Bei Real Unmögliches geschafft Alabas Abgang beim FC Bayern war goldrichtig
28.05.2022, 08:01 Uhr
Das Lächeln eines dreifachen Henkelpott-Champions?
(Foto: REUTERS)
Real Madrid greift in der Champions League mal wieder nach dem Titel. Favorit ist die Mannschaft gegen den FC Liverpool indes nicht. Aber was heißt das schon. Mit ihrem Heldenfußball hat der Klub mehrere Sensationen geschafft. Mittendrin: David Alaba, der alles richtig gemacht hat.
David Alaba hat bei Real Madrid etwas geschafft, das eigentlich als unmöglich galt. David Alaba hat nämlich dafür gesorgt, dass Sergio Ramos keine königliche Träne hinterhergeweint wird. Sergio Ramos, diesem Gladiator, dieser Legende, der mit dem ruhmreichen Hauptstadtklub viermal die Champions League gewann. Davon ist der Noch-29-Jährige noch weit entfernt. Meilenweit. Mit den Madrilenen kämpft der Österreicher gegen den FC Liverpool am Abend in Paris (21 Uhr/ZDF, DAZN und im ntv.de-Liveticker) um den ersten Henkelpott mit seinem neuen Arbeitgeber. Favorit ist Real nicht. Aber wann waren sie das in den vergangenen Duellen der Königsklasse schon?
Dass die Königlichen an jenem Ort um die wichtigste Trophäe des Vereinsfußballs spielen, an dem ihre Legende Ramos um die Fortsetzung seiner Karriere kämpft, das ist auch so eine seltsame Pointe dieser seltsam großartigen Mannschaft aus Madrid. Denn eigentlich verweigert sie sich mit ihren alten Granden jeder Fußball-Innovation. Weder ist das Positionsspiel legendär, noch das Pressing. Auch sonst taugt eher nix für Zukunftsseminare. Der Erfolg fußt (1.) auf der Menschlichkeit von Coach Carlo Ancelotti, der seine Spieler auf dem Platz das machen lässt, womit sie sich am wohlsten fühlen. Und er fußt (2.) auf einem bemerkenswerten und wohl einzigartigen Heldenfußball. Mittendrin: David Alaba, der alles richtig gemacht hat.
Klar war das nicht, als er den FC Bayern, den Klub, in dem er groß geworden war, im vergangenen Sommer nach zwölf Jahren verlassen hatte. Sein Wechsel vom so erfolgsverwöhnten Rekordmeister zum taumelnden Giganten der La Liga war durchaus mit dem Risiko verbunden, fußballerisch ein paar Meter abzustürzen. Doch nun, wo die Spielzeit mit dem Endspiel nur noch einen Höhepunkt hat, ändert sich der Blick auf die Entscheidung. Während die Münchner mit wilden Personaldebatten aus einer eher durchwachsenen und emotional turbulenten Saison taumeln, surft Real mit all der Gemütlichkeit von "Coach Carlo" auf einer neuen Erfolgswelle. Wie lange dieser Ritt andauert? Unklar. Die Mannschaft gilt seit Jahren als überaltert und dringend renovierungsbedürftig.
Alte Helden widerlegen Experten
Einzig die Wahrheit weigert sich, diese These der Experten zu belegen. Und so wandelt dieses Real auf surreale Weise erfolgreich am Abgrund, ohne jedoch abzustürzen. Bald vielleicht mit dem nächsten Henkelpott auf den Schultern. Auch, weil es Alaba gibt. Neben dem unfassbaren Startstürmer Karim Benezma ist der Österreicher die wohl wichtigste Stütze in dem Team voller alternder Meister wie Torwart Thibaut Courtois, dem legendären Ewigkeitstrio Luka Modric, Toni Kroos und Casemiro im Mittelfeld sowie ein paar spannenden Talenten um die Brasilianer Vini junior und Rodrygo sowie dem französischen Strategen Eduardo Camavinga.
Der neue Abwehrchef spielt eine bemerkenswerte Saison. Nicht nur weil er den schon legendären Klappstuhl-Jubel in der Königsklasse kultiviert hat. Vor allem mit seiner Ruhe am Ball und seinem cleveren Aufbauspiel hilft er dem Team enorm weiter. Er hat mit seiner Ausstrahlung, seinem Mia-san-mia-Selbstvertrauen und seiner Kommunikationsstärke auch dafür gesorgt, dass nach Ramos kein Führungsvakuum entsteht. Anders als beim FC Bayern - dort wurde der Verlust des Österreichers bis heute nicht aufgefangen. "Er ist auf und neben dem Platz voll angekommen - als ob er schon lange dabei wäre", sagt Toni Kroos über Alaba, den er noch als ganz jungen Kerl aus der gemeinsamen Zeit an der Säbener Straße kennt.
Die Geschichten von Ramos und Alaba bei ihren Herzensvereinen erzählen sich überraschend ähnlich. Die Real-Legende, die 671 Pflichtspiele absolviert und dabei sensationelle 101 Treffer erzielte hatte, machte bei seinem tränenreichen Abgang keinen Hehl daraus, dass die Gründe dafür auf der höchsten Ebene des Klubs liegen. In bemerkenswerter Offenheit erhob er bei seinem offiziellen Abschied Anklage gegen den Präsidenten Florentino Perez und Manager Jose Angel Sanchez. Ramos wäre wirklich gerne geblieben. Der Klub aber wollte nicht (mehr). Vorausgegangen waren sehr zähe Verhandlungen. Mit offenbar lange unvereinbaren Positionen. Ramos lenkte schließlich ein, da war es aber schon zu spät (ohne dass er das wusste), er musste gehen, - und er ging zu Paris St. Germain.
"Zum Glück gibt es noch 88 andere Minuten"
Die Königlichen setzten dagegen auf Alaba. Auch er war in München eine Klub-Ikone. Als Linksverteidiger war er überragend, ebenso wie als Abwehrchef. Aber er hatte sich verpokert. Gier-Vorwürfe wurden unter anderem von Uli Hoeneß erhoben. Der Österreicher wollte damals, vertreten durch seinen Piranha-Berater Pini Zahavi, in den exklusivsten Gehaltszirkel beim Rekordmeister aufsteigen, der Zugang blieb ihm verwehrt. Ob das wirtschaftlich die richtige Entscheidung war, das wissen sie nur in München. Sportlich dagegen war es eine Fehleinschätzung. Die Defensive war die Achillesferse des FC Bayern in dieser Spielzeit. Zwar wurde der Klub souverän Deutscher Meister, zum zehnten Mal in Serie, kassierte aber reichlich Gegentore. Zudem scheiterten die Münchner im Pokal (zweite Runde, 0:5 gegen Borussia Mönchengladbach) und der Königsklasse (Viertelfinale gegen den kleinen FC Villarreal) krachend und fürs eigene Selbstverständnis viel zu früh. Real dagegen unternahm eine erstaunliche Reise durch Europa. Mit einem neuen Anführer. Mit wilden Spielverläufen.
"Wenn man nur ihre letzten Minuten sieht, ist Real unschlagbar. Ihre Comebacks waren beeindruckend", sagt Liverpools Coach Jürgen Klopp über den steinigen Weg des 13-maligen Titelträgers. Seine Hoffnung: "Wenn sie so über 90 Minuten spielen würden, würde es kompliziert. Aber zum Glück gibt es noch 88 andere Minuten."
Als Alaba im Sommer zu den Königlichen gewechselt, als seine Tränen getrocknet waren, da wusste er schnell, was ihn erwarten wird. Anders als einst beim FC Bayern wurde ihm nicht gestattet langsam in die neue Rolle reinzuwachsen. Alaba musste sofort liefern, Alaba musste sofort der Chef sein, Alaba musste Ramos ersetzen. Präsident Perez sagte bei der offiziellen Vorstellung des Österreichers: "Du kommst vom FC Bayern, einem der größten Klubs der Welt, ein befreundeter Verein, mit dem du 28 Titel gewonnen hast. Wir sind sehr froh, auf dich zählen zu dürfen. Heute beginnt für dich eine großartige neue Herausforderung, um die Geschichte unseres Vereins mit weiteren Titeln zu schmücken." Mehr Druck geht wohl kaum. Alaba nahm's gelassen - und lieferte. Kleine, spannende Notiz dazu: In München erlebte der Defensivmann ausgerechnet in der kurzen Ancelotti-Ära seine schwächste Zeit. Wie sich die Zeiten ändern...
Ein ganz anderer Anführer
Alaba ist dabei ein ganz anderer Typ als Vorgänger Ramos. Klar in den Kommandos, elegant im Duell. Er schafft es mit seiner inneren Gelassenheit auch in wildesten Phasen, die Kontrolle zu behalten oder sie zurückzuerlangen. Ramos war dagegen der Typ, der Zeichen setzt. Mit seiner robusten, manchmal arg rüpelhaften Art. 2018 etwa entschied er das Finale ausgerechnet gegen den FC Liverpool mit zwei körperlichen Attacken mit. Nach einem unfairen Zweikampf verletzte sich Stürmer Mo Salah so schwer an der Schulter, dass er nicht mehr weiterspielen konnte. Später krachte Ramos so hart in Torwart Loris Karius, dass sich dieser in Folge zwei folgenschwere Patzer leistete. Wie später herauskam, spielte der Deutsche das Finale in Kiew mit einer Gehirnerschütterung zu Ende.
Ramos hat Geschichte geschrieben. Ob man ihn mag oder nicht. Er ist einer der legendärste Innenverteidiger dieser Zeit. In Paris, so bekannte er vor wenigen Wochen, möchte er nach einem Jahr, in dem 33 Spiele wegen Verletzung verpasste, gerne weitermachen. Überhaupt möchte er noch vier, fünf Jahre auf Top-Niveau spielen. Für Alaba egal, seine Zeit in Madrid ist jetzt. Und er glaubt daran, dass seine Königlichen gegen den FC Liverpool wieder den Pott holen. Wie in Kiew. Er selbst würde ihn bereits zum dritten Mal in die Höhe stemmen. Was für Real gegen Jürgen Klopps Pressing-Sensation spricht? Eigentlich nichts. Und doch so viel. Der Heldenfußball ist unberechenbar, das Vertrauen in die Kraft des Klubs grenzenlos.
"Wir sind Real Madrid. Mit diesem Selbstbewusstsein fahren wir nach Paris, eben um dort zu gewinnen", sagte Alaba dem "Kicker". Dies habe die Mannschaft neben dem Können einzelner Spieler auch in den Runden zuvor gegen Paris St. Germain, Titelverteidiger FC Chelsea und Manchester City zum Erfolg geführt. Die Qualität in der Mannschaft sei sehr, sehr hoch, man habe herausragende Einzelspieler, die Spiele immer und zu jeder Zeit entscheiden könnten. "Hinzu kommt ein sehr spezieller Spirit und Wettkampfcharakter, den haben wir in den K.-o.-Spielen gezeigt. Wir sind eine Mannschaft, die immer zurückschlagen kann, die nie aufgibt."
Quelle: ntv.de