Premiere nach 60 Jahren Rabbinerweihe in Dresden
14.09.2006, 15:52 UhrErstmals seit dem Holocaust vor mehr als sechs Jahrzehnten sind in Deutschland wieder Rabbiner in ihr Amt eingeführt worden. In der Neuen Synagoge Dresden feierten am Donnerstag mehr als 200 Juden aus aller Welt mit einem Festgottesdienst die Ordination. An der feierlichen Zeremonie nahmen auch zahlreiche Ehrengäste aus Politik und Gesellschaft teil, darunter die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) sowie die Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg, Georg Milbradt (CDU) und Matthias Platzeck (SPD).
Vertreter jüdischer Organisationen und Politiker sprachen von einem ermutigenden Zeichen und einem Stück Hoffnung. Brandenburgs Regierungschef Platzeck sagte, dies sei ein Meilenstein in der deutsch-jüdischen Geschichte. Die ersten drei Rabbiner seit dem Holocaust -der Deutsche Daniel Alter, der Tscheche Jan Kucera und der Südafrikaner Malcolm Mattitiani -werden künftig in Gemeinden in Oldenburg, München und Kapstadt tätig sein. Ordiniert wurden sie vom Münchner Oberrabbiner Walter Jacob. Der Geistliche sagte unmittelbar nach der Feier: "Dies ist ein wunderbarer Tag". Er sei froh, dass sich Deutschland und ganz Europa über diesen Augenblick freue.
Rabbiner fehlen
Der Zentralrat der Juden in Deutschland sprach von einem bedeutenden Festtag. Es werde aber noch zwei bis drei Generationen dauern, bis man auch wieder von einem normalen deutsch-jüdischen Verhältnis sprechen könne. Die jüdische Gemeinschaft selbst müsse erst wieder zusammenwachsen. Zudem fehlten derzeit in Deutschland noch mindestens 90 Rabbiner. Als problematisch gilt, dass es in den durch Zuwanderung aus Osteuropa schnell wachsenden Gemeinden kaum noch Geistliche gibt. So haben von 105 jüdischen Gemeinden in Deutschland derzeit nur 30 einen Rabbiner.
Ordiniert wurden die drei jungen Männer durch Handauflegen, begleitet von Gebeten, Gesängen und Segenssprüchen. Viele Menschen in der Synagoge hatten Tränen in den Augen. Sichtlich bewegt zeigte sich auch Oberrabbiner Jacob. Dieser Tag sei für ihn persönlich eine große Freude. Als er mit seiner Familie 1939 Deutschland verlassen musste, habe niemand daran gedacht, dass "hier je wieder neues deutsches jüdisches Leben entstehen würde", sagte Jacob. Er rief dazu auf, die jüdische Gemeinschaft in Deutschland weiter aufzubauen. Der Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern, William Wolff, segnete zum Abschluss des Festgottesdienstes nicht nur die drei neuen Rabbiner, sondern auch Deutschland. Der Überlebende des Holocaust würdigte mit dieser Geste das heutige Deutschland als Land, dem es gelungen sei, eine freie und liberale Gesellschaft aufzubauen.
Die drei neuen Geistlichen, Vertreter eines liberalen Judentums, haben am 1999 gegründeten Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam studiert, dem derzeit einzigen Rabbinerseminar Deutschlands. Namensgeber ist der Begründer der Berliner Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums, die 1942 von den Nationalsozialisten geschlossen worden war. Die letzte Ordination gab es nach Kolleg-Angaben vermutlich 1940 an einem geheimen Ort in Berlin, genaue Quellen stehen nicht mehr zur Verfügung. Mit der Amtseinführung sind die drei neuen Rabbiner auch Mitglieder der "Central Conference of American Rabbis" geworden, dem weltweit größten Rabbinerverband.
Gefeiert wurde die Ordination in Dresden, weil die größte Berliner Synagoge wegen Umbauarbeiten nicht genutzt werden kann und die Dresdner Synagoge und die dortige Gemeinde als ein Symbol für den Wiederaufbau des jüdischen Lebens in Deutschland gilt. Die Synagoge war nach dem Mauerfall an der Stelle des 1938 bei den Pogromen von Nationalsozialisten niedergebrannten alten Gotteshauses neu errichtet worden. Die Gemeinde selbst zählt inzwischen wieder rund 700 Mitglieder, mehr als doppelt so viele wie noch vor fünf Jahren bei der Weihe.
Quelle: ntv.de