Person der Woche: Kamala Harris Wird Kamala Harris zum Martin Schulz der USA?
15.10.2024, 09:27 Uhr Artikel anhören
Die Anfangseuphorie ist verpufft, die Umfragewerte bröckeln, die Kampagne droht zu entgleisen. Verspielt Kamala Harris den Wahlsieg auf der Zielgeraden? Geht es ihr wie Hillary Clinton 2016? Deutsche fühlen sich an die SPD im Jahr 2017 erinnert. Dafür gibt es drei Gründe.
Vor vier Wochen schien Kamala Harris auf einen strahlenden Wahlsieg zuzusteuern. Ihre Nominierung wirkte wie eine Erlösung vom giftigen Altmännerwahlkampf. Sie sorgte für einige Wochen rund um die Convention gar für Begeisterung, ihr Auftritt im TV-Duell war überzeugend. Die Demoskopen von NBC registrierten daraufhin vor einem Monat einen deutlichen Vorsprung der Demokratin von fünf Prozentpunkten. Sie hatte im September 49 Prozent der Wählerstimmen hinter sich, Donald Trump nur noch 44 Prozent.
Doch jetzt dreht die Stimmung wieder. Das gleiche Umfrage-Institut misst inzwischen ein Patt von 48 Prozent für beide. Auch andere Umfragen signalisieren, was reihenweise Analysten erspüren, dass das Rennen um das Weiße Haus außergewöhnlich knapp wird. Schlimmer noch : Eigentlich signalisiert der Trend, dass Kamala Harris die Wahl wohl verlieren wird. "Seit Herbstbeginn hat Harris Momentum verloren", analysiert Meinungsforscher Jeff Horwitt. CNN urteilt: Die Stimmung in den USA droht zu kippen. Die "National Review" berichtet, unter Demokraten mache sich Panik breit.

Harris' Aussichten auf einen Wahlsieg waren schon einmal deutlich besser.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Für Harris wirkt ein landesweites Umfrage-Patt bereits wie eine erahnte Niederlage, weil ein knapper Stimmen-Sieg auf nationaler Ebene ihr kaum reichen wird, um ins Weiße Haus einzuziehen. Hillary Clinton hatte 2016 mit 65,845 Millionen Stimmen deutlich mehr Wähler als Donald Trump mit 62,980 Millionen. Trotzdem wurde er Präsident, weil er die entscheidenden Swing-States eroberte. Auch diesmal liegt Trump plötzlich in sieben von acht Schlüsselstaaten knapp vor Harris. Viele Amerikaner fühlen sich derzeit an 2016 erinnert, weil auch damals Hillary Clinton im Spätsommer die Umfragen anführte und die erste Frau im Weißen Haus greifbar nahe schien.
Das Schwächeln von Harris überrascht viele Beobachter, weil sie eigentlich viele Trümpfe in der Hand hat: Sie verfügt über enorme Spendengelder. Ihre Kampagne kommt an die spektakuläre Marke von einer Milliarde US-Dollar an Spenden heran. Sie weiß die kulturelle Elite des Landes weitgehend hinter sich, sie verkörpert einen Generationenwechsel und auch das sympathische, anständige Amerika. Die Vorstellung, dass mit Harris erstmals eine Frau, eine Schwarze dazu, das Präsidentenamt erobert, verschafft der Kandidatur ebenfalls medialen Rückenwind. Und auch der schillernde Gegenkandidat Donald Trump - ein unverhohlen fieslinghafter, egomanischer Lügenbold - schien es ihr leicht zu machen.
Wenig Zutrauen in Harris' Außenpolitik
Trotzdem stolpert ihr Wahlkampf bedenklich. Das hat drei Gründe.
Erstens hat Harris keine echte Agenda. Nur gegen Trump zu sein, wird nicht reichen, die Mehrheit hinter sich zu versammeln. Selbst die liberale "Washington Post" wirft ihr vor, programmatisch schwach unterwegs zu sein. "Ohne Agenda anzutreten, ist eine richtig gute Strategie für Kamala Harris, um zweite zu werden", ätzt das Blatt über eine Kandidatin, die nicht klarmacht, was sie eigentlich will. So gelingt es ihr auch nicht, sich kraftvoll von Joe Biden und dessen politischen Schwächen abzusetzen.
Angesichts der Wechselstimmung in den USA wirkt Harris' Amtszeit als Vizepräsidentin wie eine Belastung. Dass sie nun in einem Interview mit der ABC-Sendung "The View" nicht eine einzige Sache nennen konnte, die sie anders gemacht hätte als Biden, ist ein arger Fehltritt, den Trump bis zum Wahltag ausnutzen wird. Besonders sichtbar wird das Problem in der Außenpolitik - eigentlich eine Kompetenz-Domäne einer Vizepräsidentin. Laut einer Umfrage des "Wall Street Journal" meinen aber 50 Prozent der Amerikaner, dass Trump den Ukraine-Krieg eher beenden kann als Harris (39 Prozent). Bei der Frage, wer den Nahostkonflikt besser managen kann, liegt Trump mit 48 zu 33 Prozent noch weiter vorn. Bei der illegalen Migration glauben 51 Prozent der Amerikaner, dass Trump die Grenzkrise eher in den Griff bekommen wird. Von Harris glauben dies nur 38 Prozent.
Zweitens unterschätzt Harris die tiefe Wucht des Rechtsrucks in der amerikanischen Gesellschaft. Die Mehrheitsstimmung in den USA - wie in den meisten westlichen Staaten - kippt stärker nach rechts, als man das vor Kurzem noch gedacht hat. Auch die Prioritäten und Themen wandeln sich rasch von Klima-, Geschlechter- und sozialen Teilhabefragen zu Sicherheit, Ordnung und Wohlstand. Selbst das Autoritäre als Haltung gewinnt verblüffend an Akzeptanz. Donald Trumps aggressive Rhetorik verfängt, weil das Harte als habituelle Figur gegenüber dem Konzilianten an Popularität gewinnt. Trumps ungeheure Versprechen, Migranten zu deportieren, US-Handelskonkurrenten mit Zöllen zu überziehen und eine außer Kontrolle geratene Welt mit Autoritarismus in Ordnung zu bringen, scheint im neo-rechten Zeitgeist zu verfangen.
Trump kommt daher sogar mit rassistischen Positionen durch, wenn er etwa davor warnt, dass Außenseiter mit "schlechten Genen" in das Land "eingedrungen" seien oder dass haitianische Migranten in Ohio Haustiere essen würden - wofür es keinerlei Beweise gibt. Das Migrationsthema wirkt wie das Brennglas des kollektiven Rechtsrucks der Amerikaner. In diesem Umfeld findet Kamala Harris keine gute Antwort auf einen Donald Trump, der skrupellos "die größte Abschiebeaktion in der Geschichte der Vereinigten Staaten" ankündigt und in Kriegsrhetorik erklärt: "Wir werden die Grenze schließen. Wir werden die Invasion von Illegalen in unser Land stoppen. Wir werden unser Territorium verteidigen. Wir werden uns nicht erobern lassen."
Drittens leidet Harris an ihrer fehlenden Wirtschaftskompetenz. Derzeit bezeichnen Amerikaner dies aber als mit Abstand wichtigstes Wahlkampfthema. Gallup hat ermittelt, dass bei 52 Prozent der Amerikaner Wirtschaftsfragen sogar einen "äußerst wichtigen" Einfluss auf ihre Wahl haben. In der ABC News/Ipsos-Umfrage sagen 59 Prozent, dass sich die Lage verschlechtere, obwohl der Arbeitsmarkt robust ist, die Inflation und die Zinssätze wieder sinken. "It's the economy, stupid!". Mit diesem Wahlkampf-Slogan gewann Bill Clinton 1992 die US-Präsidentschaftswahlen. Doch diesmal hat Trump das Thema für sich besetzt. 54 Prozent der Amerikaner meinen, Trump habe das bessere Händchen, wenn es um Geld geht.
Und so bleibt Harris zwar, dass sie die Ost- und die Westküste, die Eliten, die Intellektuellen, Frauen, Schwarze und Latinos mehrheitlich hinter sich weiß. Sie hat auch die moralische Integrität auf ihrer Seite. Aber reicht das? Sie findet ihre Themen und Sprache nicht, Zweifel an ihrer Kompetenz werden laut, die Kampagne wirkt neben der Spur des Zeitgeistes und neben dem Lebensgefühl der breiten, nach rechts rückenden Mitte Amerikas - man fühlt sich an SPD-Politiker Martin Schulz 2017 erinnert, der mit enormem Dampf als "Schulz-Zug" in den Wahlkampf startete, aber schneller als gedacht entgleiste.
Quelle: ntv.de