Olympia

Koreas Handschläge der Hoffnung Ein perfekter Olympia-Abend zum Vergessen

Olympia-Eröffnung mit Pfiff - auch für die "Olympischen Athleten aus Russland".

Olympia-Eröffnung mit Pfiff - auch für die "Olympischen Athleten aus Russland".

(Foto: REUTERS)

Für zwei Momente sind sich Nord- und Südkorea bei der Olympia-Eröffnung ganz nah: Es sind zwei Handschläge der Hoffnung, die den Sport für einen Moment wieder wichtig machen und viele Sorgen vergessen lassen. Leider auch Probleme.

Es ist ein wirklich schöner Abend in Pyeongchang. Und ein sehr kalter. Nicht unmenschlich kalt. Zumindest laut Handy-Thermometer (das sagt -5 Grad) nicht. Es kann auch gar nicht unmenschlich kalt gewesen sein, sonst wäre nämlich mindestens Tongas stolzer Fahnenträger Pita Taufatofua bei der Eröffnungsfeier der 23. Olympischen Winterspiele erfroren. Was er auf seiner Oben-Ohne-Stadionrunde aber nachweislich nicht ist. In seinem Baströckchen. In seinen Flip-Flops. Mit seiner nackten, geölten Brust. Thomas Bach trotzte dem olympischen Frost ebenfalls, mit dicker Daunenjacke indes, extrem gelassen zudem. Und er trotzte auch dem Wind, der die gefühlte Temperatur doch noch sehr nah an das prognostizierte Minus-20-Grad-Horrorszenario blies. Denn für Thomas Bach war es ein besonders schöner Abend. Wann kommt es schon mal vor, dass das IOC und sein Präsident nicht medial - meist gut begründet - kritisiert werden?

Ein historischer Handschlag.

Ein historischer Handschlag.

(Foto: AP)

Der Gigantismus der Olympischen und Paralympischen Spiele mit seiner aufs Minimum maximierten Nachhaltigkeit. Das vom IOC bizarr beschönigte und als systemischer Betrug verharmloste Staatsdoping in Russland. Das zähe sportjuristische Chaos um eigentlich gesperrte russische Sportler. All die schweren und schwerwiegenden Lasten der Anklage wurden dem Präsidenten und seinem Komitee an diesem Abend in Pyeongchang überraschend leicht und wie selbstverständlich von den Schultern genommen. Den Koreas sei Dank, beiden Koreas. Und insgeheim dankte Bach sich vielleicht auch selbst in seiner selbstgewählten Rolle als olympischer Friedensstifter. Das sagte er aber nicht, zumindest nicht mehr.

Nicht an diesem Abend, als sich Südkoreas Staatspräsident Moon Jae In und Kim Yo Jong, die Schwester von Nordkoreas Diktator Kim Jong Un, historisch die Hand reichten. Als die beiden Staaten unter neutraler Vereinigungsflagge gemeinsam einmarschierten, laut bejubelt. Als die Eishockeyspielerinnen Park Jongah aus dem Süden und Jong Su Hyon aus dem Norden, die in einem Team antreten werden, zusammen die Fackel an die südkoreanische Eiskunstlauf-Ikone Kim Yuna übergaben, die das Feuer schließlich auf Kufen gleitend entzündete. Als die Versöhnung der getrennten Staaten zumindest für einen Augenblick präsenter war als die seit Jahren angedrohte Atombombe des Nordens.

Viel Pathos, große Erwartungen - und dann?

Als der zuletzt kaum eine öffentliche Blamage auslassende Bach die Hauptrolle am Mikrofon übernahm, sagte er: "Der Einmarsch ist ein Beispiel für die einzigartige Kraft des Sports, Menschen zu vereinen. Alle Athleten um mich herum, alle Zuschauer hier im Stadion und alle Olympia-Fans, die rund um die Welt zuschauen, wir alle sind von dieser wunderbaren Geste berührt. Wir alle schließen uns Ihnen an und unterstützen Sie in Ihrer Friedensbotschaft." Da waren sie plötzlich wieder, der Pathos, die Überhöhung und die großen Erwartungen, mit denen der Sport von seinen Funktionären so gern überladen wird.

IOC-Präsident Thomas Bach wärmte sich am olympischen Pathos.

IOC-Präsident Thomas Bach wärmte sich am olympischen Pathos.

(Foto: dpa)

Nun ist es aber nicht so, dass sportliche Handschläge, Einmärsche und Teambuildings zwingend politisch verkrustete Widerstände brechen - auch wenn es das bereits gegeben hat, wie die "Zeit" recherchiert hat. Anfang der 1970er-Jahre begründete die Freundschaft zweier Tischtennisspieler aus den USA und China die Ping-Pong-Diplomatie, an deren Ende Richard Nixon als erster US-Präsident China besuchte. Oder 1955, als die westdeutsche Fußballnationalmannschaft zum ersten Mal nach dem Krieg in der Sowjetunion spielte und den Weg für den Besuch von Konrad Adenauer in Moskau ebnete, der sodann die letzten deutschen Kriegsgefangenen auslöste. Fest eingeplant dürfen solche politischen Kollateralerfolge des Sports zwar nicht werden. Aber die Beispiele und der Handschlag machen doch Mut, dass es vielleicht doch mehr werden könnte in Südkorea als Placebo-Diplomatie. Mut und Hoffnung.

Eine andere Hoffnung blieb dagegen unerfüllt: Die auf Einsicht beim IOC, dass man Fehler gemacht hat, ziemlich viele. Zum Beispiel in der Behandlung oder eben Nicht-Behandlung des russischen Staatsdopings. So kritisierte Travis Tygart, Chef der US-Anti-Dopingbehörde Usada, noch kurz vor der Eröffnungsfeier im Gespräch mit n-tv.de: "Das Versagen des IOC, Russlands beispiellosen Angriff auf das Fairplay schnell und entschlossen aufzuklären, hat das öffentliche Vertrauen in die Spiele untergraben. Sportfunktionäre predigen seit Jahren: 'Vertraut uns!' Aber es folgen keine Maßnahmen, um die Bedenken sauberer Athleten zu entkräften."

Ein eisiges "Stay clean" muss reichen

Diese Maßnahmen gab es von Bach auch bei der Olympia-Eröffnung nicht. Russlands beispiellose Attacke auf Olympia war dem Olympia-Boss keine Silbe wert, lediglich ein eisiges "Stay clean" kam als Appell. Die Reaktion: Zaghafter Applaus. Nicht zaghaft, sondern deutlich wahrnehmbar waren dafür die Pfiffe, als die 168 zugelassenen russischen Sportler als "Olympische Athleten aus Russland" in biederer Teamkleidung ohne nationale Insignien ins mit 35.000 Zuschauern voll besetzte Olympiastadion einliefen. Das übrigens wird direkt nach den beiden Spielen wieder abgebaut, die Maßeinheit olympischer Nachhaltigkeit beträgt auch in Südkorea nur Wochen.

Die Eröffnungsshow geriet angesichts der großen politischen und der ausbleibenden sportpolitischen Gesten fast ein wenig zur Nebensache. Schade. Denn den Koreanern war es bemerkenswert gut gelungen, die Zuschauer mit einer prächtigen, farbenfrohen, aber gut dosierten und nicht ausufernden Fantasiereise durch Kultur und Geschichte des Landes zu führen. Als die Luftballon-Friedenstauben zu den Klängen von John Lennons "Imagine" in die Freiheit entlassen wurden, durfte noch einmal kurz ihrer unglücklichen olympischen Vorgänger von den Spielen 1988 in Seoul gedacht werden. Apropos Musik: Selbst Südkoreas sonst so nerviger musikalische Top-Export "Gangnam Style" wurde beim Einmarsch der Nationen so gut verpackt, dass er gar nicht störte, was sich über die sonstige Dauer-Techno-Beschallung leider nicht schreiben lässt.

Kein Störfaktor war hingegen die Abwesenheit von Eisschnellläuferin Claudia Pechstein. Die erfolgreichste deutsche Winter-Olympionikin nämlich verzichtete auf den Einmarsch, offiziell wegen "sportfachlichen Gründen". Durchaus interessant, denn Pechstein war bis Mittwoch noch einer der fünf Kandidaten für das Ehrenamt des deutschen Fahnenträgers gewesen. Sie hatte die Wahl knapp verloren, gegen Eric Frenzel. Und so führte der Kombinierer die Pechstein-lose deutsche Mannschaft - dem koreanischen Alphabet folgend - als neunte Equipe ins Stadion: "Es war ein tolles Erlebnis. Ich werde mich ein Leben lang daran erinnern!", sagte Frenzel. Es war ein schöner Abend für ihn, wie auch für Thomas Bach. Denn es war ein perfekter Abend zum Vergessen.

Quelle: ntv.de

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