US-Luftangriffe in Syrien "Ein Skandal!? Mag sein."
23.09.2014, 21:13 Uhr
Erstmals fliegt die US-Luftwaffe gemeinsam mit ihren Verbündeten Angriffe gegen Stellungen der IS in Syrien. Der Militärschläge ereignen sich ohne Zustimmung der syrischen Regierung. "Missachtung des Völkerrechts" oder adäquates Mittel im Kampf gegen "pseudo-religiöse Menschenschlächter"? Die Presse diskutiert.
Zu den Luftangriffen der amerikanisch-arabischen Allianz schreibt die Kölnische Rundschau: "Eine leider späte Einsicht, aber zweifellos unumgänglich. Allein mit Luftschlägen allerdings wird man dem Übel dieser Menschenschlächter im Gewand pseudo-religiöser Eiferer auch in Syrien nicht Herr werden können. Da Washington mit Präsident Bashar al-Assad trotz einschlägiger Angebote nicht zusammenarbeiten will, wird die US-Regierung kaum umhin kommen, wie im Irak die kurdischen Peschmerga zu stärken - gegen den Willen und das Agieren des engen Nato-Partners Türkei. Die Frage kurdischer Autonomie oder gar Staatlichkeit für deren Angehörige zumindest in Irak, Syrien und der Türkei drängt sich damit als nächstes Krisenszenario auf die internationale Tagesordnung."
Ob die Luftschläge völkerrechtlich abgesichert sind oder nicht, ist für die Berliner Zeitung angesichts der Umstände in Syrien und Irak nicht von Belang: "Der Friedensnobelpreisträger Barack Obama lässt - unter Missachtung des Völkerrechts - Ziele in Syrien bombardieren. Ein Skandal!? Mag sein. Der weit größere Skandal jedenfalls ist, dass an einem Wochenende 130.000 Menschen vor dem mörderischen "Islamischen Staat" (IS) über die Grenze in die Türkei fliehen mussten, dass eine dschihadistische Soldateska Hunderte Frauen vergewaltigte, die religiösen Minderheiten der Christen und der Jesiden aus ihren Orten vertrieb, Tausende Zivilisten und Soldaten per Genickschuss ermordete, Geiseln die Kehle aufschlitzte."
"Soll sich der Westen nun mit Assad verbünden, um den weit gefährlicheren IS zu besiegen?", fragt die Frankfurter Rundschau. Wie der US-Präsident lehnt das Blatt eine derartige Koalition ab: "Ein Agreement mit Assad böte zwar die Chance, dessen Beschützer Iran in eine Lösung des regionalen Konflikts einzubinden. Der Protest Saudi-Arabiens, wichtigster arabischer Verbündeter der USA in Nahost und Gegner Irans im Ringen um die Hegemonie, wäre gewiss. Vor allem aber wäre ein Bündnis mit dem Diktator von Damaskus, verantwortlich für Folter und Massenmord sowie für die Zerstörung von Homs und Aleppo, eine moralische Kapitulation." Obama gehe zwar einen anderen Weg, dieser, so die Zeitung abschließend, bringe ihn jedoch nicht voran: "Selbst wenn die Strategie - Ausschaltung des IS und Stärkung der Opposition - in einigen Jahren aufginge, was höchst ungewiss ist, wäre man allenfalls so weit, wie man schon einmal war."
Auch die Welt glaubt nicht an einen schnellen Erfolg der ausgeweiteten US-Luftschläge: "Die Luftschläge in Syrien mögen ausreichen, um die Vorwärtsdynamik von IS zu stoppen, um belagerten Dörfern und Städten punktuell beizustehen und die Organisations- und Kommandostruktur der Radikalen zu schwächen. Angesichts des anhaltenden Zulaufes von Extremisten aus der ganzen Welt ist aber schwer vorstellbar, dass es Amerika und seinen Verbündeten allein mit Luftschlägen gelingen wird, IS aus Syrien zu vertreiben." Möglich sei ein lang andauernder Abnutzungskrieg. Die entscheidende Frage sei vielmehr, "ob die Leidensfähigkeit von IS größer sein wird als die Geduld der US-Regierung und vor allem der amerikanischen Öffentlichkeit, die Luft-Kampagne beizubehalten."
Die Süddeutsche Zeitung sieht die US-Regierung im Sog einer Eskalationslogik: "Bekämpft man den IS im Irak, muss man ihn auch in Syrien bekämpfen, weil dort seine Hochburgen liegen. Kämpft man aus der Luft, muss man irgendwann auch am Boden kämpfen? Wenn Obama also an diesem Mittwoch vor den Vereinten Nationen spricht, muss er der Welt die Wahrheit sagen. Die Wahrheit lautet: Ja, die USA haben viele, besonders arabische Verbündete gewonnen und ihre ungeliebte Rolle als Weltpolizist so legitimiert, wie es unter diesen Umständen möglich war." Jedoch gibt die Zeitung zu bedenken: "Der Einsatz in Syrien ist womöglich völkerrechtswidrig. Der Feind ist äußerst zäh und beharrlich und der islamistische Terror wird fortleben, wenn auch vielleicht mit neuem Namen. Und noch immer fehlt jede Strategie, um Syrien zu befrieden und künftig zu regieren."
Zusammengestellt von Aljoscha Ilg.
Quelle: ntv.de