson ein erfolgreicher Großkapitalist. Nach seiner Zeit in der Clinton-Regierung wurde er von 1997 bis Juli 2013 Präsident von Capital Group Private Client Services. Capital Group ist eine der größten Investmentgesellschaften und verwaltet Vermögenswerte in Höhe von mehr als einer Billion US-Dollar, darunter auch Aktien vieler deutscher Konzerne. Emerson machte in dem Job ein Vermögen und weil er so gut mit großem Geld umgehen konnte, wurde er schließlich auch Finanzchef der Demokratischen Partei. Er gehörte vor Obamas Wiederwahl 2012 zu den größten Spendeneintreibern in Kalifornien und beschaffte Geld von Hollywood-Stars, Internetmillionären und Unternehmen.

Viertens ist Emerson ein öffentlicher Wohltäter. Er engagiert sich als Vorsitzender des Music Center of Los Angeles County, zu dessen Mitgliedern unter anderem das Los Angeles Philharmonic und die LA Opera zählen. Außerdem war er Direktor des Los Angeles Metropolitan YMCA, Treuhänder von Schulen sowie aktiv bei Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch. Er engagiert sich für den Zoo von Los Angeles ebenso wie für den Kinderschutzbund. Mit seiner Frau Kimberly hat er drei Töchter. Seine älteste Tochter Jacqueline Emerson ist Schauspielerin.

Eigentlich hat er an Geschmeidigkeit, Liberalität und Ausbildung vieles mitgebracht, um den Job in Berlin zur guten Besetzung werden zu lassen. Nun aber steckt er in einer schier ausweglosen Falle. Denn entweder hat Emerson von den Geheimdienstmachenschaften in seiner Botschaft nichts gewußt. Dann wäre er eine Staffagenbesetzung, für Deutschland also kein ernstzunehmender Gesprächspartner mehr, dann würde er zu einer champagnerglas-schwenkenden Dekorationsfigur der Diplomatie. Oder aber er wusste Bescheid. Dann wiederum ist er für jede Form von vertrauensvoller Zusammenarbeit eine unmögliche Person geworden. In beiden Fällen stellt sich die Frage, ob Emerson überhaupt Botschafter bleiben kann. Seine Botschaftsgebäude sind mittlerweile Synonyme für die digitale Besatzung geworden. Im September 2013 musste er gar eine Protestnote beim Auswärtigen Amt einreichen, nachdem ein Hubschrauber der Bundespolizei im Auftrag der Bundesregierung in wenigen Zentimetern Höhe und ganz langsam das Gelände des Frankfurter US-Generalkonsulats überflogen und dabei Gebäude und Dächer fotografiert hatte. Er weiß also um die gespannte Empfindlichkeit des verratenen Freundes.

Nach dem neuerlichen Spionageangriff wird Emerson auch persönlich genau beäugt. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann urteilt zurecht, das ganze sei "ein unerhörter Angriff auf die Freiheit des Parlaments und unsere demokratischen Institutionen insgesamt. Die USA haben jetzt eine Bringschuld". Doch was gehört zu dieser Bringschuld? Die Aufklärung des Falles? Die Ausweisung der Spione? Die Zügelung der NSA? Ein glaubhafter Neubeginn der deutsch-amerikanischen Beziehung? Die Abberufung des Botschafters?

Quelle: ntv.de

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