Deutsche im Ausland Gefragte Gastarbeiter
18.12.2006, 12:20 UhrAls seine Sparkasse im sauerländischen Attendorn Stellen abbaute, war Sebastian Lüsebrink als einer der ersten dran. "Das ging strikt nach Sozialplan, und da stand ich -jung, unverheiratet und kinderlos -ganz oben auf der Liste", erzählt der 25-Jährige. Nach drei Jahren Banklehre und zwei Jahren als Kundenberater in einer kleinen Filiale drohte ihm auf einmal die Arbeitslosigkeit. Das war vor etwa einem Jahr. Heute geht es dem jungen Banker besser denn je, wie er selbst sagt. Er hat eine neue Beschäftigung gefunden - in Österreich.
Besser bezahlt, mehr Verantwortung und eine nach eigenem Bekunden "hervorragende" Arbeitsatmosphäre - Lüsebrink schwärmt von seiner Stelle. Die genossenschaftliche Bank im Kleinwalsertal, nur wenige Kilometer von Oberstdorf entfernt, bietet ihren Mitarbeitern sogar ein eigenes Fitnessstudio. Jeden Tag haben die Angestellten frisches Obst auf ihrem Tisch stehen. Und Lüsebrink wohnt in einer bankeigenen Wohnung -30 Meter vom nächsten Skilift entfernt.
So wie Lüsebrink zieht es immer mehr Deutsche ins Ausland. "Die Schweiz und Österreich sind die beliebtesten Arbeitsländer für die Deutschen", sagt die Sprecherin der Zentralen Arbeitsvermittlung (ZAV) in Bonn, Sabine Seidler. In nahezu allen Branchen haben Deutsche in den Alpenländern mittlerweile Jobs gefunden. "Es sind die so genannten deutschen Tugenden wie Fleiß, Gründlichkeit und Ausdauer, die deutsche Arbeitnehmer im Ausland so begehrt machen." Hinzu komme die hervorragende Ausbildung. Allein die ZAV hat im vergangenen Jahr fast 13 000 Deutsche ins Ausland vermittelt.
Guido Fröschke, Jugendsekretär der IG Metall in Neubrandenburg, kennt zahlreiche junge Menschen aus dem Nordosten Deutschlands, die nach Skandinavien gegangen sind. "Es sind bislang nur wenige zurück gekommen." Ein Grund für den Erfolg sei die Vorbereitung durch das in Greifswald ansässige Schwedenkontor. Gefördert aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF), bekommen Interessenten hier zahlreiche Informationen über die nordischen Länder, Sprachkurse und praktische Hilfe. In anderen Bundesländern gibt es ähnliche Angebote.
Um unproblematisch eine Stelle in EU-Ländern zu bekommen, ist eine europäische Staatsbürgerschaft unabdingbar. "Die Interessenten sollten unbedingt darauf achten, dass ihr Personalausweis noch gültig ist", sagt Fröschke. Grundsätzlich dürfen Deutsche in den 15 alten Mitgliedsländern der Europäischen Union ohne ausdrückliche Erlaubnis arbeiten. In den neuen Mitgliedsländern gelten Übergangsregeln.
Für Sebastian Lüsebrink war der Wechsel nach Österreich viel einfacher als erwartet. "Meine Bank hat fast die gesamte bürokratische Arbeit übernommen", sagt er. Das bestätigt auch Fröschke: "Die Arbeitgeber in Skandinavien helfen zumeist, wo sie nur können." Kein Problem ist nach Ansicht von Fröschke der Wechsel in ein anderes Sozialsystem. Die in Deutschland erworbenen Rentenversicherungszeiten würden in anderen europäischen Ländern angerechnet. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld in Deutschland verfalle aber nach einem Jahr.
Wer mit dem Gedanken eines Wechsels ins Ausland spielt, hat viele Möglichkeiten, sich zu informieren. Sabine Seidler rät zu einem Blick ins Internet. Die Bundesagentur für Arbeit bietet dort auf den Seiten www.europaserviceba.de einen Überblick über zahlreiche europäische Länder und informiert über die Anforderungen auf den jeweiligen Arbeitsmärkten. Nach Angaben der ZAV soll das Angebot auf andere Kontinente ausgedehnt werden.
Allerdings warnt Seidler vor zu großen Erwartungen. "Jeder sollte sich selbst fragen, ob er ein Typ dafür ist, seine Heimat zu verlassen." Außerdem würden viele vergessen, dass Gastarbeiter keine Touristen sind. "Die schöne Urlaubswelt muss sich nicht auch als schöne Arbeitswelt präsentieren", sagt Seidler. Zudem sollte jeder, der mit dem Gedanken spielt, ins Ausland zu gehen, sich nicht allein von den vielleicht höheren Bruttolöhnen lenken lassen. "Jeder muss für sich angesichts oftmals höherer Lebenshaltungskosten und Steuern selbst ausrechnen, ob es sich lohnt, ins Ausland zu gehen", sagt Gudrun Pieper von der Arbeitsagentur in Sachsen.
Diese Zweifel hatte zunächst auch Sebastian Lüsebrink. Er hatte zwei, drei andere Angebote in Deutschland. Doch die Offerte aus Österreich war die lukrativste. Jetzt, sagt Lüsebrink, müsse nur noch das leichte Heimweh verschwinden.
Informationen: Die Europäische Kommission informiert online unter https://europa.eu.int/eures/home.jsp?lang=de. Die ZAV hat für Interessierte eine Hotline eingerichtet: 0180/100 30 60 (werktags von 8.00 bis 18.00 Uhr für 4,6 Cent pro Minute).
Gefragt sind vor allem Handwerker
Die Chancen für einen Arbeitsplatz im Ausland hängen vor allem von der jeweiligen Branche ab. Leicht haben es vor allem Handwerker, so Gudrun Pieper, Leiterin des Europaservices der sächsischen Arbeitsagentur in Chemnitz. Das gelte gerade in Skandinavien und Großbritannien. Ärzte würden europaweit gesucht. Auch die Nachfrage nach Bürofachkräften und Erzieherinnen sei groß - allerdings seien dies Jobs, die entsprechende Sprachkenntnisse erforderten. Wer nur für eine kurze Zeit in den Süden möchte, habe im Sommer Chancen in Urlaubsländern wie Spanien oder Griechenland als Animateur oder Reiseleiter.
Von Erik Nebel, dpa
Quelle: ntv.de