Boykott-Spam älter als Facebook Benzin-Wut doch nur heiße Luft
01.03.2012, 15:01 Uhr
Auch die österreichische Rechtspartei BZÖ rief zum Tankboykott auf, allerdings in der realen Welt, im Parlament.
(Foto: REUTERS)
Der 1. März 2012 sollte als das Datum in die Geschichte eingehen, an dem die Mineralölkonzerne vor den Verbrauchern in den Staub sinken und um Gnade winseln - jedenfalls wenn es nach 1,3 Millionen Facebook-Nutzern gegangen wäre. Natürlich wurde nichts draus - wie schon seit Jahren.
Ein quantitativer Beweis fällt schwer. Aber jeder, der heute an einer Tankstelle vorbeikommt, kann sich davon überzeugen: Es wird gezapft wie an jedem anderen Tag - auch wenn die Preise sich weiter auf Rekordniveaus bewegen. Ob es daran lag, dass der Initiator eines spektakulären Facebook-Aufrufs zu einem Benzin-Boykott am 1. März die Veranstaltung abgesagt hat?
Umgehend ausgerufenen Ersatz-Aktionen blieb jedenfalls auch nur annähernd großer Zuspruch verwehrt: Dort kündigten nicht Millionen ihre Teilnahme an, sondern lediglich ein paar tausend. An einem "Autofreien Sonntag" am 4. März wollen, Stand heute, etwa 3000 Kraftfahrer teilnehmen. Und von denen, die noch vollmundig erklärt hatten, der Boykott werde trotz "Medien-Hetze" ("sicherlich aus Dubai finanziert!") zum Erfolg führen, ist nichts mehr zu vernehmen.
"Auch heute wurde fröhlich getankt"
Der Mineralölwirtschaftsverband weist zwar auf Anfrage von n-tv.de darauf hin, dass zum Mittag ohnehin noch keine Zahlen für den Boykott-Tag vorlägen und erklärt, dass selbst die Industrie - wenn überhaupt - erst am Abend "einen Strich zieht". Aber nach dem "ganz subjektiven Eindruck" von MWV-Sprecherin Karin Retzlaff wurde auch heute "fröhlich getankt".
Sie verweist darauf, dass es in den letzten Jahren immerwieder Boykottaufrufe im Internet gegeben habe - über deren Auswirkungen aber nie irgendwelche Informationen bekannt geworden seien. Wahrscheinlichste Ursache: weil es keine gab.
Kein mistgabelbewehrter Volkssturm
Wer die Kommentare zur n-tv Berichterstattung etwa auf Facebook verfolgte, konnte zwar den Eindruck gewinnen, der wütende Mob werde schon bald wer weiß was anstellen, wenn nicht der Benzinpreis wenigstens um fünf Cent gesenkt würde. Bilder von Arabellion und mistgabelbewehrtem Volkssturm stiegen vor dem geistigen Auge auf.
Dabei macht ein Blick auf die Hoax-Seite der Technischen Universität Berlin sofort klar: alles heiße Luft. Quasi wortgleiche Aufrufe - gleich ob von Braunen lanciert oder nicht - gibt es bereits mindestens seit dem Jahr 2000. Nur nutzte man damals noch die gute alte Kettenmail. Facebook war ja noch nicht erfunden.
Womit keineswegs gesagt werden soll, dass soziale Netzwerke per se nutzlos seien - oder dass die Verbraucher keine Macht hätten. Auch wenn dem viel zitierten "arabischen Frühling" eben kein "Sommer der Demokratie" folgte: Vernetzung, Informationsaustausch und Transparenz bergen trotz aller Kritik durchaus großartige Chancen - für die Menschheit genauso wie für jeden einzelnen. Aber es ist einfach nicht damit getan, irgendwo ein "Gefällt mir" oder "Ich nehme teil" anzuklicken.
Die wunderbare Kraft der neuen Möglichkeiten wird sich entfalten, wenn wir den Worten Taten folgen lassen. Und wenn die Worte, denen diese Taten folgen, mehr sind, als in Kommentarspalten gekübelte wutschäumende Halbsätze. Auf der oben verlinkten Seite der TU gibt es - ebenfalls seit Jahren - unter der Überschrift "Was aber kann mensch tun, um Geld zu sparen?". Da steht alles, was man eigentlich sowieso schon wusste oder mindestens ahnte. Schlicht, knapp und inklusive weiterführender Informationen und Links. Nur umsetzen muss es eben jeder selber.
Quelle: ntv.de