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Tischtennis-Sensation Kaufmann "Die Chinesinnen scheißen sich in die Hosen"

Annett Kaufmann sorgte bei Olympia in Paris für Furore.

Annett Kaufmann sorgte bei Olympia in Paris für Furore.

(Foto: IMAGO/Eibner)

Erst 18 Jahre alt und schon dermaßen abgebrüht: Tischtennis-Teenie Annett Kaufmann verzückt bei den Olympischen Spielen in Paris ganz Deutschland und macht im Interview eine Kampfansage an China. Außerdem verrät sie, warum sie eine "Fake-Linkshänderin" ist, warum sie so wenig trainiert - und wann sie mit Taylor Swift Beerpong spielt.

Ntv.de: Frau Kaufmann, haben Sie ein Lieblingsmärchen?

Annett Kaufmann: Puh, da muss ich überlegen. "Rapunzel" und "Der gestiefelte Kater" von den Brüdern Grimm haben mir immer gefallen.

Lange Haare gepaart mit der Pfiffigkeit und dem Heldentum des Katers: Ihr Auftritt bei den Olympischen Spielen in Paris, der im vierten Platz im Team-Wettbewerb mündete, war ebenfalls märchenhaft.

Hätte mir jemand vor einem Jahr meine ersten Olympischen Spiele so beschrieben, wie sie dann kamen, wäre ich baff gewesen und hätte das sofort unterschrieben. Einen besseren Start bei Olympia hätte ich mir nicht vorstellen können. Dass am Ende alles so zusammengekommen ist und perfekt gepasst hat, kann man durchaus als Märchen bezeichnen.

Sie waren zunächst als Ersatzathletin nominiert, dann verletzte sich Rio-2016-Silbermedaillengewinnerin Ying Han. Anschließend brach in Paris bei Nina Mittelham im Einzelwettbewerb eine Bandscheibenverletzung wieder auf. Wie sind Sie damit umgegangen, dass Sie plötzlich doch ran durften?

Ich habe von anderen Sportlern mitbekommen, dass das olympische Turnier etwas anderes ist und dort eine extra große Nervosität und mentale Anspannung herrscht, weil Olympia nur alle vier Jahre ist. Ehrlicherweise muss ich aber zugeben, dass ich vor jedem Spiel tiefenentspannt war.

Plötzlich mittendrin auf der großen Weltbühne, im Pariser Hexenkessel. Und überhaupt kein Nervenflattern?

Generell bin ich ein Mensch ohne Lampenfieber und ein Fan davon, vor großen Menschenmengen zu reden. Ich stehe gerne auf der Bühne. Deshalb hatte dieser Hexenkessel eher eine positive Wirkung auf mich. Zusätzlich spiele ich schon 14 Jahre Tischtennis und habe bereits einige prägende Erfahrungen gesammelt.

Ich war lange nicht so entspannt, wie ich bei den Olympischen Spielen war. Ich mache mir normalerweise schon ein paar Gedanken vor Spielen, wenn beispielsweise etwas beim Einspielen nicht klappt. Aber in Paris war alles anders. Ich kenne den Grund nicht, aber ich hatte eine totale Ruhe in mir drinnen, selbst wenn etwas mal nicht funktioniert hat.

Von der Ersatzathletin sind Sie zur Anführerin des Teams aufgestiegen: Was ist Ihnen in Paris durch den Kopf gegangen, wenn Sie sich abends ins Bett gelegt haben?

Was es zum Frühstück am nächsten Morgen gibt. (lacht) Ansonsten war ich mit meiner guten Freundin aus Ägypten, die auch Tischtennisspielerin ist, in Kontakt und wir haben den nächsten Tag im olympischen Dorf geplant. Ich habe mir da echt keinen Stress gemacht. Insgesamt kam dieser Erfolg in Paris auch nur zustande, weil wir ein echtes Team waren. Jede von uns hat eine wichtige Rolle gespielt.

Klingt nach jugendlicher Unbekümmertheit. Haben Sie Angst, diese in Zukunft zu verlieren?

Nein, das ist einfach mein Charakter. Ich habe diese Lockerheit bei vielen Turnieren in der Kindheit erlernt. Aber auch die Beziehung zu meiner Familie, meine Eltern und meine Schwester Alexandra waren auch Leistungssportler, hilft mir. Sie sind meine 'Psychologen', mit denen ich immer reden kann. Wenn ich weiter meinen Weg gehe, wie ich es gerade tue, dann verliere ich diese Unbekümmertheit nicht. Aber falls doch, dann weiß ich auf jeden Fall, dass ich sie zurückhaben möchte.

Auf dem Weg ins olympische Halbfinale haben Sie Ihre Mitspielerinnen mehrmals zu Tränen gerührt. Haben Sie einen Lieblingsmoment vom Turnier?

Das war, als ich den Matchball verwandelt habe, mit dem wir ins Halbfinale eingezogen sind. Ich war sehr happy und überwältigt. Als ich dann zu den Mädels gerannt bin, habe ich gesehen, wie alle geweint haben und noch in einer Schockstarre waren. Ich meinte: 'Leute, warum weint ihr? Wir sind im Halbfinale!' Aber ich habe ihre Emotionen natürlich verstanden, das war ein sehr befreiender Moment, weil eine große Last des ganzen Jahres von uns allen abgefallen ist.

Haben Sie vor Ort gespürt, dass Sie aufgrund der Leistungen und Emotionen in Deutschland eine Euphorie ausgelöst haben?

Emotionen gehören zum Sport dazu, dennoch werden Athleten manchmal als zu emotional abgestempelt. Wenn man mehrere Jahre auf Olympia hinarbeitet, um dort eine wahnsinnige Leistung zu erbringen, setzt das einfach Emotionen frei. Egal, ob man es schafft oder nicht schafft. Ich finde es wichtig zu zeigen, dass wir auch nur Menschen und keine Roboter sind. Erfolge und Fehler, alles kann passieren. Ich habe sehr viele Nachrichten bekommen, dass sich die Menschen für uns gefreut haben und fand es toll, dass ich für unseren Sport Werbung machen konnte, weil Tischtennis in Deutschland als Nischensport natürlich niemals so populär wie Fußball ist. Manche haben geschrieben, dass sie meinetwegen wieder zu ihrem Hobby Tischtennis zurückgefunden haben, das ist ein super Gefühl.

Emotional waren Sie auch nach dem 3:0-Sieg im Halbfinale gegen Miwa Harimoto, die Weltranglisten-Achte aus Japan.

Manchmal unterschätzt man sich selbst zu viel und ich bin ein geerdeter Mensch. Das Spiel hat mir gezeigt, zu was ich fähig bin. Dass ich in der Lage bin, Top-Ten-Spielerinnen zu schlagen, wenn ich auf meinem höchsten Niveau spiele. Diese Gedanken kann ich jetzt immer herauskramen, wenn es mal nicht so gut läuft an der Platte.

Sie schlugen sich sogar ungläubig die Hände vors Gesicht.

Der Sieg war eines der Zeichen auf meinem Weg, die mir zeigen, dass ich mich auf dem richtigen befinde. Der Erfolg hat mir auch einen Selbstbewusstseins-Push gegeben: Dass ich trotz eines vollen Jahres, in dem ich mich gar nicht so viel auf Olympia vorbereiten konnte, und dank einer richtigen Zusammensetzung meines Trainings und mentaler Arbeit Top-Spielerinnen schlagen kann. Ich bin mir sicher, Harimoto wird jetzt eine gründliche Analyse von meinem Spiel angehen, aber das werde ich auch machen. (lacht)

Wie viel Video-Analyse gibt es im Tischtennis eigentlich?

Ich bin früher einfach immer freestyle ins Spiel reingegangen, weil ich eine gewisse Taktik habe und im ersten Satz geschaut habe, wo die Schwächen der Gegnerin liegen. Das tue ich auch jetzt noch, aber zusätzlich hatten wir bei Olympia einen Videoanalysten dabei, der uns Sequenzen zu Stärken und Schwächen jeder einzelnen Gegnerin zusammengeschnitten hat. Ich habe versucht, da die richtigen Komponenten herauszuziehen, speziell für den ersten Satz.

Das Turnier in Paris ist seit ein paar Wochen vorbei, immer wieder hört man bei Athletinnen und Athleten von der Post-Olympia-Depression. Haben Sie einen Fall nach dem Hoch erlebt?

Dazu gehöre ich nicht. Insgesamt war und bin ich sehr happy. Alles hat sich aber auch etwas surreal angefühlt. Als Kind hatte ich mir vorgestellt, wie es wohl wäre, bei Olympia zu spielen. Die Erfahrungen haben aber gar nicht so meiner Vorstellung entsprochen, nicht weil sie negativ waren, sondern weil es doch nicht so ein riesiger Unterschied im Vergleich zu anderen Turnieren war. Manchmal kann ich es auch noch gar nicht realisieren, dass ich 18 Jahre alt bin und schon bei Europameisterschaften, Weltmeisterschaften und Olympia gespielt habe. Ich freue mich dann einfach auf den Weg, der vor mir liegt.

Es gibt Sportlerinnen und Sportler, die sich über einen großartigen vierten Platz bei den ersten Spielen freuen und solche, die sich über die Pleiten im Halbfinale und im Spiel um Bronze ärgern. Welche Sorte sind Sie?

Ein Mix. Niemand mag den vierten Platz. Man ist so nah an der Medaille und hat dann nichts in der Hand. Natürlich habe ich mich nach dem verlorenen Spiel um Bronze kurz geärgert, aber ich habe mich anschließend auf die positive Seite fokussiert. Wir Menschen konzentrieren uns zu oft nur auf das Negative. Ich möchte nicht später an Paris denken und negative Emotionen fühlen. Alles hat schon seinen Sinn, man kann aus allem etwas mitnehmen. Und außerdem hoffe ich, dass es nicht meine letzten Olympischen Spiele waren.

Sie sagten mal, dass Sie als Kind immer genauso viele Pokale haben wollten wie Ihre ältere Schwester Alexandra. Wurden Sie in Ihrer Karriere also durch geschwisterlichen Neid gepusht?

Absolut. Wenn sie einen Pokal nach Hause gebracht hat, vor allem, wenn es ein schöner war, dann habe ich ihn heimlich in die Hand genommen und so getan, als wäre er meiner. Aber nicht, weil ich ihr den Pokal nicht gegönnt habe. Ich habe mir einfach vorgestellt, wie es wäre, wenn ich so einen Pokal gewinnen würde. Meine Schwester hatte und hat eine sehr wichtige Rolle in meinem Leben. Sollte ich mal eine olympische Medaille gewinnen, dann müsste ich sie wohl mit ihr teilen, aber das würde ich sehr gerne tun.

Mal ein paar Tischtennis-Erklärungen für die Laien unter uns. Sie sind Linkshänderin: Ist das ein Vorteil?

Ich denke schon, mit meiner Rückhand in die Vorhand der Gegnerin habe ich einen guten Winkel. Außerdem spielen die meisten nicht so oft gegen Linkshänderinnen, weil es nicht so viele gibt. Auch ich mag sie als Gegnerinnen ebenfalls gar nicht, das ist wie gegen sich selbst zu spielen. Ich muss mich gegen Rechtshänderinnen weniger umstellen als sie auf mich. Sie müssen ihre Taktik ein bisschen ändern. Übrigens bin ich aber nur eine Fake-Linkshänderin. (lacht) Ich schreibe mit rechts, werfe mit rechts und schneide mit der Schere mit rechts. Fußball spiele ich aber mit links und beim Volleyball kann ich mit beiden Händen aufschlagen.

Zu Ihren Stärken gehören besonders harte Schläge, bei denen Sie die Winkel gut treffen. Wie viele Stunden haben Sie als Kind und Jugendliche dafür pro Tag trainiert?

Viele denken, ich trainiere super viel. Für mich war Tischtennis aber nur ein Hobby, bis ich 18 geworden bin. Ich wollte damit nur Spaß haben und habe anderthalb Stunden pro Tag trainiert, etwa fünfmal die Woche.

Das war's?

Das war's. Ich bin eine Spielerin, der so ein Rhythmus besser passt. Ich habe natürlich auch richtig trainiert in den bestimmten Perioden meines Lebens und viele Trainer und meine Schwester haben mir viel beigebracht. Bei meiner damaligen U15-Trainerin, die jetzige U19-Trainerin Deutschlands, Lara Broich, haben wir Handtücher auf die Platte gelegt und mussten immer über die Ecke rausspielen. Diese Übung habe ich regelrecht verabscheut, aber heute kommt sie mir zugute und ich mache das noch immer.

Sie bestechen durch enorm gute Körpersprache und unbändige Energie, pushen sich durchaus laut an der Platte: Kann man so eine Leidenschaft überhaupt lernen?

Ich zeige einfach als Mensch meine Emotionen, gebe nie auf und kämpfe bis zum letzten Punkt. Ich will keinen einzigen Punkt herschenken. Das Pushen hilft mir selbst, zeigt aber auch meinen Gegnerinnen, dass es nicht einfach wird gegen mich.

Haben Sie den fast schon furchterregenden Faust-Jubel vor dem Spiegel geübt?

Nee, das habe ich von Kind auf so gemacht. Meine Mutter hat mir viel geholfen, mit bestimmten Situationen umzugehen. Ich schreie da mal meine Angst, Wut oder Freude raus.

Sie spielen gerne extrem offensiv. Sind Sie generell ein furchtloser Mensch?

Ich bin kein Angsthase und gehe gerne einfach drauflos. Durch meine Körpergröße von 183 Zentimetern und meine Kraft wirkt mein Spiel sehr penetrant für den Gegner. Ich spiele nach dem Prinzip: Gewalt ist eine Lösung. Natürlich nicht immer, aber an der Platte schon. (lacht)

2023 haben Sie das Finale der Deutschen Meisterschaften mit 0:4 verloren. Ein Jahr später holten Sie sich den Titel, obwohl Sie zur selben Zeit das Abi absolvierten, und sorgten kurz darauf in Paris für Furore. Wie haben Sie ihr Spiel und sich selbst in diesem einen Jahr weiterentwickelt?

Ich finde es krass, wie stark man sich in einem Jahr ändern kann. Ich habe mich vor allem mental sehr viel entwickelt. Mir wird das immer erst nach einem jeweiligen Event bewusst, beziehungsweise meinen Eltern mit dem Blick von außen. Ich habe an Ruhe und Geduld gewonnen und durch meinen aktuellen Trainer und seine Erklärungen viel Verständnis für mich selbst gewonnen. Er versteht mich, weil er vom Typ her auch ein Gefühls-Spieler ist. Dadurch bin im Spielerischen viel selbstsicherer und entspannter geworden.

Reicht es denn, eine Gefühls-Spielerin zu sein, um irgendwann die Chinesinnen an der Spitze der Weltrangliste zu schlagen, oder müssen Sie da noch ein spezielles Spielsystem entwickeln?

Alles ist möglich, auch die Chinesinnen sind nur Menschen. Irgendeiner muss ja anfangen. Bei den Männern sieht man das schon mit Schweden und Frankreich. Auch wenn die Asiatinnen bei uns Frauen sehr dominant sind, ich gehe immer mit dem Mindset an ein Spiel, dass ich meine Gegnerin auch schlagen kann. Umgangssprachlich gesagt: Auch die Chinesinnen scheißen sich in die Hosen, wenn sie gegen eine gute Europäerin spielen müssen.

Mit vier Jahren haben Sie mit dem Tischtennistraining begonnen, nun ist die Schule gerade erst vorbei und Sie sind schon Vollzeitprofi. Haben Sie keine Angst, Ihre Jugend zu verpassen?

Ich habe eine sehr gute Balance. Meine Freunde und Familie unterstützen mich immerzu. Klar, als Jugendliche habe ich manche Sache verpasst, aber dafür habe ich mich bewusst entschieden. Es ist ja nicht so, dass ich etwas mache, das mir keinen Spaß macht.

Immerhin sieht man Sie auf Instagram nicht nur an der Tischtennisplatte, sondern auch am Tisch bei Beerpong-Abenden: Hat da jemand überhaupt eine Chance gegen die Olympia-Durchstarterin?

(lacht) Ich dominiere natürlich auch beim Beerpong. Meine Freunde wollen auf jeden Fall immer mit mir in einem Team spielen. Dabei mag ich gar kein Bier und trinke lieber etwas anderes oder heimlich nur Wasser. Super ist es auch, wenn Leute gar nicht wissen, dass ich Tischtennis spiele und denken, sie könnten mich einfach schlagen. Dann treffe ich einen Ball nach dem anderen.

Abi, Deutsche Meisterschaft, Olympia: Hatten Sie - wie man ja nicht erst seit Kamala Harris sagt - einen Brat-Girl-Sommer oder machen Swifties, schließlich tragen Sie bunte Armkettchen als echter Fan von Taylor Swift am Handgelenk, das anders?

Mein Sommer war cool, anstrengend und crazy: Nach dem Abi kamen Olympia und Urlaub und auf einmal wartet keine Schule Anfang September auf mich. Das ist der absolute Jackpot. Außerdem war ich noch beim Taylor-Swift-Konzert, was einer meiner großen Träume war. Ich liebe ihre Art und wie sie mit Menschen umgeht und lasse mich gern von ihr inspirieren. Viele Leute sagen, dass das nicht möglich sein wird, aber ich will sie unbedingt mal von Angesicht zu Angesicht kennenlernen. Wenn ich irgendwann mit Taylor Swift Beerpong spiele, dann habe ich wirklich alles im Leben erreicht. (lacht)

Mit Annett Kaufmann sprach David Bedürftig

Quelle: ntv.de

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