Wirtschaft

Milliardengeschäft CO2-Kontrolle Wie überforderte Unternehmen viel Geld sparen können

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Jede Geschäftsentscheidung ist mit einem CO2-Wert verbunden.

(Foto: picture alliance / Panama Pictures)

Wenn Cozero in der Buchhaltung von Unternehmen vorbeischaut, reichen Excel-Tabellen nicht mehr aus. Denn das Unternehmen von Helen Tacke erfasst und analysiert Emissionsdaten und hilft dabei, den Ausstoß anschließend zu optimieren. Ein aufwändiges und zeitraubendes Unterfangen, wie sie im "Klima-Labor" von ntv verrät. Häufig fehlen die richtigen Daten, weil sie gar nicht erfasst werden müssen. Gibt es sie doch, sind viele Firmen von der schieren Menge und Komplexität erschlagen. Cozero veranschlagt mehrere Monate, bis sie transparent aufgearbeitet sind. Und dann? "Uns fragen viele Unternehmen, ob sie monetär dafür belohnt werden", erzählt Tacke. Nein, werden sie in vielen Fällen noch nicht. Aber die CO2-Preise steigen, der Handel mit Emissionsrechten ist schon jetzt ein Milliardengeschäft.

ntv.de: Cozero bietet ein Klimacontrolling an. Den Begriff kennt man aus der Buchhaltung, aber wie lässt sich denn das Klima überwachen?

Helen Tacke: In der Nachhaltigkeitswelt gibt es tatsächlich viele Parallelen zum Finanzcontrolling. Dementsprechend bauen wir bei Cozero eine Art digitalen Zwilling des Unternehmens auf und bilanzieren auf dieser Basis die Emissionen, also erfassen, analysieren und optimieren sie.

Die Klimafaktoren eines Unternehmens werden behandelt wie ein Budget?

Genau. Bei jeder Einkaufsentscheidung eines Unternehmens fällt ein CO2-Wert an - daher auch die enge Verbindung zur Finanzwelt. Denn dort wird natürlich in der Buchhaltung aufgezeichnet, welche Ausgaben und Produkte ein Unternehmen an unterschiedlichen Standorten hat. Wir setzen uns praktisch auf diese Angaben "drauf", schauen uns die einzelnen Aktivitäten an und schreiben sozusagen einen Emissionswert dahinter. Davon lässt sich anschließend ein Emissionsbudget ableiten: Ich habe einen Ausstoß von 100.000 Tonnen CO2 - was ergibt das für eine Finanzkennzahl, wenn ich den CO2-Preis pro Tonne einsetze?

Wenn ein Papierunternehmen neues Papier bestellt, wird direkt angegeben, wie viel CO2 dabei emittiert wird?

Es wäre wünschenswert, wenn man hinter jedes einzelne Produkt oder jede einzelne Leistung den CO2-Fußabdruck schreiben könnte. Diesen Wert anzugeben, ist auch bald vorgeschrieben. Man muss ihn auch digital teilen können, damit er von Unternehmen zu Unternehmen weitergereicht werden kann. Realität ist aber, dass viele Unternehmen das aktuell noch nicht auf ihre Produkte und Leistungen schreiben können. Dort müssen erst einmal Transparenz und Vergleichbarkeit geschaffen werden: Sind diese Werte, die dort stehen, richtig?

Wie wird der CO2-Ausstoß denn berechnet, wenn die entsprechenden Daten fehlen?

Eine CO2-Berechnung geht immer auf Aktivitätsdaten zurück. Wenn wir in der Buchhaltung bleiben, können das Ausgaben für gewisse Produkte sein, also für Papier, eine Logistikleistung oder jegliche Materialien, die in meiner Produktion benötigt werden. Auch für Reisen. Das sind ausgabenbasierte Emissionsbilanzierungen, also Berechnungen, die mir sagen: Hinter 1000 Tonnen Papier stecken soundso viele CO2-Äquivalente, hinter einem Flug von Berlin nach München stecken diese und jene Emissionen. Das ist aber die schlechteste Datenqualität, die man nehmen kann.

Warum das?

Wir sehen aktuell viele Preissteigerungen. Wenn meine CO2-Bilanzierung auf Kosten beruht, wird mein CO2-Fußbabdruck also automatisch größer. Deswegen muss ich Aktivitäts-bezogen bilanzieren: Was steckt an Material dahinter? Welcher Flug war das? Wie viele Kilowattstunden wurden verbraucht? In welcher Menge?

Momentan wird eher geschätzt, welcher Geldwert für welchen CO2-Wert steht?

Wo finde ich das Klima-Labor?

Das Klima-Labor finden Sie bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed

Wir versuchen, möglichst wenig mit Geldwerten zu arbeiten, sondern sprechen mit der Buchhaltung und den unterschiedlichen Abteilungen der Unternehmen über die Aktivitäten. Denn die sehen in ihren Systemen ja, was sie in welcher Menge eingekauft haben.

Und Cozero addiert das alles?

Nein, das passiert digital (lacht). Wenn man sich diese Datenpunkte vorstellt, sind die manuell überhaupt nicht abbildbar. Das wird selbst mit Excel schwer, weil es auch dort relativ schnell undurchsichtig wird. Wir zapfen verschiedenste Datenbanken an und berechnen die Emissionen auf Basis dieser Mengendaten.

Wird anschließend stichprobenartig überprüft, ob dieser CO2-Wert auch stimmt?

Das ist das Thema Vergleichbarkeit: Wer sagt mir, dass das der richtige Wert ist? Denn Unternehmen können bei der Messung viele Daten, die sie nicht berichten müssen, außen vor lassen. Das erfassen wir. Außerdem schauen wir, wie gut die Datenqualität ist. Das einfache Beispiel hatten wir schon: Wurde kostenbasiert berechnet oder mit Aktivitätsdaten? Diese beiden Dimensionen fassen wir im sogenannten "Log Score" zusammen. Dann können wir vergleichen, wie genau und wie gut dieser CO2-Fußabdruck für diese Aktivität ist.

Die Berechnung basiert aber auf Freiwilligkeit - also auf dem Willen der Unternehmen, diese Daten offenzulegen und dem Wunsch, sich tatsächlich verbessern zu wollen?

Solange gewisse Elemente nicht berichtet werden müssen, muss man darauf hoffen, ja. Uns fragen viele Unternehmen, warum sie das machen sollen oder ob sie monetär belohnt werden, wenn sie für eine gute Datenqualität sorgen und eine vollständige CO2-Bilanz erstellen. Es geht aber nicht darum, sich mit diesen Daten schmücken zu können. Wir helfen Unternehmen beim Umbau, um sich für die Zukunft kompetitiv aufzustellen.

Aber ist dieser "grüne" Umbau häufig nicht mit sehr hohen Kosten verbunden, die viele Unternehmen abschrecken? Und Cozero will ja sicherlich auch bezahlt werden.

Die Investitionsrechnung ist natürlich entscheidend. In den nächsten zwei, drei Jahren sind damit Mehrkosten verbunden, weil es noch keine verpflichtende CO2-Steuer gibt. Aber in Zukunft werden Unternehmen Jahr um Jahr ihre Emissionen ausgleichen müssen. Dann ist es viel besser, jetzt zu investieren und herauszufinden, wo die Hebel sind, um diese Emissionen zu reduzieren.

Der Anreiz für Unternehmen ist also gar nicht der grüne Umbau, sondern es geht schon darum langfristig Geld sparen?

Absolut. Dafür ist aber eine wirkliche Transformation des Unternehmens notwendig. Die CO2-Steuer ist ja auch nur die eine Seite. Wenn man keine nachhaltigen Produkte anbietet, gefährdet das auch die Kundenbeziehungen und damit den eigenen Umsatz. Das ist auch riskant.

Wie sieht es denn in der Praxis aus? Sind die Unternehmen bereit zu echter Transparenz?

Es gibt unterschiedliche Bedenken und Herausforderungen. Viele Unternehmen sind häufig mit der Komplexität der Materie überfordert. Dieses Know-how und dieses Verständnis müssen oft erst einmal vermittelt werden, weil davon der Erfolg abhängt. Ein großes Problem sind auch die Daten. Die schiere Menge trifft oft auf Stirnrunzeln. In vielen Fällen ist auch nicht klar, woher man diese Daten überhaupt bekommt oder wie man sie kalkulatorisch in CO2-Äquivalente übersetzt, um strategische Entscheidungen treffen zu können.

Was passiert, nachdem diese Daten aufbereitet wurden?

Man macht eine Hotspot-Analyse und schaut: Was sind die größten Emissionstreiber? Wo kann ich ansetzen? Das kann eine Investition in Solarpanels sein, die auf die Dächer von Lagerhallen gesetzt werden. Bei produzierenden Unternehmen auch ein Tausch von Verpackungsmaterialien, weil es nachhaltigere Alternativen gibt. Oder ein Lieferantenwechsel. Nachhaltige oder wiederverwendbare Messestände sind auch eine Möglichkeit.

Wie sieht denn ein nachhaltiger Messestand aus?

Es geht um die Materialien, aus denen der Messestand besteht. Kann ich die wiederverwenden, recyceln oder aufbereiten? Das reicht bis hin zu vegetarischen Angeboten und Verpackungen beim Catering, wo unheimlich viel Abfall entsteht. In der Logistik spielen auch alternative Kraftstoffe eine spannende Rolle. Es gibt in der gesamten Wertschöpfungskette unheimlich viele Elemente, die man optimieren kann.

Und wie viele Unternehmen machen nach dem ersten Schritt, der transparenten Datenerfassung, auch noch den zweiten und setzen um?

Wir konzentrieren uns auf Großkunden, aktuell haben wir ungefähr 40. Bei denen dauert es ungefähr vier bis sechs Monate, bis die Daten transparent aufgearbeitet sind. 40 Prozent der Unternehmen setzen dann auch konkrete Maßnahmen um.

Von wie vielen Mitarbeitern reden wir bei solchen Unternehmen?

Das beginnt ungefähr bei 1000, hängt aber ein bisschen von den Branchen ab. Wir sind auf die sehr emissionsintensiven fokussiert: Logistik, Maschinenbau oder den Bereich Retail und E-Commerce.

Prinzipiell kann das aber jedes Unternehmen machen?

Ja, in unserem Portfolio finden sich auch Unternehmen aus der Medienbranche und anderen. Viele Emissions-Bilanzierungsstandards lassen sich branchenübergreifend anwenden. Die größten Synergien gibt es aber, wenn sich Unternehmen aus denselben Branchen austauschen. Das ist ein spannendes Phänomen im Bereich der Nachhaltigkeit: Es herrscht eine gewisse Offenheit. Man versucht, voneinander zu lernen, um Branchenstandards setzen zu können.

Aber das ist ja schlecht für Cozero, wenn Unternehmen über die Maßnahmen reden.

Tatsächlich steht das Co in Cozero für Zusammenarbeit, denn ohne geht es nicht - intern und extern. Die eigenen Mitarbeiter müssen befähigt werden, die Daten zu sammeln und zu verstehen, aber natürlich auch Lieferanten oder Geschäftspartner. Letztlich ist unsere Arbeit vor allem eine Inspirationsquelle für einzelne Abteilungen, die besten Optimierungsmaßnahmen eines Unternehmens zu finden. Manchmal geht das nur gemeinsam mit den Geschäftspartnern.

Wie sind denn die Erfahrungswerte der Unternehmen, die bereits Maßnahmen umsetzen? Wie viele Tonnen CO2 werden eingespart?

Wir machen sogenannte Szenarien auf für Unternehmen, wo wir den Status quo der Emissionen darstellen, aber auch die nächsten Jahre fortschreiben und Potenziale definieren. Das ist aber sehr unternehmensspezifisch, deshalb gibt es keine Übersicht für alle.

All das setzt ja voraus, dass es sich wirklich lohnt, in CO2 reduzierende Maßnahmen zu investieren. In Zukunft ist das sicherlich der Fall, aber lohnt sich das auch schon heute?

Ja. CO2-Kompensation wird ja schon angewendet, wenn Unternehmen am Jahresende in Aufforstungsprojekte investieren, um ihre Emissionen auszugleichen.

Der Klassiker.

Genau. Aber dieses Geld ist weg und am Unternehmen hat sich gar nichts geändert. Diese Kompensation funktioniert auch über CO2-Preise. Die versuchen wir auf unsere Maßnahmen zu übertragen, dann kann man vergleichen. Nachhaltigere Materialien für Verpackungen sind auch heute schon besser für die Umwelt, ohne mehr zu kosten. Einige Rechnungen gehen also jetzt schon auf, andere erst in ein paar Jahren.

Mit Helen Tacke sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.

Klima-Labor von ntv

Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.

Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed

Quelle: ntv.de

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