Es brodelt im deutschen EM-Team Skeptische Handballer ignorieren Prokop
18.01.2018, 09:46 Uhr
Prokop erklärt viel - umgesetzt wird davon wenig.
(Foto: dpa)
Nach der EM-Vorrunde wird deutlich: Das Verhältnis der deutschen Handballer zum Bundestrainer ist gestört. Sie setzen sich über Christian Prokop hinweg, scheinen grundsätzlich an der Sinnhaftigkeit seiner Ansagen zu zweifeln.
Der letzte Angriff der Deutschen und die Absprache davor waren symptomatisch für das Verhältnis des Handball-Bundestrainers zu seiner Mannschaft. Christian Prokop redete viel, zeigte auf eine Taktiktafel, die er in der Hand hielt - und er sagte zu Linksaußen Uwe Gensheimer, er solle sich auf einen Wurf vorbereiten. Philipp Weber, der die Entscheidung treffen sollte, redete weniger und forderte Steffen Weinhold auf, einen Kempa-Trick anzutäuschen, der einen Gegenspieler auf sich ziehen sollte, damit Rechtsaußen Patrick Groetzki Platz für den letzten Wurf des Spiels hatte.
Dass in einer Auszeit im Handball, gerade in den letzten Sekunden eines Spiels, durcheinander gesprochen wird, ist keine Seltenheit. Dass sich Trainer und Spieler nicht richtig zuhören und die Kurz-Besprechung mit unterschiedlichen Ideen verlassen, schon. Anschließend passte Weber auf Groetzki, der nicht zum Torwurf kam. Es blieb beim 25:25 der Deutschen gegen Mazedonien, das einen weiteren Rückschlag im Kampf um den Halbfinaleinzug bei der Europameisterschaft in Kroatien bedeutete. "Wir spielen das zu undiszipliniert", haderte Prokop mit der Entscheidung seiner Bad Boys.
Teilen der Mannschaft fehlt Vertrauen
Das Verhältnis des Bundestrainers zu seiner Mannschaft scheint belastet zu sein und gefährdet den Einzug ins Halbfinale weit mehr als die durchwachsene Ausbeute von 2:2-Punkten, mit der die Auswahl des Deutschen Handballbundes morgen in die Hauptrunde in Varazdin startet. Am Freitag gegen Tschechien, am Sonntag gegen Dänemark und am kommenden Mittwoch gegen Spanien müssen Trainer und Mannschaft eine gemeinsame Linie finden, um zur Finalrunde in die Arena nach Zagreb zurückzukehren.
Beim glücklichen 25:25 gegen Slowenien hatten die Abwehrspieler Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek ohne Rücksprache mit dem Trainer entschieden, die Arbeit in der Defensive in der zweiten Halbzeit anders zu interpretieren. Jetzt setzte sich Weber, einst Prokops Musterschüler beim SC DHfK Leipzig, über die Ansage des Bundestrainers hinweg. Es ist offensichtlich, dass zumindest einem Teil der Mannschaft das Vertrauen in die Sinnhaftigkeit der Ideen von Prokop fehlt. Zum ersten Mal lernen sich der 39-Jährige Coach und das Team in einer nervenaufreibenden Turniersituation kennen und in der Zwischenbilanz nach der Vorrunde überwiegen die negativen Eindrücke.
Stephan fordert Nachbesserungen
"Der Trainer hat es nicht geschafft, den Spielern Sicherheit zu geben", sagte Daniel Stephan. Dem früheren Welthandballer, inzwischen als TV-Experte im Einsatz, gibt in erster Linie das Angriffsspiel zu denken. Auffällig ist zudem der Formverfall von Akteuren, die als Leistungsträger gedacht waren. "Da tauchen Fragen auf", erklärte Stephan mit Blick auf die Situation von Julius Kühn. Der Melsunger war in der abgelaufenen Bundesliga-Hinrunde der herausragende Rückraumspieler, niemand hat mehr Feldtore als der Halblinke. In den ersten drei Partien spielte Kühn, eigentlich ein Mann mit überbordendem Selbstvertrauen, nur eine untergeordnete Rolle auf dem Feld. Gegen Mazedonien kam er nur in Überzahlsituation und agierte - ohne Selbstbewusstsein - fehlerhaft.
Nicht nur Kühn wirkt verunsichert, auch der Halbrechte Kai Häfner war gegen Mazedonien von der Rolle und Steffen Fäth war anzumerken, dass ihm das Vertrauen fehlte, weil er in den ersten zwei Turnierspielen sowie in der Vorbereitung außen vor war. Drei herausragende Rückraumspieler der Bundesliga, die bei den vergangenen Turnieren zu den Leistungsträgern zählten, sind nicht auf der Höhe. Die vielen Wechsel von Prokop entziehen ihnen das Selbstvertrauen. Ständig erprobt der Coach neue Varianten im Rückraum, teilweise werden sie in jedem Angriff neu durcheinandergewürfelt. Das erschreckt die Spieler, das Murren wird vernehmbarer.
Beim SC DHfK Leipzig hat der Bundestrainer eindrucksvoll nachgewiesen, dass er seine Spieler besser machen kann, in seiner neuen Rolle werden sie im Moment schlechter. "Auch der Bundestrainer muss sich steigern", bemerkte Stephan. Statt Kühn sollte es mit Maximilian Janke ein Novize richten, der nach einem ordentlichen Auftaktspiel gegen Montenegro in den heißblütigen Duellen gegen Slowenien und Mazedonien offenbarte, dass er Probleme auf dem europäischen Top-Niveau hat. Es wäre naheliegend, wenn Prokop seine zweite Wechselmöglichkeit nutzen und den Berliner Fabian Wiede nachnominieren würde.
Mit oder ohne Wiede: Gegen die Tschechen ist der Druck auf die deutsche Mannschaft enorm. Bei einer Niederlage gegen den Außenseiter würde das Halbfinale in weite Ferne rücken. Die Situation ist den Beteiligten bewusst. "Jetzt müssen wir jedes Spiel gewinnen", sagte Kreisläufer Patrick Wiencek. DHB-Vize Bob Hanning drückte es noch drastischer aus: "Wir sind zum Siegen verdammt."
Quelle: ntv.de