Der tragische DFB-Kapitän Schweinsteiger und die Hand des Grauens

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Bastian Schweinsteiger kämpft die deutsche Nationalmannschaft im Sommer 2014 zum ersten WM-Titel seit 24 Jahren. Zwei Jahre später will er diese Gladiatoren-Leistung bei der EM wiederholen. Doch statt erneut zum Helden wird der DFB-Kapitän zum "Hand-Depp".

In der Fußball-Karriere von Bastian Schweinsteiger gibt es nicht viele Geschichten, die sich mit der rechten Hand beschäftigen. Was ja erst einmal eine gute Nachricht ist. Denn Hände und Fußballer – das ist ja so eine ungute Kombination, die das Regelwerk stets sanktioniert wissen möchte. Nun, seit Donnerstagabend, etwa Viertel vor zehn, redet aber plötzlich ein ganzes Land über die bislang so unauffällige Extremität des Kapitäns der deutschen Nationalmannschaft. Denn irrlichternd und weit ausgestreckt war sie schneller am Ball als der Kopf Schweinsteigers. Sie leitete das Halbfinal-Aus der DFB-Elf bei der Europameisterschaft gegen Gastgeber Frankreich (0:2) ein.

Nach kurzem Zögern klare Sache: Rizzoli diskutiert nicht mehr.

Nach kurzem Zögern klare Sache: Rizzoli diskutiert nicht mehr.

(Foto: dpa)

Der Schiedsrichter, Nicola Rizzoli, ein Italiener, zögerte kurz. Ein, zwei Momente, so schien es, wollte er nochmal nachdenken: Schweinsteiger, Hand statt Kopf im Strafraum – macht Elfmeter. Da kannst du dich drehen und wenden wie du willst, selbst in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit zeigt das internationale Handbuch für Unparteiische keine andere Lösung auf als auf Strafstoß. Der französische Thomas Müller, Antoine Griezmann mit Namen, lief an, verlud Manuel Neuer, 1:0. Es war der Einstieg ins deutsche EM-Aus im Halbfinale, an dem ausgerechnet Schweinsteiger eine nicht unwesentliche Schuld trägt. Denn auch am 0:2 war er letztinstanzlich beteiligt, als er erneut gegen Griezmann einen Schritt zu spät kam. In Kombination ergibt das die bitterste Pointe in einem für ihn ziemlich verkorksten Turnier.

Dabei hatte ja alles so unverschämt prima begonnen für den Kapitän, als er am 12. Juni kurz vor Schluss im Auftaktspiel gegen die Ukraine (2:0) eingewechselt wurde, den mittlerweile für alle Ewigkeit zur Legende erhobenen längsten Sprint seines Lebens lief, um eine Flanke von Mesut Özil aus vollem Lauf kraftvoll ins Tor zu wuchten. Der Kapitän war da. Die "Süddeutsche Zeitung" bescheinigte ihm daraufhin Top-Spezialist einer neuen Spezialdisziplin zu sein, die des "reinen Turnierentscheiders". Wer wollte da noch widersprechen, gar auf die englischen Fett-statt-fit-Häme eingehen. Sollten sie doch alle spotten, der Schweinsteiger ist da, wenn es drauf ankommt. Hat der Bundestrainer es doch gewusst, hatte er mit der Nominierung trotz jedweder Bedenken wieder alles richtig gemacht. Ja, es schien so. Doch dann kamen die Zweifel – am Plan des Bundestrainers mit dem ManUnited-Profi und vielleicht auch des Bundestrainers an der Verfassung seines Kapitäns.

Der Gladiator ist Geschichte

Gegen Polen (0:0) kam Schweinsteiger nicht zum Einsatz. Gegen Nordirland (1:0) wurde er ebenso spät eingewechselt wie gegen die Slowakei (3:0) im Achtelfinale. Gefordert wurde er nie, in keinem Spiel. Aussagen über seine Form? Völlig unseriös. Doch dann kam Italien – und die Verletzung von Sami Khedira. Der Kapitän musste also plötzlich liefern, gegen einen starken Gegner, über eine sehr lange Zeit. Es wurde 105 Minuten pure Quälerei, dazu ein verschossener Elfmeter. Unübersehbar: Dieser Bastian Schweinsteiger war nicht mehr der Gladiator, der Deutschland in Rio noch vor zwei Jahren gegen wilde argentinische Gauchos zum WM-Titel gekämpft hatte. Der Körper geschunden von mehr als einem Jahrzehnt Profifußball auf allerhöchstem Niveau, mittlerweile mehr Patient als Pöhler.

Gegen Frankreich nun sollte er es aber richten. Der Welt, mindestens Europa, noch einmal zeigen, dass es ihn noch gibt, den überragenden Fußballer, der dem FC Bayern und Deutschland so viele unglaublich gute und emotionale Momente beschert hat. Eine einzige Trainingseinheit mit der Mannschaft in dieser Woche reichte dem Bundestrainer, um sich bereits einen Tag vor dem Halbfinal-Spektakel gegen den EM-Gastgeber festzulegen: "Basti wird definitiv beginnen. Er hat die Physis und die Kraft, von Anfang an zu spielen. In so einem Hexenkessel ist seine Erfahrung enorm wichtig." Und wieder einmal schien dieser Löw, der in den Tagen von Évian, dort wo die deutsche Mannschaft ihre Wohlfühloase hatte, unerschütterlich, fast unfehlbar wirkte, recht zu haben.

Bis zur 45. Minute lieferte Schweinsteiger eine starke Partie. Dann wurde er zum Handballer.

Bis zur 45. Minute lieferte Schweinsteiger eine starke Partie. Dann wurde er zum Handballer.

(Foto: dpa)

Noch einmal der Dreh- und Angelpunkt

Bis kurz vorm Pausenpfiff dirigierte Schweinsteiger sein Team, als hätte es diese hartnäckigen und elendigen Verletzungen, diese Diskussionen um seine Fitness und die lediglich 110 Pflichtspielminuten für Manchester im Jahr 2016 nie gegeben. Körperlich präsent, überragend im Stellungs- und clever im Aufbauspiel war er ein Antreiber eines personell arg gebeutelten (Mario Gomez, Sami Khedira und Mats Hummels fehlten), aber mutigen Deutschlands. Schweinsteiger war Dreh- und Angelpunkt und die Franzosen von der Kampfkraft des wiedererstarkten Gladiators sichtlich beeindruckt. Doch, dann kam sie, diese 45. Minute, diese Ecke, diese seine Hand, der Ball, der Strafstoß, der Alptraum – verschlimmert noch durch die Unaufmerksamkeit am Ende einer langen Fehlerkette vor dem 0:2.

Schweinsteiger wusste das sofort einzuordnen. Er, der vor zwei Jahren der Held war, war nun der "Hand-Depp". Wie zur Entschuldigung ging er nach dem Schlusspfiff nochmal zurück in die deutsche Kurve. Seine Teamkollegen waren bereits auf dem Weg in die Kabine. Schweinsteiger hob die Hände, klatschte, dankte. Es könnte sein letzter Dank gewesen sein, sein Rücktritt gilt als wahrscheinlich.

"Ich habe noch nicht darüber nachgedacht", beteuerte Schweinsteiger später: "Ich habe versucht, meine ganze Energie in dieses Turnier reinzulegen. Das war nach den zwei Verletzungen nicht so einfach. Das Ausscheiden ist natürlich sehr enttäuschend. Aber der Weg der Mannschaft geht weiter."

Der Körper kaputt, der Kapitän geschlagen, das Team vorerst gescheitert – endet so eine ganz große Nationalmannschafts-Karriere? Es wäre fürchterlich bitter, aber es würde zu diesem, seinem Turnier passen.

Quelle: ntv.de

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