Eklat in Madrid Perelman lehnt Field-Medaille ab
22.08.2006, 16:23 UhrDer Mathematiker Grigori Perelman hat eine der höchsten Auszeichnungen in seiner Wissenschaft abgelehnt und damit einen Eklat auf einem internationalen Fachkongress in Madrid ausgelöst. Der Russe akzeptiere die Fields-Medaille nicht und sei daher auch nicht zur Entgegennahme in die spanische Hauptstadt gereist, teilte der Präsident der Internationalen Mathematischen Union (IMU), John Ball, am Dienstag mit. Der 40-Jährige ist der erste Wissenschaftler in der Geschichte, der die renommierte Medaille ablehnt.
Perelman, in der Presse zuweilen als Genie oder "intelligentester Mensch der Welt" bezeichnet, brüskierte damit seine Kollegen aus aller Welt, die in Madrid zum 25. Internationalen Mathematikerkongress zusammengekommen waren. Die Auszeichnung, die häufig mit dem Nobelpreis verglichen wird, vergibt die IMU alle vier Jahre auf ihrem im selben Turnus tagenden Weltkongress.
Der spanische König Juan Carlos überreichte drei weitere Fields-Medaillen an den Mathematik-Professor Andrej Okounkow von der Princeton-Universität in den USA, Terence Tao von der Universität von Kalifornien in Los Angeles sowie an den Franzosen Wendelin Werner. "Die Mathematik hilft uns, die Welt zu verstehen, in der wir leben", sagte Juan Carlos. "Sie trägt außerdem dazu bei, die Zusammenarbeit zwischen Ländern, Gesellschaften und Kulturen zu stärken."
Der aus St. Petersburg stammende Perelman soll eines der schwierigsten Probleme der Mathematik gelöst haben, an dem sich die Experten seit rund 100 Jahren vergeblich die Köpfe zerbrochen hatten. "Wenn sich zeigt, dass meine Beweisführung stimmt, brauche ich keine weitere Anerkennung", sagte der Russe kürzlich Reportern der US-Zeitschrift "The New Yorker". "Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich die Auszeichnung ablehnen werde. Die Medaille ist für mich völlig unbedeutend."
Millionen-Preisgeld verschmäht
Dem Wissenschaftler ist anscheinend nicht nur der Ruhm egal, sondern auch das Geld. Perelman könnte sich berechtigte Hoffnungen auf eine Belohnung von einer Million Dollar machen, die die amerikanische Clay-Stiftung ausgelobt hat. Das Preisgeld soll derjenige Mathematiker erhalten, der die so genannte Poincar-Vermutung beweisen kann. Perelman hat diese Aufgabe, an der sich schon Generationen von Mathematikern vergeblich die Köpfe zerbrochen hatten, möglicherweise bewältigt.
Die Poincar-Vermutung, die der große französische Mathematiker Henri Poincar (1854-1912) vor rund 100 Jahren aufgestellt hatte, ist so kompliziert, dass sie nicht nur für Laien unverständlich ist, sondern auch die Künste vieler Experten übersteigt. Es geht dabei um die Frage, wie die Oberfläche von vierdimensionalen Körpern beschaffen ist. Das Thema hat weit reichende Bedeutung: Experten erhoffen sich davon Rückschüsse auf die Beschaffenheit des Universums.
Poincar-Vermutung bewiesen?
Mehrere Mathematiker hatten bereits geglaubt, den Nachweis erbracht zu haben, mussten aber später Fehler eingestehen. Perelman könnte das Jahrhundertproblem gelöst haben. Er schloss sich daheim in St. Petersburg jahrelang ein, bis er 2002 und 2003 seine Rechnungen im Internet veröffentlichte. Anschließend erläuterte er seine Arbeiten an mehreren Universitäten in den USA. Seither ist er von der Bildfläche der Öffentlichkeit praktisch verschwunden.
In seiner Beweisführung konnte bislang niemand größere Fehler entdecken. "Unter den Wissenschaftlern macht sich die Überzeugung breit, dass Perelman das Rätsel geknackt hat", schreibt die britische Zeitung "The Guardian". Um Anspruch auf die Million Dollar erheben zu können, müsste der Russe seine Arbeiten jedoch in einer anerkannten Fachzeitschrift veröffentlichen. Dazu machte er aber keine Anstalten.
"Geld interessiert ihn nicht im Geringsten", sagten russische Wissenschaftler über ihren Kollegen. Der Spanier Manuel de Len, der Präsident des Mathematikerkongresses, meint: "Perelman ist ein Genie. Er denkt an andere Dinge. Mich erinnert er an den Schachspieler Bobby Fischer."
"Etwas eigene Psychologie"
"Perelman hat die Fields-Medaille abgelehnt, weil er sich von der Gemeinschaft der Mathematiker isoliert fühlt", berichtete Ball. "Er hat eine etwas eigene Psychologie, aber das macht ihn auch interessant. Ich fürchte aber nicht um seine geistige Gesundheit." Perelman wolle nicht das "Aushängeschild der Mathematik" sein. Ball war im Juni nach Petersburg gereist, um Perelman zur Annahme der Auszeichnung zu bewegen. Er berichtete, der Russe habe einen Lehrstuhl als Professor abgelehnt und sei derzeit ohne Arbeit. Nach Medienberichten lebt Perelman am Stadtrand von St.Petersburg bei seiner Mutter.
Die IMU vergibt die nach dem kanadischen Mathematiker John Charles Fields benannten Medaillen seit 1936 alle vier Jahre an zwei bis vier herausragende Mathematiker unter 40 Jahren. Sie sind insgesamt mit umgerechnet rund 10.000 Euro dotiert. Der Franzose Werner, der 1968 in Deutschland geboren wurde, erhielt die begehrte Auszeichnung für Arbeiten zum mathematischen Verständnis physikalischer Systeme. Die Arbeit des Forschers von der Universität Paris-Sud repräsentiere eines der fruchtbarsten Zusammenspiele zwischen Mathematik und Physik, urteilte das Preiskomitee.
Okounkow wurde unter anderem für neuartige wissenschaftliche Ideen ausgezeichnet, die sich nach Angaben der Jury als mächtige Instrumente für die Lösung zahlreicher mathematischer Probleme erwiesen haben. Auch Tao gelte als vielseitiger und origineller Problemlöser, betonte das Preiskomitee. Der Professor der Universität von Kalifornien, dessen Interessen über eine große Breite mathematischer Fachgebiete reichten, besitze einen geradezu überirdischen Scharfsinn.
An dem neuntägigen Weltkongress (22.-30. August) in Madrid nehmen nach Angaben der Veranstalter 3.500 Mathematiker aus 123 Ländern teil.
Quelle: ntv.de