Genormter Staub und Schmutzstreifen So arbeitet die Stiftung Warentest
27.05.2014, 15:31 Uhr
Ein "Sehr gut" von der Stiftung Warentest kann Gold wert sein, ein mangelhaftes Testurteil kann Hersteller hingegen in ernste Schwierigkeiten bringen. Der Besuch im Prüflabor zeigt: Die Stiftung trifft ihre Bewertungen alles andere als leichtfertig.
Eigentlich sehen die 20 Muffins alle zum Anbeißen aus. Gut ausgeleuchtet liegen sie auf dem blauen Brett im sechseckigen, pyramidenartigen Schrank im Prüflabor. Die "Small Cakes", wie die Backwaren in der Normenspr ache heißen, wurden aber nicht zum Verzehr gebacken, sondern um Backöfen zu testen. Eine Kamera im Bräunungsprüfstand schickt ein Bild auf einen Rechner, der die Bräunung jedes einzelnen Muffins anhand von 13 Segmenten analysiert. Die Farbskala reicht von hellbeige bis fast schwarz. Je gleichmäßiger der Bräunungsgrad bei den 20 Mini-Kuchen ist, desto besser schneidet der Ofen ab. "Bevor es die Software gab, mussten wir die Farben mit bloßem Auge abgleichen. Ein ziemlicher Aufwand", erzählt der Labor-Mitarbeiter den Journalisten, die heute durch das Prüfinstitut geführt werden. Er und seine Kollegen bleiben anonym und der Namen des Instituts soll nicht veröffentlicht werden. Die anderen Kunden sollen nicht erfahren, dass die Firma auch für die Stiftung Warentest arbeitet.
Bratpfannen hat das Prüfinstitut in den letzten 20 Jahren ebenso untersucht wie Bohrmaschinen, Staubsauger oder die Rasenroboter aus der Mai-Ausgabe des Test-Hefts. Gerade vor teureren Anschaffungen h olen sich Interessenten oft den Rat der Test-Institution, das zeigen die Verkaufs- und Abrufzahlen aus dem letzten Jahr: Matratzen und Smartphones waren die gefragtesten Themen, die die Stiftung Warentest 2013 beackert hat.
Entscheidendes Testurteil
Auch wenn es nur um Konsumartikel wie Geschirrspültabs oder Grillanzünder geht, bedeutet ein positives Testurteil einen Hauptgewinn für die Marketingabteilungen der Hersteller. Mindestens 7000 Euro müssen sie bezahlen, wenn sie das Siegel der Stiftung Warentest für sich nutzen möchten, angesichts der Werbewirkung eine eher überschaubare Summe.
Wie verheerend dagegen eine Warnung der Testinstitution wirken kann, bekam im Jahr 2012 die Süßwarenindustrie zu spüren. Die Stiftung Warentest monierte Mineralölrückstände in zahlreichen Adventskalendern, woraufhin viele Händler die Produkte kurzerhand aus dem Sortiment warfen. Die betroffenen Hersteller beklagten daraufhin Ausfälle in Millionenhöhe, verzichteten am Ende aber auf einen Prozess. Anders die Firma Ritter Sport, deren Nussschokolade die Warentester im letzten Jahr wegen einer vermeintlich falschen Aromenkennzeichnung als "mangelhaft" disqualifizierten. Nach einer einstweiligen Verfügung darf die Stiftung vorerst nicht mehr behaupten, Ritter Sport habe bei der Deklaration geschummelt. Die Berufung vorm Oberlandesgericht steht noch aus.
Ritter-Sport-Urteil kratzt am Image
Den wirtschaftlichen Schaden hat der Ritter Sport nicht beziffert. Durch die umstrittene Abqualifizierung hat aber nicht nur das Unternehmen, sondern das Image der Stiftung Warentest gelitten. Schon im Frühjahr hatte sie Teile der Zweirad-Branche gegen sich aufgebracht, nachdem sie in einem E-Bike-Test zahlreiche Kandidaten durchfallen ließ. Hat es die staatlich subventionierte Einrichtung etwa nötig, mit spektakulären Negativ-Urteilen für Schlagzeilen zu sorgen? "Nein", betont Anita Stocker, die Chefredakteurin der Zeitschrift "Test". "Die Zahlen sind gut." Zwar sei die Zahl der Abonnements im vergangenen Jahr zurückgegangen, dafür hätten mehr Käufer am Kiosk zugegriffen. Außerdem boome die Online-Seite, auf der man Testergebnisse und Artikel herunterladen kann.

Das harte Urteil gegen Ritter Sport war bei der Stiftung Warentest auch intern umstritten.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Zehn Prozent des Warentest-Budgets kommen vom Bund, als Ersatz für entgangene Werbeeinnahmen. Denn seit vor 50 Jahren das erste Heft erschienen ist, sind die Publikationen der Stiftung Warentest werbefrei. So sol l verhindert werden, dass Hersteller Einfluss auf die Berichterstattung nehmen können. An der Planung, was getestet wird, sind die Hersteller aber nicht ganz unbeteiligt. Denn auch sie können Impulse für die Themenauswahl geben, genauso wie Verbraucherzentralen, Prüfinstitute, Mitarbeiter und Leser.
Ein Jahr vor dem geplanten Veröffentlichungstermin werden die Themen festgeklopft. Etwa ein halbes Jahr vor der geplanten Veröffentlichung macht sich Holger Brackemann an die Arbeit. Der Chemiker leitet den Bereich Untersuchungen bei der Stiftung Warentest und beaufsichtigt damit all die acht bis zehn Tests, die es in eine Ausgabe des "Test"-Hefts schaffen. Jeweils zwei Projektleiter kümmern sich um die einzelnen Themen, ein Redakteur und ein Wissenschaftler. Sie überlegen, was genau getestet werden soll und welche Anbieter überhaupt infrage kommen. "Eine gewisse Marktbedeutung sollten die Kandidaten schon haben", so Brackemann und räumt ein, dass es kleine, regionale Hersteller deshalb kaum ins Heft schaffen.
Einkäufer sollen anonym bleiben
Stehen die Testkandidaten fest, schwärmen die Einkäufer aus, um die Prüfexemplare zu besorgen. Was für Shopping-Freunde nach einem Traumjob klingt, büßt im Realitätscheck deutlich an Glamour ein: Zu den Herausforderungen des Einkäuferalltags gehört es beispielsweise, bundesweit Supermärkte abzuklappern und Waren mit der gleichen Chargennummer einzusammeln, schwere Geräte ins Auto zu wuchten oder beratungswillige Verkäufer abzuwimmeln. Am besten schnell zur Kasse gehen und bar bezahlen, denn Anonymität ist wichtig. Kein Hersteller soll den Testern andere, verbesserte Produkte unterjubeln können.
Was auch immer die 19 Einkäufer von ihren Touren mitbringen, landet in dem Prüfinstitut, das die Ausschreibung der Stiftung Warentest gewonnen hat. Vorher haben Brackemann und sein Team genau festgelegt, was untersucht werden soll: Wie viel Staub nimmt ein Staubsauger auf? Wie viel bläst er wieder in die Luft? Hält er es aus, wenn er 500 Mal gegen einen nachgebauten Türpfosten donnert? Wie laut rumpelt ein Wäschetrockner? Gerade die Geräuschbelastung werde als Kaufkriterium immer wichtiger, erklärt der Versuchsleiter im Prüfinstitut. Bei den Verbrauchswerten würden sich viele Geräte heute schließlich kaum noch unterscheiden.
Nichts bleibt dem Zufall überlassen
Oberstes Gebot bei allen Versuchen: Standardisierung. Elektrogeräte werden beispielsweise nicht an irgendeine Steckdose gehängt, sondern über eine stabilisierte Stromversorgung gespeist. Im Wäschetrocknertest lande t nur genormte Spezialwäsche in der Trommel. Und bei der Waschmittelprüfung wird die Maschine nicht mit verdreckten T-Shirts oder Unterhosen beladen, sondern mit sogenannten Schmutzstreifen, auf denen verschiedene Verschmutzungsarten vom Rotwein bis zum Fett nachgebildet sind. Die muss das Institut von fremden Herstellern einkaufen, genauso wie den Norm-Staub für den Staubsaugertest oder Tassen mit gleichmäßig erzeugten Schwarztee-Rändern, an denen die Leistungsfähigkeit von Spülmaschinentabs gemessen wird. Nichts soll dem Zufall überlassen bleiben.
Ist der Test gelaufen, werden die Hersteller über die Ergebnisse informiert – allerdings nur über ihre eigenen, nicht die der Konkurrenz. Wenn die Daten nicht mit den eigenen Prüfungen übereinstimmen, gibt es eine zweite Prüfung. Die Qualitätsurteile erfahren die Hersteller erst aus dem Heft selbst, Wochen oder Monate später. Denn bis aus den Testergebnissen ein fertiger Artikel wird, dauert es noch eine Weile. "Langmut ist eine der Schlüsselqualifikationen für Testredakteure", so Chefredakteurin Stocker, denn mit Korrekturlesen sei es bei Warentest-Artikeln nicht getan. Einige Tage lang werde der Text allein bei der Verifizierung zerpflückt.
Allem Aufwand zum Trotz wird die Stiftung Warentest immer wieder von Herstellern verklagt. Offen ist derzeit nicht nur der Prozess gegen Ritter-Sport, sondern auch ein Verfahren gegen einen Anbieter von Blutzuckermessgeräten und einen Finanzsienstleister. Cheftester Brackemann gibt sich dennoch optimistisch: "Bis jetzt haben wir noch keinen Prozess verloren."
Quelle: ntv.de