Computerspiel "Medal of Honor" Als Taliban Soldaten töten
05.10.2010, 13:18 Uhr
Im kommenden Blockbuster-Computerspiel "Medal of Honor" sollten Spieler gegnerische US-Soldaten als Taliban erschießen können. Es hagelte Protest, sogar der britische Verteidigungsminister schaltete sich ein. Jetzt hat Electronic Arts reagiert und die spielbare Fraktion umbenannt.
Der neueste Teil des Computerspiels "Medal of Honor" erscheint in Deutschland am 14. Oktober. Für wenige Tage können Interessierte jetzt vorab zwei Missionen des Shooters ausprobieren. Schon zuvor hatte Electronic Arts (EA) Details verraten. Daraufhin war es ungemütlich geworden für den Branchenriesen mit Hauptsitz in den USA. Im Multiplayer-Modus sollten Spieler die Steuerung afghanischer Taliban übernehmen können, die US-amerikanische Soldaten erschießen. So war es zumindest geplant.
Nach Bekanntgabe der Einzelheiten reagierte die US Army empört, auf Militärbasen sollte das Spiel nicht an Soldaten verkauft werden. In Großbritannien schaffte es der Aufreger gar bis in die Regierung. Außenminister Liam Fox war "angeekelt", als er davon erfuhr, schrieb der "Guardian". Obendrein rief der konservative Politiker den Einzelhandel zum Boykott des "geschmacklosen" Titels auf. Kulturminister Ed Vaizey beschwichtigte flugs, dies sei nur die persönliche Meinung seines Kabinettskollegen – er fürchtet wohl den Bruch mit der Branche.
Vordergründig waren die Kritiker erfolgreich, EA hat die Fraktion von Taliban in "Opposing Force" umbenannt. Ansonsten ändert sich nichts. Zwei Teams töten sich gegenseitig, Schauplatz ist Afghanistan. Doch der Druck war offensichtlich zu groß, die Angst vor vielen verprellten potenziellen Käufern ebenfalls. Nun lädt das Unternehmen PC-Besitzer zum Probespielen ein – in eben jenem umstrittenen Multiplayer-Modus. Man sei sich "über die Änderungen bewusst", wird ein Sprecher der vom Verteidigungsministerium betriebenen Ladenkette in Blogs zitiert. Ob die US-Armee den Verkauf des Titels nun doch zulässt, ist unklar.
Experte: "Totaler Humbug"
Doch warum die Aufregung? Auch in anderen Titeln werden von Menschen gesteuerte Gegner getötet. Im bekannten Counter-Strike sind es schlicht "Terroristen". Jugendfreigabe in Deutschland: Ab 16 Jahre. In der hiesigen Version von "Medal of Honor" hieß die gegnerische Fraktion bereits bei der Prüfung zur Altersfreigabe "Aufständische", heißt es bei der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK). Electronic Arts sieht das anders: "Die Kämpfer waren auch in der deutschen Version 'Taliban'", so Sprecher Martin Lorber zu n-tv.de: "Das wurde erst gemeinsam mit der internationalen Version geändert."
Für den Spieler ist das kein Unterschied, sagt Computerspielexperte Mark Butler im Gespräch mit n-tv.de. "Es ist totaler Humbug. Die Bezeichnung 'Taliban' hat für die Identifikation mit der Figur überhaupt keine Bedeutung", ist er überzeugt. Vielmehr sei in Mehrspielermodi die Spielmechanik entscheidend: "Beim Shooter ist das Ausweichen, Zielen, Schießen", sagt Butler.
Nach Angaben von EA hatten sich viele Angehörige gefallener US-Soldaten gemeldet, und sich über die "Taliban" in Medal of Honor beschwert. Auch auf Fox News, dem Sprachrohr der konservativen Republikaner im US-Fernsehen, kamen einige von ihnen zu Wort. Immer wieder war von "Respekt" die Rede, von Respekt vor Kämpfenden in einem noch immer andauernden Krieg. So begründet EA auch die Namensänderung kurz vor Veröffentlichung. Schauplatz der vorangehenden Teile der Reihe war immer der Zweite Weltkrieg. "Es regt sich jedoch niemand darüber auf, dass man einen Nazi-Soldaten spielen kann", so Butler. Oder einen deutschen Grenzsoldaten, der womöglich DDR-Flüchtlinge erschießt. Das entsprechende Spiel "1378 (km)" sorgte anlässlich des Tags der Deutschen Einheit für Aufsehen. Allerdings muss in dem Spiel eines Kunststudenten nicht geschossen werden, um das Ziel zu erreichen. Verhaften ist ebenfalls möglich – und sogar die eigene Republikflucht.
US-Armee hilft gern
Der Schlüssel zum Erfolg von Computerspielen ist meist Authentizität. Dabei von einer realen Kriegserfahrung zu sprechen, sei jedoch vermessen, sagt Mark Butler: "Es fehlt der Dreck, der Schweiß, die Ermüdung, die Verletzung, das Ausgeliefertsein, der Gestank, das Blut und der Tod." Für Medal of Honor nahm EA mit über 100 Mikrofonen und Erlaubnis der US Army in einem Manövergelände auf, wie echte Waffen klingen und bezog Soldaten mit in den Entwicklungsprozess ein. Der leitende Grafiker des Spiels sagt: "Wir wollen nicht, dass der Spieler sich wie in einem Film fühlt - sondern als sei er in Afghanistan."
Die Unternehmen in der Branche wissen, dass sie bei der USK besonders vorsichtig sein müssen. Deutschland hat den härtesten Jugendschutzkriterien in Europa, schon häufig mussten Spiele entschärft werden. Bei "Medal of Honor" reduzierte EA die Gewaltdarstellung extra für den deutschen Markt. Das Spiel verzichtet nun auf abgetrennte Körperteile und stellt Treffer am Kopf nicht mehr so realistisch dar. Die USK hat den Titel nur für Erwachsene freigegeben. Weil es eine hohe "atmosphärische Dichte" habe, weil es "intensiv und immersiv" sei – und das alles als "Ego-Shooter in einem glaubwürdigen Kriegsszenario", so Lidia Grashof, die Ständige Vertreterin der Obersten Landesjugendbehörden. Pikant ist, dass in Österreich eine ungekürzte Fassung in Deutsch erscheint – und Spieler diese wohl zunächst auch hierzulande bestellen können.

Auch "Avatar" von Regisseur James Cameron ist nicht so erfolgreich wie der Genreprimus "Call of Duty".
(Foto: REUTERS)
Verboten wurde Medal of Honor nicht. Entscheidend sei, dass eine fiktive Geschichte ist und keine historischen Begebenheiten nachgespielt werde, erklärte die Prüferin im Gespräch mit n-tv.de. "Das Spielsetting ist zu Beginn der militärischen Intervention in Afghanistan im Jahr 2001", so Grashof. In der Spielbeschreibung heißt es: "Schauplatz ist das heutige Afghanistan". Ob der Name bei der Einstufung einen Unterschied gemacht hätte? Das könne man nicht sagen: "Man muss Spiele immer als Gesamtwerk betrachten."
Milliardenumsatz bei der Konkurrenz
In den vergangenen Jahren sind Shooter in realistischen Szenarien immer populärer geworden, allen voran Genreprimus "Call of Duty". Dessen bislang letzter Teil "Modern Warfare 2" kam pünktlich zum Weihnachtsgeschäft im November vergangenen Jahres auf den Markt. In den ersten 24 Stunden nach der Veröffentlichung erzielte das Spiel allein in den USA und Großbritannien 310 Millionen US-Dollar Umsatz. Wenige Wochen später knackte es weltweit die Milliarden-Marke. Als Vergleich: Avatar spielte als erfolgreichster Film aller Zeiten an seinem ersten Wochenende lediglich 75 Millionen US-Dollar in den USA und Kanada ein.
Damit Spiele so erfolgreich sind, vermengen die Programmierer das Medium immer mehr mit filmischen Elementen. Trotzdem werden Computerspiele meist anders bewertet. "Es geht um Handlungen", sagt Mark Butler. Deshalb könnten Computerspiele im Vergleich zum Film oder Büchern relativ wenig erzählen. "Sie bleiben an der Oberfläche und verzichten größtenteils auf Charakterentwicklung", erklärt er. Das neue Medal of Honor will die Marktmacht der konkurrierenden "Call of Duty"-Reihe brechen, auch mit "Opposing Force", mit "Aufständischen" statt Taliban. Nach Angaben von Electronic Arts muss der Konzern mehr als drei Millionen Spiele verkaufen, damit sich der finanzielle Aufwand einigermaßen rechnet.
Quelle: ntv.de