Studie zu anonymisierten Bewerbungen Karrierebremse Personalbüro
16.06.2011, 18:26 Uhr
Viele Jobs sind für bestimmte Arbeitssuchende unerreichbar.
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Können anonymisierte Bewerbungen helfen, Benachteiligung bei der Jobvergabe zu verhindern? Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes glaubt das jedenfalls und will das mit einer Studie auch beweisen. Erste Zwischenergebnisse zeigen jedoch nur, was sowieso schon bekannt war: Nicht das Verfahren ist das Problem, sondern die Personalabteilungen.
Zu alt, zu hässlich, zu ausländisch: Es gibt viele qualifizierte Arbeitssuchende in Deutschland, die sich noch so oft für Jobs bewerben können, sie werden doch nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Denn schon ein Blick auf das Bewerbungsfoto oder die persönlichen Angaben veranlassen die zuständige Personalabteilung, die Mappe unter "P" abzulegen – "P" wie Papierkorb. Das ist nicht fair, aber leider Alltag.

Anonymisierte Bewerbungen können helfen, die erste Hürde zu überwinden...
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Anonymisierte Bewerbungen, wie sie in den USA oder Großbritannien bereits Standard sind, könnten für mehr Chancengleichheit sorgen. Das dachte sich auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) und startete im November 2010 eine Studie zur Machbarkeit anonymisierter Bewerbungen. Fünf Unternehmen, das Bundesfamilienministerium, die Stadtverwaltung Celle und die Bundesagentur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen machen mit. Jetzt wurde ein erstes Zwischenergebnisse vorgestellt.
Das Fazit: "Besonders das Weglassen des Fotos trägt nach Angaben der Personalverantwortlichen zu einer Fokussierung auf die Qualifikation bei", heißt es im Zwischenbericht. Anonymisierte Bewerbungen seien absolut möglich und in vielen Fällen sogar komfortabel, erklärt die Leiterin der ADS, Christine Lüders.
Zwischenergebnis: Ohne Foto geht es auch

... aber spätestens beim Gespräch ist man den Vorurteilen der Personaler ausgeliefert.
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Das Problem ist nur: Das war auch vorher schon klar. Dass Personaler ohne Hinweise auf Herkunft, Alter und Geschlecht des Bewerbers oder der Bewerberin plötzlich nur noch auf die Qualifikationen schauen, kann kaum überraschen – mehr steht in einer Bewerbung nämlich auch nicht drin. Und dass das Weglassen von Informationen im Zweifel schneller geht und technisch machbar ist, ist auch keine bahnbrechende Erkenntnis. Tatsächlich bestätigt die Studie der ADS nur eines: Das Problem bei Bewerbungen liegt nicht beim Verfahren selbst, sondern bei den Leuten, die am Ende entscheiden. Und vor deren Vorurteilen schützen letztlich auch keine anonymisierten Bewerbungen.
Insgesamt wurden für die Studie bisher 4000 Bewerbungen von den acht teilnehmenden Arbeitgebern anonymisiert durchgeführt. Ausgeschrieben waren 111 Jobs für Nachwuchskräfte, Fachkräfte und Führungskräfte, so Lüders. Vier unterschiedliche Methoden standen zur Verfügung, neben einem standardisierten Formular auch drei Methoden, bei denen die persönlichen Informationen elektronisch blockiert oder vom Bewerber selbst geschwärzt wurden. Verzichtet wurde jeweils neben dem Bewerbungsfoto auf Name, Geschlecht, Herkunft, Alter, Behinderung und Familienstand der Bewerber.
"Alle Stellen konnten besetzt werden", erklärt Lüders stolz. Die Befürchtung der Wirtschaft, man könne ohne persönliche Angaben keine geeigneten Kandidaten finden, sei damit widerlegt. Das standardisierte Bewerbungsformular habe sich "als der Königsweg" der Methoden herausgestellt, so Lüders. Je präziser die Arbeitgeber die Stelle ausschrieben, desto genauer sei das dafür angefertigte Bewerbungsformular ausgefallen, und desto größer sei die Trefferquote gewesen – selbst ohne Foto und persönliche Daten der Bewerber.
Selbst Ministerium nicht restlos überzeugt

Im Fall der mit "Minuspunkt: Ossi" abgewiesenen Bewerbung bekam der Kandidat vor Gericht Recht.
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Ob nun durch die anonymisierten Bewerbungsverfahren Menschen zum Zuge kamen, die sonst keine Chance hatten, kann Lüders nicht sagen. Erst am Ende der Studie, also in sechs Monaten, könne man eine Aussage darüber treffen, ob vorher abgewiesene Kandidaten öfter zum Zug kamen, vielleicht sogar eingestellt wurden. Hundertprozentig wisse man das aber ohnehin nie – schließlich ist alles anonym.
Auch das Bundesfamilienministerium beteiligt sich an der Studie. Dessen Vertreter aus der Personalabteilung, Frank Plate, meint nicht, dass er durch anonymisierte Bewerbungen andere Kandidaten zum Vorstellungsgespräch einlud, als bisher. Das alte Bewerbungsverfahren in seinem Haus sei ohnehin weitgehend anonym, man habe also wenig verändern müssen. Aber die vom Ministerium getestete anonyme Bewerbungsmethode habe geholfen, noch stärker auf die reinen Qualifikationen zu achten. Warum das nicht auch dann geht, wenn der Bewerber ein Foto beilegt, sagt er nicht.
Warum also führt sein Ministerium nicht einfach sofort nur noch anonyme Bewerbungsverfahren durch? Plate antwortet ausweichend: Man wolle erst die Erkenntnisse der anderen Studienteilnehmer abwarten.
Die Privatwirtschaft ist eher zurückhaltend

Eine Garantie auf Chancengleichheit liefern anonymisierte Bewerbungen nicht.
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Zum Beispiel von der Deutschen Telekom, ebenfalls ein Partner in er Studie. Wer dort nachfragt bekommt eine gedämpft euphorische Antwort. Man sei lediglich aus "reiner Neugier" und "ergebnisoffen" an die Sache herangegangen, so ein Sprecher. Dass man eine der vier neuen Bewerbungsmethoden bald übernimmt, erwartet der Sprecher nicht. Überhaupt wolle man ja nur der ADS helfen, Erkenntnisse zu sammeln. Wie viele und welche Stellen bei der Telekom bisher nach anonymisierten Bewerbungen besetzt worden, weiß er nicht.
Der ebenfalls teilnehmende Kosmetikkonzern L'Oreal lässt umgehend wissen, dass "Vielfalt absolute Priorität" bei der Personalpolitik habe. Deswegen biete man schon seit "mehreren Jahren zweitägige Seminare zum Thema Diversity" an. L'Oreal sei nun gespannt, ob man durch die Teilnahme an der Studie Menschen treffe, "die wir sonst vielleicht nicht kennen gelernt hätten".
Was jedoch solche Überraschungskandidaten im späteren Bewerbungsgespräch davor schützen soll, doch noch diskriminiert zu werden, lässt sich durch anonymisierte Bewerbungen nicht beantworten. Der türkische Jugendliche, die Mitt-Vierzigerin oder der etwas unattraktive Schüler haben höchstens bei der Einladung zum Gespräch eine größere Chance - die er oder sie wegen guter Qualifikationen aber eigentlich ohnehin verdient hätte. Die Entscheidung liegt dann wieder beim Personalverantwortlichen.
Bei L'Oreal läuft das Projekt seit Januar dieses Jahres. Bisher sei genau eine Stelle über anonymisierte Bewerbungen vergeben worden. Eine zweite, identische Stelle habe man dann über den traditionellen Weg vergeben. Auf Nachfrage von n-tv.de erklärt eine Sprecherin von L'Oreal: "Wir wollen dem ganzen aber eine Chance geben."
Quelle: ntv.de