"Collinas Erben" beschwichtigen BVB duselt nur dank Augsburg
08.10.2018, 08:42 Uhr

Dortmunds Kapitän Marco Reus (l.) beschwert sich bei Schiedsrichter Markus Schmidt über ein nicht geahndetes Foul und sieht dafür die Gelbe Karte.
(Foto: imago/Team 2)
Die Video-Assistenten haben nach chaotischem Saisonbeginn eine berechenbaren Linie gefunden - auch wenn Mainz und Stuttgart das am siebten Spieltag anders sehen. In Dortmund fiel die Nachspielzeit üppig aus, allerdings aus benennbaren Gründen.
Als im August der erste Bundesliga-Spieltag dieser Fußballsaison vorüber war, sahen sich die Video-Assistenten heftiger Kritik ausgesetzt. Uneinheitlich und unberechenbar hätten sich die Helfer an den Monitoren in Köln verhalten, hieß es vielfach bei Fans, Klub- und Medienvertretern. Viel zu oft hätten sie sich eingemischt und den Unparteiischen auf dem Feld mehr geschadet als genutzt. Der gute Eindruck, den der Videobeweis bei der Weltmeisterschaft in Russland hinterlassen habe, sei auf nationaler Ebene gleich wieder zerstört worden. Der neue Projektleiter für den Videobeweis beim DFB, Jochen Drees, musste in mehreren Interviews die Wogen glätten. Auch eine personelle Konsequenz zog er: Wolfgang Stark, der zum Auftakt als Video-Assistent gleich zweimal ohne Not interveniert hatte, wurde suspendiert.
Sechs Spieltage später lässt sich festhalten, dass die Aufregung verflogen ist. Die Video-Assistenten sind zu ihrer Linie zurückgekehrt, die sie in der Rückrunde der vergangenen Saison verfolgt hatten und die auch während der WM zu beobachten war: Sie greifen grundsätzlich nur dann ein, wenn eine prüfbare Entscheidung des Schiedsrichters auf dem Feld beim besten Willen nicht mehr zu vertreten ist - und sich das auch nicht erst bei der vierten Superzeitlupe offenbart - oder wenn der Referee einen spielrelevanten Vorgang überhaupt nicht wahrgenommen hat. Weder am sechsten noch am siebten Spieltag wurde eine Entscheidung auf der Grundlage des Videobeweises geändert. Die Eingriffsschwelle liegt wieder hoch, was bei der WM allgemein gelobt wurde.Das schließt nicht aus, dass sich Situationen ereignen, bei denen man trefflich darüber streiten kann, ob eine Intervention nicht doch geboten ist. So wie nach 43 Minuten im Spiel zwischen dem 1. FSV Mainz 05 und Hertha BSC (0:0). Da war der Mainzer Jonathan Burkardt mit dem Ball am Fuß auf dem Weg in den Berliner Strafraum, als ihm Per Skjelbred zuleibe rückte.
"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.
Dieser hielt erst ein wenig mit dem Arm, danach kam es genau auf der Strafraumlinie zu einem leichten Kontakt mit Burkardts rechtem Bein respektive Fuß. Den Ball spielte Skjelbred nicht, der Mainzer fiel hin. Schiedsrichter Daniel Schlager zeigte gleichwohl sofort an, dass für ihn kein Vergehen vorlag und deshalb weitergespielt wird. Der Video-Assistent schritt nicht ein, was manchen verwunderte. Tatsächlich gibt es gute Gründe für die Ansicht, dass der Fußeinsatz des Norwegers ahndungswürdig war. Doch der Unparteiische hatte den Zweikampf aus günstigem Blickwinkel beobachtet und bewertet – und es geht nun einmal nicht darum, dass der Video-Assistent ihm zur besseren von zwei denkbaren Entscheidungen verhilft. Gegenüber dem "Kicker" erläuterte Projektleiter Drees den Entscheidungsprozess in Mainz: "Schiedsrichter Daniel Schlager hat die Szene live bewertet und Video-Assistent Benjamin Cortus mitgeteilt: Ich habe den Kontakt gesehen, er hat für mich nicht ausgereicht, um einen Elfmeter zu pfeifen. Cortus hat daraufhin das Bildmaterial gesichtet und keine Einstellung gefunden, die dieser Einschätzung deutlich widersprach. Es lag also keine klare und offensichtliche Fehlentscheidung des Schiedsrichters vor, deswegen hat der Video-Assistent nicht eingegriffen. Das ist das korrekte und gewünschte Prozedere."
Warum der VfB keinen Handelfmeter bekam
Das gilt auch und erst recht für das Handspiel von Waldemar Anton in der 66. Minute der Partie zwischen Hannover 96 und dem VfB Stuttgart (3:1). Der Kapitän der Niedersachsen hatte nach einem Eckstoß der Gäste den heranfliegenden Ball im eigenen Strafraum beim Versuch, ihn zu stoppen, in gebückter Haltung für einen Sekundenbruchteil zwischen Brust, Unterleib und rechtem Arm eingeklemmt, bevor er ihn wegschlagen konnte. Schiedsrichter Sascha Stegemann hatte freie Sicht auf diese Szene und zeigte sofort an, dass für ihn kein Vergehen vorlag. Tatsächlich konnte man Anton keine Absicht unterstellen, denn die Armhaltung war natürlich, die Körperfläche wurde nicht vergrößert, und es gab auch keine Bewegung des Armes zum Ball. Dass der Unparteiische hier nicht auf Strafstoß erkannte und der Video-Assistent ihm kein On-Field-Review empfahl, war deshalb allemal vertretbar.
Ähnlich knifflig war die Entstehung des Augsburger Führungstores bei der Partie in Dortmund, die der BVB spektakulär mit 4:3 gewann. Nach einer Freistoßflanke in den Strafraum der Gastgeber lag plötzlich der Dortmunder Marco Reus am Boden, dem Augsburger Alfred Finnbogason sprang der Ball an die Hand, bevor er ihn ins Tor schob. Außerdem befand sich sein Mitspieler Martin Hinteregger im Moment der Freistoßausführung im Abseits. Der Video-Assistent hatte also nach der Torerzielung viel zu überprüfen. Am einfachsten zu beurteilen war dabei die Abseitsstellung von Hinteregger, die eindeutig nicht strafbar war, weil er weder den Ball spielte noch einen Gegner beeinträchtigte. Auch das Handspiel von Finnbogason musste nicht geahndet werden, denn der Ball war dem Isländer aus kürzester Distanz an den normal gehaltenen Arm gelangt. Über den Einsatz von André Hahn gegen Reus dagegen ließ sich streiten. War das noch das übliche Gerangel vor Spielfortsetzungen in Tornähe, das in diesem Fall einfach einen Verlierer hatte? Oder war es ein klares Foul des Augsburgers? Der Video-Assistent entschied sich für Ersteres, wobei es eine Rolle gespielt haben könnte, dass der Zweikampf abseits des Balles stattfand und auf die Torerzielung letztlich keinen Einfluss hatte. Wenn man eine hohe Eingriffsschwelle befürwortet, dann war es nachvollziehbar, dass es hier nicht zu einer Intervention kam.
Übertriebene Nachspielzeit in Dortmund?
Diskussionen gab es auch über die Nachspielzeit in diesem atemberaubenden Match, die von Schiedsrichter Markus Schmidt auf vier Minuten bemessen worden war. Weil der Dortmunder Siegtreffer zum 4:3 durch einen direkt verwandelten Freistoß von Paco Alcácer erst nach deutlich mehr als fünf Minuten fiel, mutmaßten einige eine Bevorzugung des BVB durch den Unparteiischen. Der allerdings hatte nach 93 Minuten und 53 Sekunden für alle erkennbar einen Daumen in die Luft gereckt, um anzuzeigen, dass sich die Zugabe um eine Minute verlängert.
Zu Recht, denn der Augsburger Torwart Andreas Luthe hatte sich gleich zweimal bei einem Abstoß sehr viel Zeit gelassen, nämlich 30 und 42 Sekunden. Nach 94 Minuten und 22 Sekunden foulte Sergio Cordova den Dortmunder Achraf Hakimi – und zwar so heftig, dass es dafür richtigerweise die Gelbe Karte gab. Die Freistoßausführung nahm knapp eine Minute in Anspruch, doch kein Schiedsrichter auf diesem Niveau würde sie nicht mehr zulassen, wenn die verlängerte Nachspielzeit abgelaufen ist – schon gar nicht, wenn es erneut nicht die zum Freistoß berechtigte Mannschaft ist, die es alles andere als eilig hat.
Der Schiedsrichter hat in dieser Situation also korrekt gehandelt, was auch der Augsburger Trainer Manuel Baum so sah. Er kritisierte nicht den Referee, sondern "zwei, drei Unachtsamkeiten" seines Teams. Das Foul von Cordova in der Nachspielzeit gehörte auch dazu.
Quelle: ntv.de