Pendlerpauschale Die meisten gehen leer aus
12.04.2007, 08:06 UhrZu den vornehmsten Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts gehört der Schutz von Minderheiten. Doch diesmal hofft nahezu die gesamte Arbeitnehmerschaft der Republik auf Hilfe aus Karlsruhe. Zwei Finanzgerichte halten die seit Jahresanfang geltende Kürzung der Pendlerpauschale für grundgesetzwidrig und haben den Fall den Karlsruher Richtern zur Prüfung vorgelegt.
Den Anfang machte das niedersächsische Finanzgericht, Ende März folgte das Finanzgericht Saarland. Aus ihrer Sicht verletzt die Neuregelung, wonach seit dem 1. Januar die Pauschale von 30 Cent pro Kilometer erst vom 21. Entfernungskilometer an abgesetzt werden kann, den Grundsatz der Gleichbehandlung. Per "Richtervorlage" schickten sie den Fall nach Karlsruhe. Die Niedersachsen machten Nägel mit Köpfen und verpflichteten das Finanzamt gleich zur Eintragung des vollen Freibetrags auch für die ersten 20 Kilometer. Der Bund der Steuerzahler rät den Arbeitnehmern deshalb, gegen die Kürzung des Freibetrags Einspruch zu erheben.
Ob das höchste deutsche Gericht noch in diesem Jahr darüber entscheidet, ist ungewiss. Steuerzahler müssen aber vorerst nicht fürchten, Ansprüche einzubüßen. Sollte die Kürzung in Karlsruhe gekippt werden, könnten die Betroffenen nächstes Jahr gegen ihren Steuerbescheid 2007 vorgehen und die nachträgliche Anerkennung der vollen Pendlerkosten fordern. Verzögert sich die Entscheidung über 2008 hinaus, rät der Steuerzahlerbund zum Einspruch, falls die Finanzämter nicht von sich aus vorläufige Bescheide verschicken.
Gerichte streiten
Die Neuregelung hat dazu geführt, dass die große Mehrheit der Pendler von ihrer Fahrt zum Betrieb überhaupt nichts mehr beim Fiskus absetzen können. Beim Mikrozensus 2004 machten laut Statistischem Bundesamt gut 31 der mehr als 35 Millionen Erwerbstätigen Angaben zu ihrem Pendlerverhalten. Ergebnis: Nur rund fünf Millionen davon fahren mehr als 25 Kilometer bis zum Arbeitgeber. Der große Rest hat kürzere Strecken und ist daher überwiegend voll von der Kürzung betroffen. 15 Millionen fahren sogar weniger als zehn Kilometer zur Arbeit.
Das Hauptargument der Finanzrichter lautet: Die Fahrtkosten sind notwendig, um überhaupt Einkünfte erzielen zu können - der Arbeitnehmer könne sich diesen Aufwendungen nicht entziehen. Damit widerspreche die Kürzung der Pendlerpauschale dem Prinzip der "Besteuerung nach Leistungsfähigkeit". Mit anderen Worten: Der Fiskus nimmt dem Bürger Geld aus der Tasche, das er längst für Benzin oder Bahntickets ausgegeben hat - und zwar berufsbedingt.
Tatsächlich werden Fahrten zum Arbeitsplatz, mit wechselnden Regelungen, seit mehr als acht Jahrzehnten als notwendige Ausgaben steuerlich anerkannt. So sprach auch das Bundesverfassungsgericht vor fünf Jahren von einer "Grundentscheidung des deutschen Einkommensteuerrechts, die steuerrechtlich erhebliche Berufssphäre nicht erst "am Werkstor" beginnen zu lassen".
Gesetzgeber hat großen Spielraum
Gerade von dieser "Grundentscheidung" wollte die große Koalition abrücken: Von nun an soll der Job erst "am Werkstor" beginnen. Wie der Arbeitnehmer dorthin kommt, ist Privatsache. Das Finanzgericht Baden-Württemberg hält die Pendlerpauschale deshalb im Gegensatz zu den Kollegen im Norden und Westen für verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber genieße im Steuerrecht beträchtliche Gestaltungsmöglichkeiten und habe deshalb auch die Freiheit zur Einführung des Werkstor-Prinzips, argumentierten die Richter Anfang März in einem Urteil. Der Münchner Steuerrechtsprofessor Wolfgang Schön sieht hier ebenfalls einen recht großen Spielraum.
Weil es in beiden Fällen um berufstätige Ehepaare ging, die zu ihren Jobs viele Kilometer in verschiedene Richtungen fahren müssen, brachten die niedersächsischen und saarländischen Finanzrichter zusätzlich den im Grundgesetz garantierten Schutz der Ehe ins Spiel. Ein Gedanke, der den Verfassungsrichtern bekannt vorkommen wird: Im Jahr 2002 erklärten sie die Kosten einer doppelten Haushaltsführung für langfristig steuerlich absetzbar, weil auch die Doppelverdiener-Ehe verfassungsrechtlichen Schutz verdiene. Das, so die beiden Finanzgerichte, müsse für pendelnde Ehepaare erst recht gelten.
Quelle: ntv.de