Und jetzt? Alle glücklich? Niersbach-Abgang ist nicht nachvollziehbar
10.11.2015, 11:22 Uhr
Plötzlich ist alles anders. Wolfgang Niersbach, der sonst fast immer nach oben schaut, senkt den Blick. Niersbach, der am Montagmorgen noch optimistisch ist, tritt wenige Stunden später als DFB-Chef zurück. Seine Begründung? Unverständlich. Sein Rückzug deswegen nicht nachvollziehbar.
Der Abgang passt ins Bild des katastrophalen Krisenmanagers Wolfgang Niersbach. Der DFB-Präsident tritt zurück. Er tue das, um die politische Verantwortung zu übernehmen. Die Verantwortung für was? Das lässt er offen. Nur so viel: Es seien "Dinge passiert, die in den letzten Tagen erst aufgedeckt wurden". Von Schuld oder gar einem Eingeständnis will Niersbach aber nichts wissen. Er habe im Zuge der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 immer sauber, vertrauensvoll und korrekt gearbeitet. Nun, warum dann also der Rücktritt? Wenn er doch ein Unschuldiger ist, wie er stets betont, warum macht sich Niersbach dann zum Opfer? Warum gibt er jenen Job auf, auf den er in seiner jahrelangen Karriere beim größten Einzelsportverband der Welt immer hingearbeitet hat? Will er jemanden schützen? Seinen Freund Franz Beckenbauer, der immer stärker in den Fokus rückt und dennoch die schweigende Schlüsselfigur gibt?
Die Antwort darauf bleibt Niersbach, gegen den in der WM-Affäre immer noch ermittelt wird, schuldig. Einmal mehr. Wie schon bei der fast mitleidserregenden Pressekonferenz des Deutschen Fußball-Bundes vor knapp drei Wochen - wenige Tage nach der ersten Enthüllungsgeschichte des "Spiegel". Seine Erklärung zum Rücktritt wirft nur neue Fragen auf. Der Skandal um die Vergabe der WM 2006 ist zu Beginn ganz sicher nicht seiner gewesen. Durch seine unglückliche Rolle in den vergangenen Wochen hat er ihn aber zu seinem gemacht - durch eventuelle Lügen, Unwahrheiten, durch Schweigen und die kaum erkennbare Bereitschaft zur Aufklärung.
Warum will Niersbach jetzt erst aufklären?
Er sagt zwar, er habe sich nichts vorzuwerfen. Er sagt, dass er von den Hintergründen der ungeklärten Zahlungsflüsse und einer schwarzen Kasse keine Kenntnisse hatte. Er sagt, er trete zurück, um das Präsidentenamt zu schützen. Und dann sagt er noch - ziemlich bemerkenswert in dem Kontext seiner Erklärung - er werde "nach seinem Rücktritt alles für eine umfassende Aufklärung der Vorgänge beitragen". Gut, aber all das ist ihm nur möglich, in dem er von seinem Amt zurücktritt?
Niersbach beteuert, seine Entscheidung allein und ohne Druck getroffen haben. Und ja, sie ist objektiv betrachtet durchaus nachvollziehbar. Denn sein Krisenmanagement im Sommer und Herbst 2015 taugt nicht, um sich als oberster Befehlshaber eines nach wie vor dringend benötigten Aufklärungsfeldzugs zu profilieren. Nein, Niersbach hat in seiner Rolle als Aufklärer in der WM-Affäre bisher völlig versagt. Nun geht er. Ob das im Zuge der Ermittlungen aufgetauchte und am Montag in der Präsidiumssitzung offenbar erstmals behandelte Schriftstück zum angestrebten Kauf einer Stimme für die WM-Vergabe den endgültigen Ausschlag für Niersbachs Entscheidung gab, dient zwar als Anlass, nicht aber als Begründung - auch wenn dieses Dokument offenbar Beckenbauers Unterschrift trägt.
In der Funktionärskaste fällt sich's weich
Denn wenn Niersbach, wie er auch bei seinem Rücktritt nochmals intensiv betont, von all den Vorgängen nichts gewusst habe, dann wäre es an ihm gewesen jetzt aufzuklären. Ohne Rücksicht auf das, was die Funktionärskaste so oft auszeichnet: Ehrenwörter und Freundschaften. Ein Niersbach als ehrlicher Aufklärer hätte nicht nur seine eigene Position als Chef des mächtigen Verbands gestärkt. Nein, Niersbach hätte so auch dazu beitragen können, verloren gegangenes Vertrauen in mächtige und korrupte Männerriegen langsam zurückzugewinnen.
Diese Chance wird nun vertan und sie wird sogar noch konterkariert. Denn Niersbach, der laut DFB-Präsidium doch, Obacht, so gut vernetzt sei, darf seine Ämter als deutscher Vertreter in den Exekutivkomitees von Uefa und Fifa auf ausdrücklichen Wunsch des Gremiums behalten. Männerfreundschaften eben, Funktionärskaste halt. So bleiben wieder mehr Fragezeichen als vorher und ein Rücktritt, der so begründet keinen Sinn macht. Und die Aufklärung? Die geht unter, mal wieder, wie bei etlichen Fifa-Skandalen zuvor auch. Glücklich macht das nicht. Niemanden.
Quelle: ntv.de