Wieduwilts Woche

Deutschland im PISA-Schock Nichts wird sich ändern: Hurra, hurra, die Schule brennt!

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
So geht's natürlich auch.

So geht's natürlich auch.

(Foto: imago images/Ralph Peters)

Deutschland ist dabei zu verdummen, und ein Ausweg ist nicht in Sicht. Der Föderalismus verdammt die Bildung zur ewigen Zweitrangigkeit.

Die OECD hat es wieder getan und die Bundesrepublik wegen ihrer fortschreitenden Verblödung gepiesackt: Die aktuelle Bildungsstudie bescheinigt dem Land der Dichter und Denker, so miese Schüler zu haben wie nie zu vor, im Rechnen, Schreiben und Lesen.

Wenn jemand am Boden liegt, dann muss man tüchtig nachtreten: Also hat die Kaufmännische Krankenkasse KKH ihrerseits eine Untersuchung über Kinder vorgelegt. Demnach leidet jedes zehnte Kind an Sprachentwicklungsstörungen. Bei den Fünfzehn- bis Achtzehnjährigen lag demnach die Steigerungsrate für logopädische Therapien bei superben 144 Prozent. Das habe viele Gründe, heißt es, einer davon sei aber, dass in Familien lieber mit dem Smartphone gesprochen werde als mit den fleischlichen Existenzgenossen: "Chatten und Liken ist kein Ersatz für direkte Kommunikation."

Der Zustand der Schulen ist ein Desaster. Falls die Ausstattung erlaubt, digital zu unterrichten, kommt ja unweigerlich die Angstbürokratie: Datenschützer setzen alles daran, uns eine Generation von Wunderlingen zu bescheren, die auf obskuren, selbstgebauten Quatschprogrammen angelernt werden, weil sie kein Microsoft benutzen dürfen und dann in der industriellen Realität scheitern.

Bildung hilft gegen praktisch alles

Kurz: Deutschland wird rasant dumm - aber seltsamerweise nicht rasend vor Wut. Warum? Warum fordern nicht gerade Tausende Deutsche ein, was ihr Grundrecht ist, Bildung nämlich, und ziehen mit Transparenten vors Brandenburger Tor? Wissen sie nicht, wo es steht?

Bildung ist schließlich toll. Bildung ist Kortison, Antibiotikum und Steroid in einem: Es hilft gegen praktisch alles. Die Megaprobleme unserer Gesellschaft mögen komplexe Irrgärten sein, aber stets führt ein Weg, wenn nicht sogar der Ausgang, zu dieser Antwort: Bildung. Die Beispiele sind unendlich.

  • Wie schützt sich eine Gesellschaft gegen Desinformation im Internet vorgehen, gegen Propaganda, Lügen, Fakes und Deep Fakes, ohne dabei einen staatlichen Zensurapparat aufzustellen? Durch Bildung!
  • Wie schützen wir uns vor Populismus, Autoritarismus, Rassismus und Antisemitismus? Durch Bildung!
  • Wie gelingt uns ein kluger Umgang mit Notlagen, seien sie pandemie- oder kriegsbedingt? Durch Bildung!
  • Der Rückstand in Mathematik koste bis Ende des Jahrhunderts 14 Billionen Euro, warnt das ifo-Zentrum für Bildungsökonomik. Wie sanieren wir also den Haushalt? Durch Bildung!
  • Wie schaffen wir soziale Gerechtigkeit und faire Aufstiegschancen? Durch Bildung!
  • Wie wird der deutsche Standort attraktiver für Fachkräfte und ihre Kinder? Durch Bildung!
  • Wie finden wir klugen Umgang mit dem Klimawandel? Durch Bildung!
  • Wie schaffen wir es, dass KI nicht als Verblödungserlaubnis missverstanden wird? Durch Bildung!
  • Wie trocknen wir die Ticketverkäufe von Mario Barth aus? Durch Bildung!

Reden heißt nicht Handeln

Politiker wissen das alles, also versprechen sie immer mal wieder: mehr Bildung. Die FDP hat mit dem Thema einen ganzen Wahlkampf bestritten, Bildung gehört in der Sozialdemokratie zur Folklore und die CDU hat sich sogar getraut, mit Karin Prien eine Bildungsministerin zur stellvertretenden Parteivorsitzenden zu machen. Das Bildungsversprechen gehört in politische Texte wie der Blinddarm in den Bauch - und leider sind beide ähnlich effektiv.

Die Schere zwischen Labern und Machen in der Bildungspolitik ist toxisch. Sie schneidet tief ins Staatsvertrauen der Bevölkerung. Doch politische Faulheit ist nicht der Kern des Problems. Reden und Handeln ist deshalb nicht eins, weil der Bund bei Bildung gar nichts zu sagen hat, aber gern mitreden möchte. Wie viele Phänomene, die man nicht gleich versteht, hat auch dieses mit Geschichte und Nazis zu tun.

Die Kulturhoheit der Länder ist ein Gegenentwurf zur zentral gesteuerten Propaganda im Dritten Reich. Und das Föderale steckt uns noch tiefer in den historischen Knochen: Als wir die Legende der Dichter und Denker schrieben, bestand Deutschland aus Feudalstaaten und Reichsstädten, auch in der Weimarer Republik blieben Bildung und Kultur in der Hand der Länder. Erst die Nazis änderten das und das Grundgesetz drehte das Ganze wieder zurück.

Kooperation? Verboten!

Heute herrscht sogar ein verfassungsrechtliches "Kooperationsverbot". Dieses Wort klingt wie eine Behördensatire aus "Per Anhalter durch die Galaxis". An ihm wollten schon viele rütteln, von der Linken über die FDP bis zur SPD und manche Grüne, doch sie scheiterten alle. Landesfürsten machen Landesfürstensachen: Kein Land möchte Hoheit abgeben.

Statt Bildung, Bildung, Bildung gilt vor allem meins, meins, meins. Deutschland lebt seit Jahrzehnten in einer fiebrigen Zuständigkeitsfantasie, in der Gören angeblich anders lernen als Blagen, Pänz anders als Steppkes, Grumbiere anders als Buan und Madln. Nicht einmal das deutsche Bildungssystem kann das Hirn so zugrunde richten, dass es an diesen Unsinn glaubt.

Apropos kulturelle Unterschiede: Reden wir irgendwann einmal darüber, dass in Schulen der Migrantenanteil bei 26 Prozent liegt? Gibt es eine politische Antwort auf diesen Fakt oder überlassen wir das Problem verzweifelten Eltern und der AfD?

Darum ist Bildung kein Megathema

Die föderale Verantwortungsdiffusion öffnete jahrzehntelang den Raum für viele ideologische Experimente auf dem Rücken der Kinder. Der Föderalismus verdammt das Thema Bildung zur ewigen Zweitrangigkeit. Bildung beherrscht keine Wahlkämpfe, Bildung wird nie gefährlich für eine Bundesregierung, kein Bundespolitiker muss für miese Bildungspolitik Verantwortung tragen. Der Bund zeigt auf die Länder - und die zeigen auf den Bund. Ein Bildungsruck wird so kaum durch Deutschland gehen.

Manche Eltern, solche mit Optionen, grübeln allmählich, ob die Bundesrepublik noch der richtige Ort für Kinder ist. Der "Welt"-Korrespondent Robin Alexander berichtet im Podcast "Machtwechsel" von einem Paar, das sich gerade für Singapur als Lebensmittelpunkt entschieden habe, weil es das frisch geborene Kind nicht später in deutsche Bruchbuden schicken will.

Vielleicht ziehen wir statt nach Singapur doch lieber vor das Brandenburger Tor. Das liegt, falls das nicht klar ist, am Pariser Platz, 10117 Berlin.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen