Technik

Wenn Gewalt die Utopie zerreißt Bioshock, ein politisches Plädoyer

Elizabeth begleitet den Spieler auf seinem Abenteuer.

Elizabeth begleitet den Spieler auf seinem Abenteuer.

(Foto: Promo)

In einer Stadt über den Wolken verehren die Menschen die US-amerikanischen Gründungsväter als Götter. Die einen sind weiß, rassistisch und fortschrittsgläubig, die anderen kommunistisch. Eines haben alle in Columbia gemeinsam: die Gewalt. Bioshock Infinite ist ein eindrucksvolles Spiel, das den USA ein Spiegelbild ihrer gescheiterten Utopie präsentiert.

Bioshock Infinite begeistert momentan die Spielewelt. "Absolut brillant", sagen viele, andere nennen es das "Spiel des Jahrzehnts". Die Durchschnittswertung der Tester liegt bei selten erreichten 95 Prozent. Was den Actiontitel so besonders macht, ist nicht nur seine Grafik, sein Design oder der Spielfluss. Es ist der Finger, den der US-Entwickler Irrational Games fortwährend in die Wunden des eigenen Landes legt. Und die möglichen Schlüsse daraus, warum eine gesellschaftliche Utopie nicht zur Realität wurde.

Utopischer Entwurf in den Wolken: Columbia.

Utopischer Entwurf in den Wolken: Columbia.

(Foto: Promo)

Am Anfang ist es ein bisschen wie ein Déjà-vu: Wieder ist es ein Leuchtturm, der aus der stürmischen See auftaucht, wie im umjubelten ersten Teil von Bioshock vor sechs Jahren. Wieder ist der Spieler zunächst auf sich allein gestellt, bekommt diese typische, beklemmende Atmosphäre zu spüren. Diesmal geht es jedoch nicht in die Tiefe, in die Stadt Rapture am Meeresgrund. Stattdessen in die Wolken nach Columbia, wo der gleißende Sonnenschein optisch das Paradies verspricht. Detektiv Booker DeWitt hat Anfang des 20. Jahrhunderts den Auftrag, dort eine Frau namens Elizabeth zu entführen.

Der Glaube an den Propheten Zachary Comstock, der in die Wolken aufstieg, ist in Columbia allgegenwärtig. Dort wartet Comstock auch auf DeWitt, als er hinauffährt in einem surrealen Aufzug. Er wird empfangen in einem Tempel mit Gläubigen, die in weißen Roben andächtig durch Wasser waten. Sie lassen ihn nicht vorbei, zunächst muss er sich zu ihnen bekennen. Die Szene ist mehr als ein Wink auf das, was den Spieler erwartet.

Ideologie vs. Menschlichkeit

Religion ist in Bioshock verwoben mit Politik: Überall sind Gemälde der als Götter verehrten US-amerikanischen Gründerväter Lincoln, Washington und Jefferson zu sehen. In ihrer Überhöhung stehen sie auf einer Stufe mit dem Propheten Comstock. Diesem Quartett steht in Columbias Gesellschaft die Vox Populi entgegen. Einwohner mit kommunistischen Idealen der Gleichheit des Menschen, unabhängig von seiner Herkunft. Ein Extrem, das moralisch ebenso verdorben ist von ihrem Streben nach Macht und dem daraus resultierenden Konflikt.

"Ich untersuche den Punkt, wo sich Ideologie von Menschlichkeit verabschiedet", sagt Ken Levine, der kreative Kopf der Bioshock-Macher. Eine Anspielung auf die Tea Party und ihre Verquickung von Glauben mit dem kompromisslosen Beharren auf Positionen. In Bioshock Infinite ist dieser Punkt die Gewalt. Der Protagonist ist Teil davon, weil er sie erlebt und sie als treibendes Element eines Shooters selbst ausüben muss, um voranzukommen.

Als Spiel funktioniert der dritte Bioshock-Teil wie ein von innen polierter Tunnel, aber doch mit inhaltlichen Brotkrumen, die den Spieler bei Laune halten und ihm vermitteln, er habe Wahlmöglichkeiten. Tatsächlich existieren sie nicht. Immer wieder findet er Bruchstücke von Informationen, kleine Hinweise, mögliche Anknüpfungspunkte an Deutungsmöglichkeiten der Gegebenheiten.

Eine Stadt voller Weißer

Rassismus, ein wiederkehrendes Thema in Bioshock Infinite.

Rassismus, ein wiederkehrendes Thema in Bioshock Infinite.

(Foto: Promo)

Das Staunen über die fantastische Grafik hat bereits vor Betreten Columbias einen faden Beigeschmack. Etwa, als ein Priester den Spieler ohne eine Taufe nicht in die Wolkenstadt lassen will, nicht ablässt und ihn bis zur Bewusstlosigkeit unter die Wasseroberfläche taucht.

In der Erzählung des Spiels führte der Fanatismus des fiktiven Columbia Jahre zuvor zur Unabhängigkeit von den USA; eine Analogie zur realen Segregation der Vereinigten Staaten von der englischen Krone. Und eine zum Glaube an die unbefleckte Kraft neuer Technik, mit einer "White City" in den Wolken als Resultat. Allgegenwärtig ist dabei ein ungutes Gefühl; über ständigen Rassismus, der durch die helle, zunächst perfekt anmutende Fassade des vermeintlich sauberen Fortschritts dringt. Eine Stadt der Weißen, die nach außen die Gründerväter verehrt; ein Mythos, der auch im aktuellen Nordamerika gepflegt wird.

Durch diese Stadt bewegt sich DeWitt erst allein, dann gemeinsam mit Elizabeth, die er auf die Erdoberfläche nach New York bringen soll. Sein weiblicher Kompagnon beugt Dimensionen, findet Lücken zwischen den Realitäten - und verschiebt das Egozentrische aus dem Shooter-Genre in Richtung der Erzählung. Dabei ist der Spieler genreklasssich mit Waffen ausgerüstet, zusätzlich mit Magie, die ihm Maschinen freundlich gesonnen werden lässt oder Macht über Feuer gibt. Die Kombination dieser Elemente ist die übliche, ständige Knobelaufgabe: Wie können die Konfrontationen mit wehrhaften Gegnern effektiv gelöst werden?

Zwischen zwei Polen zerrissen

Leben auf Schienen: Die Ordnungskräfte des Stadtstaates.

Leben auf Schienen: Die Ordnungskräfte des Stadtstaates.

(Foto: Promo)

Die Einheit der Gegner von Nationalismus und Religion, von Columbia gegen DeWitt, hat jedoch Risse. Forciert von der Bewegung, die sich Staat, Polizei und Militär entgegenstellt. Die Angst vor der Vox Populi und ihrer Ideologie von Gleichheit treibt das Regime in die Propaganda. "Columbia ist für uns einer der Hauptdarsteller", sagt Entwickler Shawn Robertson über die Wolkenstadt und ihre Gestaltung. So bewegen sich Waren und vor allem Ordnungskräfte über Schienen zwischen den separat schwebenden Inseln hin und her. Auch das ist symbolisch: die konservativen Kräfte, die sich auf vorgefertigten Pfaden bewegen.

Der Hauptdarsteller und die Vorkommnisse zeigen Gegensätze auf, die als Plädoyer für die politische Mitte verstanden werden können: Die Gefahr liegt im Fanatismus und seiner Gewalt, in der bedingungslosen Positionierung als religiös-konservativ oder der kommunistischen Gegenposition. Freiheits- und religiöse Rhetorik in der Umgebung werden durch den Konflikt absolutistisch.

Der Spieler und Elizabeth versuchen, in dieser nur äußerlich surreal wirkenden Umgebung ihr Ziel zu erreichen - und dabei so unabhängig wie möglich von diesen beiden Polen zu bleiben. Von zwei Extremen, die die Utopie zwischen sich zerreißen.

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Quelle: ntv.de

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