Collinas Erben

"Collinas Erben" retten Referee-Ehre Schmidt zickt rum, Schmadtke wird böse

IMG_ALT
Roger Schmidt war mit der Schiedsrichter-Entscheidung so gar nicht zufrieden - das hatte harte Konsequenzen für ihn.

Roger Schmidt war mit der Schiedsrichter-Entscheidung so gar nicht zufrieden - das hatte harte Konsequenzen für ihn.

(Foto: imago/DeFodi)

Ein nicht erkanntes Hand-Tor, bockige Trainer, Ärger mit den Vorgesetzten und immer wieder öffentliche Schelte – die Schiedsrichter haben eine Saison hinter sich, die oft wenig harmonisch verlief. Bisweilen war die Kritik jedoch überzogen und drängte positive Entwicklungen sowie gute Leistungen in den Hintergrund. "Collinas Erben" ziehen Bilanz.

Aufsteiger der Saison: Weil nach der vergangenen Saison aus Altersgründen zwei und nach dieser Spielzeit drei erfahrene Unparteiische aufhören mussten (nach der kommenden werden es sogar vier sein), ist die Schiedsrichter-Kommission des DFB gezwungen, der Gilde der Elitereferees frisches Blut zuzuführen. Deshalb stieg vor Beginn dieser Spielzeit Benjamin Brand ins Oberhaus auf – und schlug sich in seiner Premierensaison vorzüglich –, nach der Winterpause gesellte sich überdies auch Patrick Ittrich zu den Erstliga-Spielleitern. Außerdem ging der DFB daran, einige Schiedsrichter, die zuvor nicht zur "ersten Garde" zählten, vermehrt einzusetzen und auch zu Spitzenspielen heranzuziehen. Der Gradmesser schlechthin sind dabei die Begegnungen zwischen Bayern München und Borussia Dortmund. Das Hinspiel in der Münchner Arena leitete erstmals Marco Fritz, das Rückspiel Tobias Stieler – auch für ihn war es eine Premiere. Beide zeigten tadellose Leistungen und rechtfertigten das in sie gesetzte Vertrauen. Fritz wurde deshalb auch mit dem Pokalfinale dieser beiden Klubs am kommenden Samstag in Berlin betraut. Der Umbruch scheint zu gelingen.

Collinas-Erben.jpg

Sorgenkind der Saison: Dass Bastian Dankert für das Eröffnungsspiel dieser Saison zwischen dem FC Bayern und dem Hamburger SV nominiert wurde, war ein klares Zeichen dafür, dass der DFB auch auf den 35-jährigen Referee aus Rostock verstärkt zu setzen gedenkt. Dankert machte seine Sache ordentlich und pfiff auch in den nächsten drei Partien gut. Das nicht erkannte, spielentscheidende Hand-Tor von Leon Andreasen in der Begegnung zwischen dem 1. FC Köln und Hannover 96 am neunten Spieltag brachte ihn jedoch derart in die Kritik, dass er anschließend Mühe hatte, wieder auf die Beine zu kommen. Bei seinem nächsten Einsatz im Spiel der Bayern gegen Stuttgart hätten zwei der vier Münchner Tore wegen Abseits eigentlich nicht zählen dürfen, ein regulärer Treffer des VfB dagegen wurde annulliert. Doch Dankert fing sich und bot in der Folge ansprechende Leistungen, bevor er in der Partie des SV Darmstadt 98 gegen den FC Augsburg erneut zweimal danebenlag, als er erst einem regulären Tor der Gäste die Anerkennung verweigerte und den Augsburgern wenig später einen höchst zweifelhaften Strafstoß zusprach. Insgesamt zu unbeständig und noch nicht bereit für die ganz großen Aufgaben.

Collinas Erben

"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.

Showdown der Saison: Die Bundesliga erlebte auch in ihrer 53. Saison noch Premieren, eine davon war ausgesprochen unerfreulich: Am 22. Spieltag weigerte sich erstmals ein Trainer, einem Tribünenverweis des Schiedsrichters zu folgen. Felix Zwayer hatte Roger Schmidt in der 65. Minute des Spiels zwischen Bayer 04 Leverkusen und Borussia Dortmund nach wiederholten lautstarken Reklamationen per Fingerzeig von der Seitenlinie verbannt. Doch der Coach der Gastgeber weigerte sich standhaft, zu gehen und verlangte vom Unparteiischen mit herrischen Gesten eine Begründung für den Verweis. Als auch der daraufhin eingeschaltete Leverkusener Kapitän Stefan Kießling nichts auszurichten vermochte, schickte der Referee beide Teams kurzerhand in die Kabinen und unterbrach die Begegnung für neun Minuten. Danach hatte Schmidt ein Einsehen, andernfalls wäre die Partie vorzeitig beendet worden. Der Übungsleiter wurde vom Sportgericht des DFB für drei Spiele gesperrt, zwei weitere sind bis zum Ende der kommenden Saison zur Bewährung ausgesetzt. Herbert Fandel, der Vorsitzende der Schiedsrichter-Kommission, begrüßte Zwayers Vorgehen: "Es kann nicht sein, dass der Trainer eine Entscheidung ignoriert und eine persönliche Erklärung des Unparteiischen durch sein Verhalten erzwingen will."

Fair-Play der Saison: Dass man als Coach auf strittige Entscheidungen des Schiedsrichters auch ganz anders reagieren kann, demonstrierte der Hoffenheimer Trainer Julian Nagelsmann am folgenden Spieltag. Sein Spieler Sebastian Rudy war von Referee Peter Sippel in der Partie bei Borussia Dortmund nach einer Grätsche des Feldes verwiesen worden – eine harte Sanktion, die bei der TSG für einigen Unmut sorgte, zumal die Mannschaft in Unterzahl ihre Führung nicht halten konnte und das Spiel schließlich verlor. Nagelsmann konnte Sippels Maßnahme trotzdem nachvollziehen. Im Interview nach dem Schlusspfiff sagte er: "Rudy will ein kleines taktisches Foul machen. Es sieht dann schon rüde aus, weil er von hinten in die Beine geht. Ich glaube, es ist eine vertretbare Rote Karte, die man nicht zu hundert Prozent geben muss. Aber man kann sich auch nicht beschweren, dass der Schiedsrichter sie gibt." So viel Verständnis für die Spielleiter war in der abgelaufenen Saison selten.

Jörg Schmadtke und die Schiedsrichter - eine Liebe wird das wohl nicht mehr.

Jörg Schmadtke und die Schiedsrichter - eine Liebe wird das wohl nicht mehr.

(Foto: dpa)

Umzug der Saison: Weil sich der 1. FC Köln des Öfteren von den Unparteiischen benachteiligt fühlte und der damit verbundene Ärger das eine oder andere Mal zu Streit mit den Vierten Offiziellen führte, ergriffen Trainer Peter Stöger und Sportchef Jörg Schmadtke eine ungewöhnliche Maßnahme: Sie zogen einfach um. Seit Anfang März sitzen die beiden wie auch die Co-Trainer Manfred Schmid und Alexander Bade nicht mehr in der Nähe der Mittellinie, sondern am anderen Ende der Bank und damit rund 20 Meter weiter weg vom vierten Schiedsrichter. "Wenn wir räumlich so weit von den Vierten Offiziellen entfernt sind, wird vielleicht nicht jedes Wort, das über unsere Lippen kommt, von ihnen in die Waagschale gelegt", begründete Stöger diesen Schritt. "Sie bekommen es dann ja nicht mit. Damit können wir es uns vielleicht etwas leichter machen." Tatsächlich gab es anschließend weniger Reibereien mit den Helfern der Referees und Schmadtke musste auch nicht noch einmal blechen wie in der Hinrunde, als er Schiedsrichter Guido Winkmann und seine Assistenten als "Eierköppe" bezeichnet hatte und dafür zu einer Geldbuße verurteilt worden war.

Überraschung der Saison: Wenige Tage vor dem Ende der Winterpause kündigte Herbert Fandel gänzlich unerwartet seinen Rücktritt vom Amt des Schiedsrichter-Chefs zum Saisonende an – aus "persönlichen Gründen", wie er sagte. Gerüchte, es gebe einen internen Machtkampf mit Hellmut Krug, dem Schiedsrichter-Manager der DFL, wiesen beide vehement zurück. Nicht dementiert wurden dagegen Medienberichte, nach denen aus den Reihen der Bundesliga-Referees bei deren Wintertrainingslager heftige Kritik an Krug und Fandel geäußert worden war. Krug sollen undurchsichtige Schiedsrichter-Beurteilungen und Mobbing vorgeworfen worden sein, an Fandel soll es wegen seines Führungsstils Kritik gegeben haben. Bereits nach dem letzten Hinrundenspieltag hatte sich der DFB-Referee Manuel Gräfe im "Aktuellen Sportstudio" ungewohnt deutlich geäußert. Er beklagte einen Mangel an Professionalität im Schiedsrichterwesen und warf der Führungsriege der Unparteiischen vor, sich in kritischen Situationen nicht genügend vor die Schiedsrichter zu stellen.

Unsitte der Saison: Gleich fünf Darmstädter handelten sich vor dem vermeintlich aussichtslosen Spiel gegen den FC Bayern erkennbar vorsätzlich Gelbsperren ein, beim SV Werder waren es wenig später deren zwei. Anders als die Hessen schwiegen die Bremer allerdings nicht, sondern bekannten sich mehr oder weniger offenherzig zu ihren Taten. Deshalb ermittelte das DFB-Sportgericht, verzichtete jedoch auf zusätzliche Sperren und verhängte lediglich Geldstrafen. "Uns ist bekannt, dass man sich in der Bundesliga schon mal eine Gelbe Karte abholt, wenn die Schwiegermutter Geburtstag hat oder wenn man Nachwuchs erwartet oder einem die Busreise zum nächsten Spiel zu weit vorkommt", sagte Hans E. Lorenz, der Vorsitzende des Sportgerichts. Ein derartiges Verhalten sei jedoch unsportlich und daher nicht zu akzeptieren. Man habe aber für die Ehrlichkeit der beiden Bremer "große Sympathie" und sich deshalb für eine milde Strafe entschieden. In der Praxis dürfte das allerdings dazu führen, dass ein Spieler künftig eher tritt, als seinen Gegner am Trikot festzuhalten, und nach dem Spiel den Mund hält. Ob das im Sinne der Regeln ist?

Fazit der Saison: Nach dem Tribünenverweis für Roger Schmidt sprach Schiri-Chef Herbert Fandel Klartext: "Wir haben den Tiefpunkt einer leider erheblich negativen Entwicklung erlebt. Es ist respektloser geworden, in einer Art und Weise, die nicht länger akzeptabel ist. Seit Beginn der aktuellen Spielzeit befinden wir uns sichtlich in einer Negativspirale. Die Schiedsrichter werden dabei immer häufiger zum Alibi. Jede kleinste Entscheidung wird kritisiert und überhöht." Tatsächlich wurden die Unparteiischen so häufig kritisiert wie selten zuvor – oftmals zu Unrecht oder doch zumindest in überzogener Weise –, und manch einer, wie etwa der Leverkusener Sportdirektor Rudi Völler, goss dabei auch noch lieber Öl ins Feuer, als den Brand zu bekämpfen. Es sei für die Referees schwieriger geworden, Zugang zu den Trainern zu finden, findet auch Knut Kircher, der seine Schiedsrichter-Laufbahn nach dieser Saison aus Altersgründen beenden musste. Mit einer beständig wiederholten Forderung müssen sich die Unparteiischen nun immerhin nicht mehr herumschlagen: Der Videobeweis, der nach umstrittenen oder falschen Pfiffen immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurde, ist seit Anfang März beschlossene Sache und wird zunächst zwei Jahre lang getestet. Eine Entscheidung, die auch die DFB-Schiedsrichter-Kommission mittlerweile ausdrücklich begrüßt.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen