Gabriel-Wiederwahl auf SPD-Parteitag "Kommt politischem Selbstmord nahe"
11.12.2015, 19:55 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Die SPD wählt bei ihrem Parteitag in Berlin ihre Führungsmannschaft neu - und verpasst dabei nur ihrem Vorsitzenden Sigmar Gabriel einen Denkzettel. Bei den Wahlen erreichen alle Vize-Vorsitzenden bessere Ergebnisse als der SPD-Chef, der enttäuschende 74,3 Prozent und damit sein bisher schlechtestes Ergebnis einfährt. Gabriel selbst hat seine eigene Sicht auf das Wahlergebnis. Er räumt auf dem Parteitag zwar ein, "abgestraft" worden zu sein, sagt im Interview mit n-tv aber, er glaube, "nichts falsch gemacht" zu haben. Und die Kommentatoren der deutschen Zeitungen? Die schütteln nur den Kopf.
Die Welt schreibt zum Wiederwahlergebnis Gabriels: "Wie unbequem der SPD-Vorsitzende für seine Partei ist, das hat Sigmar Gabriel am Freitag noch einmal eindrucksvoll bewiesen. Er vermied jeden Opportunismus. Er schonte seine Partei nicht, und die Partei schonte ihn nicht. Insoweit waren sowohl die Rede als auch das miserable Wahlergebnis im besten Sinne aufklärerisch." Der Kommentator der in Berlin herausgegebenen Zeitung geht davon aus, dass der nun in die Defensive geratene SPD-Chef "für seine Partei noch anstrengender werden" dürfte: "Darauf deutet die Kampfansage hin, mit der er unmittelbar auf das desaströse Wahlergebnis reagierte. Das klang so, als wolle er noch entschiedener als zuvor für innere Sicherheit, für eine restriktivere Flüchtlingspolitik, für die 'arbeitende Mitte' eintreten."
Die Stuttgarter Zeitung unkt: "Die SPD wird jetzt damit leben müssen, dass die Führungsfrage formal geklärt sein mag, in Wahrheit aber offener ist denn je. Es ist absehbar, dass sie nach den Landtagswahlen im März, die für die SPD kaum zu gewinnen sind, neu gestellt wird. Gabriel hat das Phlegma, das die SPD lähmt, jedenfalls nicht überwinden können. Diese Mehrheit ist deshalb eine seiner größten Niederlagen. Der Union wird's recht sein."
Nach Ansicht des Kölner Stadtanzeigers kommt das Misstrauensvotum für Sigmar Gabriel "einem politischen Selbstmord ziemlich nahe". Die Zeitung fragt: "Welcher Bürger soll eine Partei wählen, die ihrem eigenen Vorsitzenden erkennbar nicht traut? Welcher unentschlossene Wähler soll diesem Mann zur Kanzlerschaft verhelfen?"Nach Ansicht des Kommentators spricht es "für eine enorme Selbstdisziplin und ein großes Verantwortungsbewusstsein des SPD-Chefs, dass er diese Wahl annahm." Wie es mit der SPD nun weitergehe, sei nach diesem Parteitag offener denn je: "Das Projekt 18 Prozent ist an diesem Freitag jedenfalls ein ordentliches Stück vorangekommen."
Ins gleiche Horn stößt die Märkische Allgemeine aus Potsdam. Für sie ist die "Niederlage Gabriels vor allem eine Niederlage der Partei. Vom Parteitag hätte ein Signal der Geschlossenheit ausgehen können. Diese Chance haben die Delegierten vertan. Eine derart zerstrittene Partei, eine Partei, die den eigenen Vorsitzenden so demontiert, wer soll die wählen?"
Für die Süddeutsche Zeitung frönt die SPD mit dem Wahlergebnis "wieder einmal ihrem ausgeprägten Selbstbeschädigungstrieb": "Natürlich muss gerade die SPD intensiv darüber diskutieren, ob sie mehr auf linke Positionen setzen will, oder jene Mitte-Partei sein möchte, die gegenwärtig in einer Existenz als Minderheitspartner in der Großen Koalition gefangen zu sein scheint. Aber die Sozialdemokraten trennen eben nicht zwischen diesen inhaltlichen Debatten und dem Persönlichen." Für den Kommentator gilt als ausgemacht, dass sich der Richtungskonflikt in der SPD mutmaßlich 2017 bei der Bundestagswahl entscheiden wird. "Ob Gabriel mit diesem Ergebnis überhaupt noch die Kanzlerkandidatur anstrebt, ist ungewiss. Die SPD jedenfalls hat sich an diesem Freitag zielsicher in beide Beine geschossen."
Für die Abendzeitung aus München ist das Wahlresultat ein Ergebnis "quasi mit Ansage": "TTIP, Vorratsdatenspeicherung, Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien: Es sind einfach zu viele Kröten gewesen, die Sigmar Gabriel der SPD-Basis zuletzt servierte. (…) Verständlich aus der Sicht der Delegierten, die eher von Rot-Rot-Grün träumen als immer wieder Juniorpartner in einer Großen Koalition sein zu müssen. Aber auch vernünftig?", fragt das Blatt aus Bayern. Immerhin gebe es auch einige Erfolge (aus SPD-Sicht) zu vermelden: "Mindestlohn, Rente mit 63, Mietpreisbremse und Frauenquote zum Beispiel. Eine Distanz zwischen Partei und Steuermann ist zwar nichts Ungewöhnliches in der SPD - siehe Gerhard Schröder und Helmut Schmidt. Der große Unterschied: Sie haben Wahlen gewonnen. Gut möglich, dass die Demontage des ungeliebten Vizekanzlers erst begonnen hat. Horst Seehofers und Angela Merkels Schadenfreude dürfte sich jedenfalls in Grenzen halten: Alle drei Parteichefs der Großen Koalition sind angeschlagen. Angesichts einer der größten Krisen des Landes mehr als eine Randnotiz".
Zusammengestellt von Susanne Niedorf
Quelle: ntv.de