Technik

Virtuelle Debatte - Kommentar Computerspiele und Gewalt

Von Volker Probst

„Panic Room“ ist ein toller Film. Da sind sich mein Kollege und ich einig. Sehr spannend, brillante Kameraeinstellungen, gute Dialoge. Unangefochten führt der Film derzeit die deutschen Kino-Charts an - zu Recht.

In dem neuesten Streifen mit Hollywood-Star Jodie Foster werden zwei Menschen erschossen, ein Mann zum Krüppel geschlagen, zwei Frauen stundenlang terrorisiert und dabei beinahe vergast.

Als Kind schauderte es mich bereits beim Vorspann zum „Tatort“. Krimi-Serien wie „Derrick“ wurden im Abendprogramm ausgestrahlt und waren erst einmal tabu. Heute wird „Derrick“ am Nachmittag gezeigt. Biene Maja, Pinocchio und Wickie sind zu Power Rangers, Mystic Knights und Ninja Turtles mutiert.

Sündenbock Computerspiele?

In der öffentlichen Diskussion steht derzeit aber etwas anderes auf der Abschussliste: Computer-Spiele, vor allem solche, in denen geballert wird. „Ego-Shooter negieren in extremer Weise das Wertesystem unserer Gesellschaft“, sagt die Leiterin der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, Elke Monssen-Engberding. Das mag sein, geht jedoch gleichzeitig - um im Jargon zu bleiben - „zielsicher“ an jeglicher Problembeschreibung vorbei.

Zum einen sind Computer-Spiele wie „Doom“, „Duke Nukem“ oder „Counter Strike“ maximal die Spitze eines Eisbergs. Zum anderen gibt die Aussage der Wächterin über den guten Geschmack keine Antwort darauf, was denn eigentlich die „Grundwerte unserer Gesellschaft“ charakterisiert.

Um nicht falsch verstanden zu werden: „Shooter-Spiele“ stellen Gewalt, Brutalität und Gnadenlosigkeit hemmungslos zur Schau. Spiele-Freaks mögen sich rechtfertigen, dass nicht dies im Zentrum ihres Interesses steht, sondern die Anforderungen an ihr Reaktionsvermögen und ihr taktisches Geschick. Es bleibt jedoch der Fakt: „Shooter-Spiele“ zelebrieren Menschenverachtung.

Mal ganz abgesehen vom Frauenbild, das in diesen Spielen vermittelt wird. Angehörige des weiblichen Geschlechts dienen im Normalfall dazu, vom blutverschmierten Helden aus misslichen Situationen, in die sie leicht bekleidet geraten sind, gerettet zu werden, dem „Ego-Shooter“ bei der Erledigung seines „Jobs“ dazwischen zu quatschen oder - wenn es ganz blöd läuft, und sie wieder einmal im Weg herumstolpern - selbst liquidiert zu werden.

In der tatsächlichen Wirkung ist dies wahrscheinlich oft fataler als die plumpe Gewaltdarstellung. Dass sich der - reale - Unterhaltungswert solcher Spiele nahezu ausschließlich einem männlichen Publikum erschließt, kann nicht verwundern. Wehe dem, der jetzt den in unmenschliche virtuelle Formen gegossenen „Männertraum“ Lara Croft als Gegenbeispiel anführt ...

Computer - unbekannte Wesen

Dass sich nun Entrüstung und Empörung in der Öffentlichkeit den Weg zu bahnen scheinen, kann aber eigentlich nur mit der nach wie vor latenten Scheu vieler Menschen vor Computern und den in diesen schlummernden Möglichkeiten erklärt werden. Denn das einzig Wesentliche, was die virtuelle Welt und die „klassischen“ Medien trennt, ist die Chance zur Interaktivität.

Der Nutzer von „Shooter-Spielen“ verwendet seine Hand, um per Maus, Tastatur oder Game Pad den Abzug der Waffe zu drücken, mit der er seine Gegner auf dem Monitor erledigt. Der „Tatort“-Seher verwendet seine Hand hingegen dazu, ein Glas Bier an den Mund zu führen, während der Fernseh-Kommissar für ihn den Abzug der Waffe drückt, mit der er seine Gegner auf dem Bildschirm zur Strecke bringt.

Negiert diese Form des Gewaltkonsums auch die „Grundwerte unserer Gesellschaft“ oder ist sie nicht längst selbst zu einem solchen Wert geworden?

Was in unserer Gesellschaft los ist ...

„Wir müssen uns die tiefe Frage stellen, was in unserer Gesellschaft los ist, wenn ein junger Mensch solch ein Unheil anrichtet“, erklärte Bundesinnenminister Otto Schily nach der Bluttat in Erfurt.

Traurig, aber wahr: Häufig bringen erst Schock-Erlebnisse Menschen zum Nachdenken. Zur Ehrenrettung vieler Politiker muss jedoch gesagt werden, dass sie auch schon bei „Big Brother“ ins Grübeln gerieten – ohne jedwede Konsequenz versteht sich, außer der, dass letztlich einige von ihnen selbst in den Menschen-Zoo gingen.

Zur Beantwortung der von Schily gestellten „tiefen Frage“ reichen somit einfache Erklärungsansätze a la „Die Computer-Spiele sind schuld“ nicht aus. Die Frage rührt tatsächlich an den Grundfesten der liberalen, weltoffenen und durch Medien geprägten Gesellschaft.

Dass die Herstellung und der Konsum von Gewaltdarstellungen – seien sie real oder virtuell – einen festen Platz in dieser Gesellschaft eingenommen haben, lässt sich durch ein paar aufgeregte Worte nicht zurückdrehen. Zensur und Indizierungen aber bewirken meist genau das Gegenteil – sie wecken den Reiz des Verbotenen.

Auch wenn viele den viel zitierten Ruf nach den Eltern, Lehrern und Vorgesetzten nicht mehr hören können - am Ende lastet die Verantwortung doch vor allem auf diesen. Zu Hause, in den Schulen und am Arbeitsplatz muss abgefedert und die Fähigkeit herausgebildet werden, zwischen Fiktion und Realität einen klaren Schnitt zu machen. Und meist gelingt dies ja auch - jeden Shooter-Spieler zum potenziellen Amokläufer zu stempeln, ist Humbug.

So bitter diese Erkenntnis sein mag: Der freien Gesellschaft bleibt wohl nichts anderes übrig, als sich mit dem immensen Potenzial an Gewaltdarstellung und -konsum zu arrangieren. „Panic Room“ wird sicher auch nächste Woche die Kino-Charts anführen. Wie gesagt: Ein toller Film.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen