Das DFB-Spiel im Schnellcheck Huh – Griezmann islandisiert Deutschland
07.07.2016, 23:24 Uhr
(Foto: dpa)
Wie vor vier Jahren scheitert die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im Halbfinale einer Europameisterschaft. Doch diesmal ist nicht der Bundestrainer Schuld, sondern Bastian Schweinsteigers Hand und ein körperfettbefreiter Schmalhans.
Das ist im Stade Vélodrome passiert:
Au revoir, "Champion du Monde". Müssen wir mehr sagen? Nunja, vermutlich schon. Also Deutschland tritt nun die Heimreise von dieser Fußball-Europameisterschaft an und die Berliner Stadtverwaltung zieht ihre Mitarbeiter wieder vom Projekt "Titelfeier 2016" ab. Warum das alles? Ganz einfach, weil die DFB-Elf ihr Halbfinale gegen Frankreich verloren hat, weil die Gastgeber Antoine Griezmann haben und Deutschland an Bastian Schweinsteigers rechter Hand verzweifelt. Beim 2:0 (1:0)-Erfolg der Franzosen erzielte der körperfettbefreite Schmalhans von Atlético Madrid gegen eine spielstarke, aber offensiv einfach zu abschlussschwache DFB-Elf beide Treffer (45.+2 Handelfmeter/72.). Dass vor allem das Fehlen des einst so verschmähten Sturmbullen Mario Gomez Deutschland den möglichen Einzug ins Endspiel gekostet hat, es ist eine dieser legendär-überdosierten Ausgerechnet-Geschichten der EM 2016.
Den kompletten Spielbericht gibt es hier.
Die Highlights im Spielfilm:
Irgendwann vor Anpfiff: Hu, hu, hu – das ganze Vélodrome islandisiert sich. Sieht toll aus, klingt wie immer fantastisch, laut, heroisch – war aber leider animiert. Irgendwie doof so.
7. Minute: Griezmann im Mittelfeld, Griezmann, auf Links, Griezmann am Strafraum, Griezmann im Strafraum, Schuss Griezmann – Parade Manuel Neuer. Anders als sechs deutsche Claqueure zuvor hat der Titanen-Torwart offenbar keine Lust auf die umjubelte Zugabe dieser kleiner griezmännischen Zaubershow.
13. Minute: Der Bundestrainer versucht ja alles, um Thomas Müller endlich das erste EM-Tor seines Lebens zu schenken. So nah wie nie dieser Tage stellt er ihn gegen Frankreich also am Tor auf, reicht aber nicht. Hereingabe Özil, Abschluss Müller – nunja, aber Tore sind ja ohnehin nicht sein Benzin, nur Speziallack oder so'n Quatsch. Braucht also keiner.
14. Minute: Guck an, der kleine Khedira: Emre Can haut den Ball einfach mal aufs Tor. Das macht er prima. Aber der Schnapper der Gastgeber macht das Torhüten ja heute auch nicht zum ersten Mal, legt sich ab, fährt die Pranke aus und lenkt den Ball um den Pfosten.
21. Minute: Toni Kroos guckt, als wäre er elfmeterreif gefoult worden. Warum? Nun, weil er glaubt elfmeterreif gefoult worden zu sein. Aber der italienische Pfeifenmann sagt: "Scusi, Toni, nessuna penalità." Italien, Deutschland, Elfmeter - ach, bringt doch alles nix ... Und außerdem hat Rizzoli Deutschland zum Weltmeister gemacht!
26. Minute: Zünftige Schweinsteiger-Fackel, flinke Lloris-Pranke, Ecke, die aber ist harmlos.
33. Minute: Flanke Kimmich, Kopfballversuch vom völlig desolaten Müller ... da es weiter 0:0 steht, verzichten wir auf eine ausführlichere Schilderung der Szene. Reine Schutzmaßnahme.
40. Minute: Jetzt guckt auch Schweinsteiger als wäre er elfmeterreif gefoult worden. Warum? Nun, weil auch er glaubt elfmeterreif gefoult worden zu sein. Aber der italienische Pfeifenmann bleibt sich treu, sagt: "Scusi, Basti, nessuna penalità."
42. Minute: Benedikt Höwedes wie einst Jéròme Boateng und Mats Hummels gegen Polen mit der Heldengrätsche im Strafraum gegen Olivier Giroud. Der war zuvor eine ganze Zeit lang alleine unterwegs, weil sich ausgerechnet Boateng beim Kopfball verschätzt hatte. Sachen gibt's.
45. Minute, TOR, 1:0 für Frankreich, Antoine Griezmann (Handelfmeter): Patrice Evra guckt als wäre ..., wir können ja auch nichts dafür, kürzen aber aus Wiederholungsgründen ab: Handspiel Schweinsteiger, Elfmeter Frankreich. Griezmann läuft an, schießt nach links, Neuer springt nach rechts, 1:0 Frankreich. Zweites Gegentor für Deutschland in diesem Turnier, zweiter Elfmeter (zuvor Leonardo Bonucci im Viertelfinale gegen Italien).
61. Minute: Herrje, die DFB-Elf trifft's bei dieser EM echt knüppeldick. Tatortreiniger Boateng muss raus, den Oberschenkel hat's erwischt. Passiert ist es bei einer seiner Beckenbauer-Diagonalen. Shkodran Mustafi kommt.
72. Minute, TOR für Frankreich, 2:0 Antoine Griezmann: Ker, wat für Böcke in der deutschen Hintermannschaft. Erst verstolpert Joshua Kimmich den Ball gegen Paul Pogba, der düpiert dann noch Mustafi, flankt und der Ball landet bei Griezmann, weil Neuer schlecht faustet und Schweinsteiger pennt. Griezmann freut sich, 2:0.
73. Minute: Kimmich auf schnellem Wiedergutmachungskurs: Schuss, Latte, Pech.
90. Minute: Wieder Kimmich, diesmal per Kopf aus kurzer Distanz, aber Lloris kratzt das Dingen von der Linie. Eine titaneske Neuer-Parade.
Teams & Tore
Deutschland: Neuer – Hector, Boateng, Höwedes (61. Mustafi), Kimmich – Schweinsteiger (79. Sané), Can (67. Götze) – Draxler, Kroos, Özil – Müller; Trainer: Löw
Frankreich: Lloris – Evra, Umtiti, Koscielny, Sagna – Matuidi, Poga – Payet (Kanté), Griezmann (90. Cabaye), Sissoko – Giroud (78. Gignac); Trainer: Deschamps
Tore: 0:1 Griezmann (45./Elfmeter), 0:2 Griezmann (72.)
Zuschauer: 64.870 im Stade Vélodrome
Schiedsrichter: Nicola Rizzoli (Italien)
Das war gut:
Antoine Griezmann. Ein wirklich unfassbarer Typ. Wirkte er im ersten EM-Spiel gegen Rumänien noch so ermattet, als bräuchte er dringend einen längeren Kuraufenthalt in der ostwestfälischen Provinz, wirbelt er seit Beginn der K.o.-Runde, als hätte er an einer Autobatterie genascht. Selbst TV-Titan Oliver Kahn behauptet mittlerweile, dass er so einen Spieler seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe. Schnell, trickreich, abschlussstark – der beste Offensivspieler des Turniers, nicht nur wegen seiner beiden Tore gegen die DFB-Elf.
Das war nicht gut:
Wir schämen uns wirklich, an dieser Stelle Bastian Schweinsteiger zu nominieren. Doch der Kapitän hat's leider verbockt. Besser gesagt, seine rechte Hand. Denn die war ja nunmal am Ball, in dieser 45. Minute, als Schiedsrichter Rizzoli zum spielentscheidenden Elfmeter pfiff. Das können wir bei allem Patriotismus nicht wegdiskutieren. Blöd war das. Und noch blöder für den Kapitän. Der hatte nämlich im Rest des Spiels, außer auch noch beim 0:2, fleißig dafür gesorgt, die n-tv.de-Behauptung, er könne gegen diese französischen Wuchtbrummen nicht bestehen, zu entkräften. Gutes Körper- und Stellungsspiel, clevere Pässe, sogar ein richtig guter Abschluss. Alles gut, wäre da nicht ..., ach dieser Konjunktiv, will sich mit dem Fußball einfach nicht anfreunden.
Der "Löw" des Tages:
Hat er mal wieder alle getäuscht, der alte Fuchs. Wobei, so alt ist er ja gar nicht, 56 erst, beste Trainerzeit und als Italien-Fluch-Bändiger jetzt auch absolut auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Also, dieser Löw, hat's mal wieder allen gezeigt und bestimmt auch Mehmet Scholl. Wobei was sich der ARD-Wüterich gedacht, als er auf die Aufstellung schaute, wissen wir ja gar nicht. Schließlich hatte er am Abend spielfrei, Kahn war dagegen mit dem ZDF auf Sendung. Also, die Aufstellung: Bastian Schweinsteiger spielte, klar. War ja am Mittwochabend vom Trainer bereits angekündigt worden. Also doch kein Julian Weigl und auch kein Emre Can? Von wegen! Löw baute vorne tüchtig um: Can rein, an die Seite von Schweinsteiger. Kroos auf die Özil-Position, Özil auf die Müller-Position, Müller auf die Gomez-Position und Draxler wieder auf die Draxler-Position.
Der "Pep" des Tages:
Den katalanischen Ehren-Oscar, den "Golden Pep", dürfen wir an diesem denkwürdigen Abend dem Bundestrainer überreichen. Da war sich die n-tv.de-Fachjury sehr schnell sehr einig. In der Begründung des Fachgremiums heißt es: "Wie einst der Namensgeber des Preises, der legendäre Josep Guardiola, erkannte auch Joachim Löw, dass Mario Götze ein super, super Typ ist und man ihn trotz personeller Sorgen auch weiter super, super gut auf der Bank sitzen lassen und erst spät einwechseln kann. Denn auch da sieht er super, super aus. Nicht glücklich, klar, aber scho au gut."
Wichtige Ergänzung: Götze wurde in der 67. Minute für den sehr ordentlich spielenden EM-Debütanten Can eingewechselt. Sie wollen wissen, wie sich der Bayern-Profi geschlagen hat? Gut gemeiner Rat: Fragen Sie besser nicht.
Der Solist des Tages:
Francois Hollande. Sah zwar ganz schön schick aus in seinem schwarzen (oder dunkelblauen) Dress und dem pfiffigen Teamschal der "Les Bleus", aber so ganz ohne die deutsche Hosenanzug-Mutti wirkte der französische Staatspräsident dennoch ein wenig traurig.
So war's im Stadion:
Willkommen in der Lärmhölle zu Marseille! Was die Fans der Gastgeber im mit 67.000 Zuschauern gefüllten Stade Vélodrom bei ambitionierten 27 Grad veranstalteten, war schlichtweg titelreif, berichtet n-tv.de-Spielbeobachter Stefan Giannakoulis. Den vorläufigen Höhepunkt erreichte der Lärmpegel im mit seinen wellenförmigen Dach interessantesten Stadion dieser EM, als Antoine Griezmann direkt vor dem Halbzeitpfiff den Elfmeter zum 1:0 für Frankeich verwandelte. "Allez les Bleus!" Die Fans aus Deutschland, zahlenmäßig weit unterlegen, hielten wacker dagegen - nachdem das mit dem Auswickeln der überdimensionierten schwarz-rot-goldenen Fahne vor dem Anpfiff nur so halb geklappt hatte. Vielleicht muss Coca Cola da noch mal investieren. Apropos gelenkte Stimmung: Ebenfalls vor der Partie hatten die Stadionanimateure, zur Sicherheit zweisprachig, alle Besucher aufgefordert, wenigstens gemeinsam zu klatschen und als Reminiszenz an die Isländer das legendäre "Huh" zu rufen - was dann auch fast alle brav taten. Aber zugegeben: Das klang schon eindrucksvoll. Ansonsten singt der Franzose zu fast jeder Gelegenheit sehr laut und sehr gerne die Marseillaise - und das nicht nur beim Halbfinale in der Hafenstadt am Mittelmeer.
So war der Schiedsrichter:
Unsere Schiedsrichter-Experten von "Collinas Erben" meinen: Nicola Rizzoli bewahrte auch in hektischen Phasen die Ruhe, hielt sich wohltuend im Hintergrund und ließ sich von niemandem aus den Konzept bringen. Der Elfmeterpfiff für Frankreich in der Nachspielzeit der ersten Hälfte war absolut korrekt, da Schweinsteiger seine Arme in eine unnatürliche Höhe gebracht und zudem seine Körperfläche vergrößert hatte - beides sind regeltechnische Kriterien für ein absichtliches Handspiel. Dass es fünf Minuten zuvor keinen Strafstoß für die deutsche Elf gab, war ebenfalls vertretbar, weil sich Pogba und Schweinsteiger gegenseitig festgehalten hatten. Bei Pogbas Fußeinsatz gegen Kroos in der 21. Minute, der ganz knapp vor der Strafraumgrenze erfolgte, hätte der italienische Referee allerdings einen Freistoß für die DFB-Auswahl pfeifen müssen. Insgesamt souverän, mit guter Linie bei der Beurteilung von Zweikämpfen, eleganter Körpersprache und gewohnt starker Akzeptanz. Auch Rizzolis Kooperation mit den Assistenten und Strafraumrichtern war vorzüglich, insbesondere bei Schweinsteigers schwer zu erkennendem Handspiel.
Quelle: ntv.de