So läuft das Sehnsuchtsfinale BVB gegen Frankfurt - Endspiel für alle
27.05.2017, 11:22 Uhr
Thomas Tuchel könnte mit Borussia Dortmund seinen ersten Titel gewinnen - und steht dennoch vor dem Abschied.
(Foto: imago/Annegret Hilse)
Sehnsucht, Erlösung, Abschied, Auferstehung: Das DFB-Pokalfinale zwischen Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund verspricht keinen Gourmet-Fußball, aber Fußballspektakel. Dafür sorgen die Ausgangslage, BVB-Theater - und Marco Russ.
Worum geht's?
Um jede Menge, dieses DFB-Pokalfinale 2017 zwischen Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund ist gewissermaßen ein Endspiel für alle. Nämlich für …
- … die Eintracht und den BVB, weil es in Form des 52 Zentimeter hohen Pokals einen echten Titel und ein prima Trinkgefäß für eine zünftige Pokalsause zu gewinnen gibt.
- … BVB-Star Marco Reus, weil er mit 27 Jahren trotz immensen Talents und Fußballgott-Status in Japan, Singapur und Brasilien immer noch ohne Titel ist.
- … Niko Kovac, weil so ein Pokalsieg einen Fußballlebenslauf doch erheblich schmücken würde, wie er findet – und weil er mit seiner Eintracht dann außerdem in der Europa League spielen dürfte.
- … BVB-Coach Thomas Tuchel und Starstürmer Pierre-Emerick Aubameyang, weil sie sich in ihren mutmaßlich letzten Spielen für die Borussia spektakulär verabschieden könnten.
- … BVB-Boss Hans-Joachim Watzke, weil er im Fall einer Niederlage keinen Pokalsiegertrainer feuern und nicht nochmal fix hier nachlesen müsste, wie man Umarmungen vermeidet.
- … Freiburg und Hertha, weil sie von einem Dortmunder Pokaltriumph international profitieren würden.
- … die Frankfurt-Dinos Alexander Meier und Marco Russ, die schon bei der letzten Frankfurter Finalteilnahme 2006 gegen den FC Bayern (0:1) dabei waren – und diesmal unbedingt gewinnen wollen.
- … für den Deutschen Leichtathletik-Verband, weil das Pokalfinale beweisen wird: Auch mit Laufbahn kann das Berliner Olympiastadion ein Stimmungstempel sein. Der Haken ist halt oft die Hertha.
Kurzum: Mehr Endspiel war selten. Irgendwer Einwände?
Wie stehen die Vorzeichen?
BVB-Kapitän Marcel Schmelzer ist bei Borussia Dortmund ein Wackelkandidat, seine Muskelverletzung im hinteren Oberschenkel könnte seinen fünften Pokalfinaleinsatz noch verhindern. Bei der Eintracht ist Kapitän und Torjäger Alexander Meier wieder "einsatzbereit", Abwehrspieler Jesus Vallejo ebenso. Die beiden Leistungsträger waren zuletzt ausgefallen und hatten erst am vergangenen Wochenende gegen RB Leipzig (2:2) ihr (Kurz-)Comeback gefeiert. Während Vallejo direkt in die Startelf rücken dürfte, dürfte "Fußballgott" Meier als Joker eingeplant sein.
Die voraussichtlichen Aufstellungen:
Frankfurt: Hradecky - Vallejo, Abraham, Oczipka - Chandler, Hector, Gacinovic, Tawatha - Fabian, Blum - Hrgota
Dortmund: Bürki - Ginter, Sokratis, Bartra, Guerreiro - Sahin, Castro - Dembélé, Kagawa, Reus - Aubameyang
Schiedsrichter: Deniz Aytekin
"Endstation Sehnsucht" hat das Fußballfachblatt "Kicker" zum Pokalfinale getitelt, das trifft die Sache doch vorzüglich. Seit 2012 wartet der BVB auf einen prominenten Neuzugang im Trophäenschrank, für manchen Dortmunder ist das eine kleine Ewigkeit. Der letzte Eintracht-Titel datiert vom 29. Mai 1988. Auch für Nicht-Frankfurter ist das eine große Ewigkeit, 25 von 29 Profis im Eintracht-Kader waren 1988 noch gar nicht geboren. An Leidenschaft und unbedingtem Wollen wird es diesem 74. Pokalfinale also auf beiden Seiten nicht mangeln, ebenso wenig wie an einer klaren Rollenverteilung. Als Bundesliga-Dritter, Bayern-Bezwinger und Abo-Pokalfinalist geht der BVB trotz der hausgemachten Störgeräusche der vergangenen Wochen klar favorisiert ins Endspiel gegen die schwächste Rückrunden-Mannschaft der Liga. Für die ist es allerdings das "Spiel des Lebens". Sagt Verteidiger Timothy Chandler.
Wie ist Eintracht Frankfurt drauf?
"Dass wir es als Eintracht geschafft haben, hierher zu kommen, ist einzigartig." Das hat Coach Kovac vor dem Finale gesagt und damit maßlos untertrieben. Tatsächlich ist es sogar ein mittleres Fußballwunder angesichts der holprigen Rückrunde, die er und seine Frankfurter zusammengekickt haben. Kümmerliche 13 Punkte wurden es letztlich - woraus sie in Frankfurt allerdings große Hoffnung schöpfen. Denn Punkt Nr. 13 wurde am 34. Spieltag erkämpft, nach 0:2-Rückstand gegen RB Leipzig, mit ganz späten Toren in der 83. und 90. Minute, als gefühlter Sieg. "Es hat uns diese Saison ausgezeichnet, dass wir vor allem auch gegen Topmannschaften nie aufgegeben haben, und das haben wir nochmal gezeigt", schickte Kovac nach dem Spiel eine Kampfansage Richtung BVB. Auch wenn es den Frankfurtern in der Rückrunde an Fortune, Toren und Punkten gemangelt hat – Moral ist noch reichlich im Eintracht-Tank.
Wie sind die Dortmunder drauf?
Sportlich herausragend, unsportlich ebenfalls, da gibt es keinen Dissens. Wie Coach Tuchel von seinem Boss Watzke öffentlich demontiert wurde, gezielte Indiskretionen an die willfährige Qualitätspresse und Nicht-Erwähnung beim Saisonrückblick im BVB-Stadionheft inklusive, erinnert an den FC Hollywood – oder an den FC Mobbing. "Gräben so tief wie Gletscherspalten" hat der "Kicker" zwischen Tuchel und Klub ausgemacht, die kolportierte Vertrauensfrage soll es nie gegeben haben. Auch das "Bauchgefühl" von Lothar Matthäus glaubt inzwischen, dass die Risse nicht einmal mit acht Liter Pokalsiegerkitt (mehr passt nicht in den Pott) zu reparieren wären, sind halt "Alphatiere". Sportlich sieht es für Team und Tuchel vor ihrem doppelten Endspiel freundlicher aus. Kapitän Marcel Schmelzer wackelt zwar, aber sonst sind bis auf Julian Weigl alle Stars fit. Nach der vogelwilden 4:3-Achterbahnfahrt gegen Bremen direkt in die Champions League ist man beim BVB aber zuversichtlich, im vierten Pokalfinale in Folge (Rekord!) nicht noch mehr Pokalgeschichte zu schreiben. Denn genau das würde der BVB mit der vierten Niederlage in Finalniederlage in Folge.
Was gibt es sonst noch?
Nach dem bigotten Bierduschenzoff vom Vorjahr diesmal lauter hübsche Geschichten. Vielleicht nicht unbedingt die von der verbotenen Tattoo-Liebe Guillermo Varelas, der deshalb von Frankfurt rausgeworfen wurde und deshalb das Endspiel verpasst. Aber zum Beispiel die vom BVB-Bubi, der in einer Woche mehr Titel gewinnen könnte als der FC Bayern in der ganzen Saison. Gemeint ist Felix Passlack. Am Montag hatte der 19-Jährige mit Dortmunds U-19 den Meistertitel gegen den Bayern-Nachwuchs verteidigt, jetzt könnte er mit den Profis den Pokal holen und sein Double perfekt machen. Oder die von Eintracht-Kapitän Marco Russ, "der Rückkehr eines Helden", wie der britische "Guardian" schreibt. Vor einem Jahr wurde bei Russ Krebs diagnostiziert, es folgten eine Operation, zwei Chemotherapien – und im März 2017 schließlich sein Startelf-Comeback. "Es ist noch kein Jahr her, da habe ich von meiner Krankheit erfahren. Deshalb bin ich megaglücklich, dass wir das Finale erreicht haben und ich sogar ein Teil davon war", sagte Russ, der beim 7:6 im Halbfinalelfmeterschießen in Gladbach vom Punkt getroffen hatte. Das Endspiel in Berlin wird für Russ ein "absolutes Highlight. Sein eigenes Fußballmärchen hat er auch ohne Titel längst geschrieben.
Quelle: ntv.de