EU-Gipfel in Brüssel "Man muss sich sorgen um dieses Europa"
18.12.2015, 20:00 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Es wird höchste Zeit: Die Zahl der Flüchtlinge weltweit steigt in diesem Jahr auf den höchsten Stand aller Zeiten. Insgesamt sind mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Für die EU wird der Ansturm zur Belastungsprobe. Wie soll Europa mit den Flüchtlingsmassen umgehen? Die EU ist gespalten und auch der Gipfel in Brüssel bringt keinen Durchbruch. Die Kommentatoren der deutschen Zeitungen finden das beunruhigend.
Die Westfälischen Nachrichten fassen den EU-Gipfel zusammen: "Vom Pomp vergangener EU-Gipfel ist in Brüssel nichts mehr zu spüren. Nicht einmal einen inoffiziellen Sieger gibt es, der sich am Freitag vor den Kameras feiern lassen will. Flüchtlingskrise und Briten-Reformstress: Die 28 Staats- und Regierungschefs ringen mühselig um Kompromisslinien. Von Hoffnung, von gutem Willen ist die Rede - nach diesem Krisenjahr 2016." Und dennoch überziehe "große Ernüchterung (…) den alten Kontinent: 'Ich mache mir keine Illusionen', so Kommissionspräsident Juncker mit Blick auf das neue Jahr. Das klingt deprimierend." Deshalb, so der Appell des Kommentators aus Münster, müsse Europa "zur Besinnung kommen. Frieden, Freiheit, Wohlstand: All das steht jetzt auf dem Spiel."
In welch tiefer Krise die Europäische Union steckt, lässt sich nach Ansicht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung daran ablesen, "dass sie nach ihrem Brüsseler Gipfeltreffen eine Schlusserklärung veröffentlichen musste, die in weiten Teilen eine Selbstanklage ist. Nichts funktioniert richtig: die Sicherheitskontrollen an der Außengrenze nicht, die Einrichtung von Registrierzentren für Flüchtlinge nicht, die Prüfung ihrer Identität nicht, ihre Umsiedlung in Europa nicht, auch nicht ihre Abschiebung und die Bekämpfung des Schleusertums." Am Ende sei die Erklärung der "Offenbarungseid eines ganzen Kontinents, der nicht den politischen Willen aufbringt, eine eigentlich lösbare Aufgabe zu meistern: seine Grenzen zu sichern und einen beispiellosen, aber im Prinzip immer noch steuerbaren Flüchtlingsstrom in Bahnen zu lenken, die für alle Beteiligten verkraftbar sind".
Der Kommentator des Mindener Tageblatts hat "den Eindruck, dass es dort, wo es bisher schon immer hart an die Substanz ging, nun fast keine mehr gibt. Die Flüchtlingskrise, die britischen Sonderwünsche, das Grenzproblem, nicht zuletzt aber auch die in Osteuropa schon Wähler-Mehrheiten findende Unwilligkeit, zentrale Werte der europäischen Demokratie überhaupt zu akzeptieren, zerbröseln das Fundament - derweil in den Kernlanden der EU gefährlicher Populismus von innen heraus angreift. Man muss sich sorgen um dieses Europa. Es gibt nur das eine."
Der Tagesspiegel wirft einen Blick auf Deutschland und mahnt: "Die Flüchtlinge sind ja nun da. Sich ein Deutschland ohne sie zu wünschen, wird bald nur noch rückwärtsgewandte Utopisten kennzeichnen. Die Sehnsucht nach einem weniger komplizierten Gestern aber kann die akute Aufgabe, Gegenwart und Zukunft in einem Deutschland mit Flüchtlingen zu gestalten, nicht verdrängen." Die Zeitung aus Berlin wünscht sich "etwas mehr Plan, wie das geschehen soll". Das wäre schön, heißt es. Zudem: "Etwas weniger Schwarzmalerei, warum das nicht gelingen kann, wäre ebenfalls schön." Am Ende stärkt das Blatt Kanzlerin Angela Merkel den Rücken: "Auch die Wiedervereinigung war ein Mammutprojekt. Ob sie richtig oder falsch war, interessierte schon kurz nach dem 3. Oktober 1990 niemanden mehr."
Zusammengestellt von Susanne Niedorf
Quelle: ntv.de