Person der Woche Joachim Gauck - Der Wahrsager
04.11.2014, 10:09 Uhr
Joachim Gauck ist ein unbequemer, aber glänzender Präsident, weil er immer wieder mutig die Wahrheit sagt. Nun ärgert sich darüber die Linke und will ihm den Mund verbieten.
Joachim Gauck ist kein Leisetreter, kein lächelnder Grüß-August und schon gar kein Ober-Kuscheltier der Republik. Er eckt an, stößt an, kommt an. Seine enorme Beliebtheit basiert nicht auf Opportunismus, sie basiert auf Integrität. Gauck hat nur das Wort als Mittel seiner Macht, und also nutzt er es. Das ist nicht nur sein Recht, es ist sogar seine Pflicht. Denn er redet genau dort, wo andere schweigen. So bekommt Chinas Staatschef schon mal einen Nachhilfekurs in Sachen Menschenrechten. Und selbst einem Putin liest er furchtlos die Leviten wie einem Hühnerdieb, der gerade in Nachbars Garten unterwegs ist.
Kurzum: Gauck ist ein politischer Bundespräsident. Die Bundesrepublik hatte dekorative Präsidenten Walter Scheel, kulturprägende Staatsoberhäupter wie Theodor Heuss, komische wie Heinrich Lübke, aristokratische wie Richard von Weizsäcker, umarmende Präsidenten wie Johannes Rau, Ruck-redende wie Roman Herzog, unglückliche wie Horst Köhler und sogar tragische wie Christian Wulff. Gauck interpretiert das Amt politischer als viele zuvor. Was ihm dabei hilft: Er ist ein großer Rhetor, ein Prediger, ein Meister von Pause und Pathos. Sein größte Stärke aber ist seine Glaubwürdigkeit. Wenn er eine Klage vorbringt, dann klingt es immer wie von ganz innen heraus - so wie es einst bei Luther gewesen sein soll: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders."
Wenn er beispielsweise zur - völlig unpopulären - Erkenntnis gelangt, dass der Sozialstaat zu viele Menschen in Passivität drängt und zu Abhängigen von Staatsgnaden macht, dann ruft er Migranten wie Hartz-IV-Empfängern die fordernde, unbequeme Wahrheit zu: "Ohnmacht kommt auch von innen." Er verlangt mehr Eigenverantwortung, wo die politische Korrektheit nur Fürsorge will. So ein Präsident ist geistig autonom - eine seltene Begabung im politischen Betrieb. Er sagt nicht, was gerade gut anzukommen scheint. Er sagt, was er für richtig hält. Oder auch für falsch.
Bei der Linkspartei kann Gauck nicht schweigen
Für ganz falsch hält er den Marsch der Linkspartei in die Staatskanzlei Thüringens. Die Vorstellung, dass just 25 Jahre nach dem Mauerfall die SED-Nachfolgepartei einen Ministerpräsidenten in Ostdeutschland stellt, ist ihm fast körperlich unangenehm: "Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren", sagte er der ARD. Und als wäre das für einen Bundespräsidenten nicht schon deutlich genug, stellt er die rhetorische Frage: "Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr voll vertrauen können? Es gibt Teile in dieser Partei, wo ich - wie viele andere auch - Probleme habe, dieses Vertrauen zu entwickeln."
Gauck ist Theologe und kommt aus der Bürgerrechtsbewegung der DDR, er hat am eigenen Leib erfahren, was es heißt, von SED-Sozialisten und Stasi-Schergen verfolgt zu werden. Und er leitete später die Stasi-Unterlagenbehörde, bekam also tausendfach tiefen Einblick in das Grauen der SED-Diktatur. Für ihn ist - wie für Millionen Deutsche auch - die Linkspartei eben nicht irgendeine Truppe fröhlicher Linker, es ist die (bloß umbenannte) SED. Und wenn in deren Thüringer Fraktion entlarvte Stasi-Spitzel noch heute führend aktiv sind, wie kann Gauck dazu schweigen? Es würde den Verrat seiner politischer Integrität voraussetzen. Gerade weil aber an der Spitze des Staates ein Mann steht, der Werte hat und Werte offen verteidigt, wird er so respektiert - insbesondere in einer Politik, die immer häufiger im Nebel des Gefälligen und politisch Korrekten versinkt.
Die lauten Forderungen der Linkspartei, der Bundespräsident möge gefälligst still sein, hören sich daher ein wenig nach dem Bellen des getroffenen Hundes an. Denn Gaucks Vorstoß ist in Wahrheit ein würdiges Beispiel für politischen Charakter. Er tut der politischen Kultur in Deutschland einen Dienst, den Opfern der DDR-Diktatur eine Stimme zu geben, die Demokratie nicht ihren ehemaligen Feinden zu überlassen und sich an die dunklen Schatten der Geschichte zu erinnern. Denn die groß-koalitionäre Republik im Wohlfühl-Konsens-Ornat neigt dazu, unangenehme Wahrheiten gar nicht mehr anzusprechen. Vielen in Deutschland ist aber bei der Vorstellung einer Machtübernahme der Linkspartei in Thüringen einfach mulmig zumute - nur kaum einer hat es noch gesagt. Er schon, er ist der Wahrsager-Präsident.
Quelle: ntv.de