Kanzler Faymann tritt zurück "Glückliches Österreich - das war einmal"
09.05.2016, 21:47 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Österreichs Regierungschef Werner Faymann räumt seinen Posten sowohl als Kanzler als auch in der Partei. Der SPÖ-Vorsitzende erklärt nach acht Jahren seinen Rücktritt. Für viele kommt dieser Schritt viel zu spät. Auch die deutsche Presse kritisiert die Politik des 56-Jährigen. Sie mahnen vor allem einen falschen Umgang mit der rechtspopulistischen FPÖ an und sehen viele Parallelen zur deutschen Bundesregierung.
Die Mitteldeutsche Zeitung aus Halle äußert sich folgendermaßen: "Die Große Koalition hat Österreich einen Aufschwung beschert, wie nur wenige Länder ihn erfahren haben. Aber sie hatte auch das Land unter sich aufgeteilt. Neben ihr hatte Jahrzehnte lang niemand eine Chance. Die Große Koalition war alternativlos." Aber: Je verbissener ein Status quo seine Alternativlosigkeit behaupte, desto prekärer sei er, kommentiert das Blatt. "Politik ist nicht die Verwaltung von Sachen und Menschen. Es ist auch nicht der Versuch, ihnen das Richtige unterzujubeln. Politik muss die Menschen begeistern für die eigenen Ziele."
Die Saarbrücker Zeitung fasst zusammen: "Felix Austria - glückliches Österreich - das war einmal. Schon lange kann man das chronische rot-schwarze Bündnis nicht mehr als 'große Koalition' bezeichnen." Wie in einem politischen Lehrbuch habe dies dazu geführt, dass die Ränder gestärkt wurden, vor allem der rechte. Ein Anlass für die Deutschen zur Schadenfreude bestehe laut der Zeitung aber nicht. "Das Gefühl wird immer stärker, die Alpenrepublik könnte in ihrer Innenpolitik der Bundesrepublik nur ein paar Schritte voraus sein."
"Dieser Rücktritt war folgerichtig", meint die Oldenburger Nordwest-Zeitung. Werner Faymann habe in Österreich mit seiner "Großen" Koalition keine Mehrheit mehr. Neuwahlen lägen in der Luft - oder bisher völlig undenkbare politische Konstellationen. "Die Gründe für die Wiener Verwerfungen sind mit Faymanns Rücktritt ja nicht vom Tisch. Da ist die Asylkrise, die der SPÖ-Kanzler zunächst als treuester Paladin seiner deutschen Kollegin mit angeheizt hat. Als das Wahlvolk die Nase voll hatte, kam die spektakuläre Wende, die ihm viele seiner Genossen übel nahmen. Schwanken im Wind macht eben nicht populär, sondern angreifbar."
Die Berliner Tageszeitung kommentiert: "Werner Faymann hat endlich die Reißleine gezogen. Zu lange hatte er Rücktrittsaufforderungen ausgesessen. Sein abrupter Abgang war die wohl letzte Gelegenheit, erhobenen Hauptes Platz zu machen für jemanden, der eine Erneuerung der SPÖ glaubwürdiger verkaufen kann als einer, der seit fast acht Jahren im Amt ist und seither fast 20 Wahlen verloren hat." Sollte FPÖ-Mann Hofer tatsächlich Bundespräsident werden - und die Umfragen deuten darauf hin -, beginne der Zeitung zufolge eine neue Ära. "Bei den beiden großen Parteien muss man sich darauf vorbereiten, als Juniorpartner mit der FPÖ in eine Regierung zu gehen. Es sei denn, es kommt ein neuer Mann - Frauen sind derzeit nicht in Sicht -, der eine Aufbruchsstimmung einleitet, die der SPÖ neue Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft beschert."
Laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung könne man - abgesehen von Faktoren wie Willens- und Charakterstärke - am politischen Schicksal Faymanns auch gut die Problematik ablesen, die einer großen Koalition innewohne. "SPÖ und ÖVP haben kontinuierlich an Vertrauen, Zuspruch und Wählerstimmen verloren - die Parallele zu Berlin drängt sich auf -, während sich die FPÖ am rechten Rand wählerwirksam als 'echte Alternative' in Szene setzte. Faymanns Nachfolger als Kanzler wie als SPÖ-Chef wird die Auseinandersetzung mit der FPÖ suchen und führen müssen, und zwar offensiv, vernünftig, ohne Scheu." An dieser Auseinandersetzung führe kein Weg vorbei. Überdies sei es gut möglich, dass auch die ÖVP nicht darum herumkomme, den Mann an ihrer Spitze auszuwechseln, schreibt das Blatt.
Zusammengestellt von Lisa Schwesig.
Quelle: ntv.de