Wer früher stirbt ... Pech für Riesterversicherte
17.12.2008, 07:31 UhrWird ein 35-jähriger Mann statistisch gesehen 82 Jahre alt oder gar 93? Für den Einzelnen mögen Prognosen dieser Art völlig irrelevant sein, der Tod ist schließlich ein unberechenbarer Geselle, der sich um Statistiken nicht schert. Für Rentenversicherungen sind solche Zahlen zum allgemeinen Sterberisiko aber elementar. Denn sie müssen anhand der Lebenserwartung ihrer Versicherten berechnen, wie viel Rente sie auszahlen. Je höher die Lebenserwartung, desto weniger Rente.
Laut statistischem Bundesamt werden die heute 35-jährigen im Schnitt 82,3 Jahre alt. Die Rentenversicherer kalkulieren ihre Beitragssätze dagegen mit einer Lebenserwartung von 92,9 Jahren. Über zehn Jahre Unterschied also - da werden nicht nur professionelle Verbraucherschützer stutzig. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz?
Vorsichtig kalkuliert
Zunächst einmal gibt es methodische Unterschiede. Die Bundesstatistiker errechnen sogenannte Periodensterbetafeln. Anhand der Sterberaten des Bevölkerungsquerschnitts zeigt eine Periodentafel, wie lange eine Person eines bestimmten Alters noch lebt, wenn sich an den heutigen Sterblichkeitsverhältnissen nichts ändert. Weil davon aber auszugehen ist, orientiert sich die Versicherungswirtschaft an Generationensterbetafeln. Darin ist zusätzlich der jeweilige Geburtsjahrgang berücksichtigt. An einer Generationensterbetafel lässt sich beispielsweise die Lebenserwartung einer 1990 geborenen Frau im Jahr 2015 ablesen. Es geht hier also nicht nur um Vergangenheitsbeobachtungen, sondern auch um Voraussagen.
Für die Rentenversicherer trifft diese Voraussagen die Deutsche Aktuarvereinigung, kurz DAV. Drei Sterbetafeln hat die DAV in den letzten 20 Jahren entwickelt, zwei waren rasch überholt, weil die Lebenserwartung schneller wuchs als angenommen. Deshalb hat man bei der jüngsten Tafel, der DAV 2004 R, besondere Vorsicht walten lassen. Nun sind Prognosen bekanntlich schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Eine besondere Herausforderung für die Versicherungsmathematiker ist der medizinische Fortschritt. "Ein Durchbruch in der Brustkrebsbekämpfung könnte beispielsweise die Lebenserwartung von Frauen signifikant erhöhen", erklärt Peter Schwark, Pressesprecher des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gegenüber n-tv.de. Um gegen solche sogenannten demographischen Schocks gewappnet zu sein, kalkuliert die DAV mit Sicherheitspuffern.
Wer profitiert?
Diese Puffer sind sehr großzügig bemessen - zu großzügig, sagen manche. Denn wir erinnern uns: Je höher die angenommene Lebenserwartung, desto niedriger Rentenauszahlung. Schließlich werden die Garantierenten so berechnet, dass das angesparte Geld bis zum Ende des Lebens reicht. Solange die Mehrzahl der Kunden nicht so lange lebt wie angenommen, machen die Versicherungen Überschüsse. "Diese Überschüsse kommen letztlich den Versicherten zugute, denn sie müssen ja ausgezahlt werden", argumentiert Schwark. Ein Viertel der Einnahmen dürfen die Versicherungen allerdings selbst behalten. Und wann die übrigen 75 Prozent auf die Renten aufgeschlagen werden, ist gesetzlich nicht geregelt. Kritiker wie der Versicherungsmathematiker Peter Schramm, selbst Mitglied der DAV, befürchten, dass die Risikoreserven über Jahre hinweg in den Kassen der Versicherungen verschwinden. Diejenigen, die ein Anrecht auf Überschussbeteiligung haben, werden die Auszahlung also unter Umständen gar nicht mehr erleben.
Riesterrentner sterben ärmer
Eine Gruppe von Versicherten kommt bei der Überschussverteilung besonders schlecht weg: Die Riesterrentner. Die Sterbetafel der DAV weicht nämlich auch deshalb so stark von der des Statistischen Bundesamts ab, weil sie von einer anderen Basis ausgeht: Die DAV orientiert sich an den Daten von Rentenversicherten. Und der durchschnittliche privat Rentenversicherte unterscheidet sich von der Gesamtbevölkerung: Er ist vergleichsweise wohlhabend und rechnet mit einem langen Leben - ansonsten würde sich die Sache kaum lohnen. Mit der Einführung der Riesterrente hat die private Rentenversicherung allerdings ihren exklusiven Charakter eingebüßt: Weit über 40 Prozent der Riestersparer haben ein Jahreseinkommen von weniger als 20.000 Euro, sind also Geringverdiener. Die wiederum haben eine geringere Lebenserwartung als Besserverdienende. Das ist in zahlreichen Studien belegt.
Eigentlich müssten deshalb für die Berechnung der Riesterrenten andere Maßstäbe angelegt werden. De facto gibt es aber kaum Unterschiede zwischen den Garantierenten von Riester-Sparern und normalen Versicherten. Die Versicherungswirtschaft argumentiert mit geringen Handlungsspielräumen: "Die BaFin zwingt uns, die aktuelle Sterbetafel anzuwenden", so die verkürzte Aussage des GDV. So ganz stimmt das allerdings nicht, hält Schramm im Gespräch mit n-tv.de dagegen: "Wenn es die Unternehmen begründen, können sie durchaus von den vorgegebenen Richtwerten abweichen." Doch daran dürfte kaum eine Versicherung Interesse haben.
Und so werden auch in Zukunft viele Riestersparer die Auszahlung ihrer Zulagen nicht erleben. Wer riestern möchte, sollte sich also gut überlegen, ob er dafür ausgerechnet eine Versicherung wählt.
Quelle: ntv.de