Wirtschaft

Edle Einfalt, stille Größe? Die SUV-Dinos fahren vor

Bentley Bentayga

Bentley Bentayga

(Foto: REUTERS)

Der SUV-Markt boomt. Auch weil die Verbraucher auf diese Modelle der Autohersteller abfahren. Die schicken immer größere und PS-lastigere Fahrzeuge ins Rennen. Geht die Rechnung der Autobauer auf?

"Eine edle Einfalt und eine stille Größe", das waren für Johann Joachim Winkelmann die vorzüglichen Kennzeichen griechischer Meisterstücke und Werke der "Mahlerey und Bildhauerkunst" (1756). Würde Winkelmann heute noch leben und die SUV-Neuheiten 2016 der Automobilindustrie erleben, ihm wäre eher nach "dumpfer Einfalt, kruder Größe" zumute.

Helmut Becker schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

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Anders kann man die Gefühlslage intellektueller Mitteleuropäer beim Anblick der neuen  Power-SUVs europäischen Autohersteller nicht beschreiben. Hinzu kommen noch einige Luxus-Exoten, die erstmals das SUV-Segment betreten - in völliger Verkennung der Öko-Zeichen der Zeit.

Ein Bentayga kommt selten allein

Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich! Aus der US-Automobilindustrie ist man schon einiges an PS-Entgleisungen und Gigantomanie gewohnt. Aber Europa holt auf und das löst bei Öko-Enthusiasten ungläubiges Kopfschütteln und Entsetzen aus. Den dicksten Brocken steuert Bentley mit dem Bentayga bei. Mit diesem "Koloss von Crewe" haben die Briten das Segment der Luxus-SUV völlig neu definiert, denn innerhalb des ersten Produktionsjahres ist das Ungetüm auf Rädern ausschließlich mit einem 609 PS starken Zwölfzylinder zu bekommen.

Mehr als 300 km/h Spitze. Ideal für die Rüttel-Fahrt durch Wald und Flur, durch Wüste und Tundra - so als gäbe es keine Abgasvorschriften und als bestünde die Autokundschaft nur aus Millionären aus dem Morgenland oder dem neuen Geldadel der Oligarchen.

Ein Q7 als S-Version

Doch das war erst der Anfang! Im Sommer feiert der Konzernbruder Audi S Q7 mit einer V8-Dieselversion Premiere. Das Topmodell der Q7-Reihe leistet über 400 PS. Wo sollen die denn ins Gelände gebracht werden?  

Und weiter geht's: Bei Mercedes erblickte im März der mächtige Mercedes GLS als Nachfolger des GL mit jeder Menge Luxus, Platz und US-Charme inklusive AMG-Powerversion das Licht der Autowelt. Range Rover hob zum Frühjahr sein neues Topmodell SV Autobiography aus der Taufe. Und wer auch noch ohne Dach offen durchs Gelände preschen möchte, für den hält Jaguar Range Rover den Range Rover Evoque Cabrio bereit.

Dafür musste der legendäre Land Rover Defender bereits im Januar sein rustikales Autoleben aushauchen. Schaut man sich in den TV-Nachrichten den Fuhrpark an, mit dem die Kombattanten in den heutigen Krisengebieten im Nahen Osten unterwegs sind, so sind in der Tat bei Geländewagen ganz andere Qualitäten und Kaliber gefragt. Dass es vom Defender einen Nachfolger geben wird, steht außer Zweifel, dafür sorgen schon die vielen militärischen Krisen und Grenzkonflikte, auch zwischen Indien und Pakistan.

Der volle PS-Wahn aller Orten

Bleiben wir im Hause Jaguar. Der Defender geht, der Jaguar F-Pace als erster SUV der Marke ist bereits da. Die Speth-Riege hat ihn bei der Geburt mit einem Kraftpaket von knapp 200 bis weit über 500 PS ausgestattet und glaubt damit die Konkurrenten BMW X3, Mercedes GLC und Audi Q5 ordentlich unter Druck zu setzen.

Doch die Münchener schlafen nicht: BMW hält mit dem X4 xDrive 40i dagegen. Geboten werden 360 PS und 465 Newtonmeter maximales Drehmoment, die sich von 0 auf 100 km/h in 4,9 Sekunden bemerkbar machen. Hat er dann nach 12,25 Sekunden die Höchstgeschwindigkeit von 250km/h erreicht, wird er abgeriegelt.

Nicht abgeriegelt, aber abgerundet wird die Reihe der Exoten-Premieren-SUVs bei Maserati mit dem Levante. Ausgestattet mit Sechs- und Achtzylinder-Motoren soll der Levante mit einem Leistungsangebot von 250 bis über 500 PS dem Wettbewerb einheizen.  

PS-Wahn und Leistung ohne Ende - könnte man meinen. Aber nur für die Wohlbetuchten. Da nimmt es nicht Wunder, dass auch im gutbürgerlichen SUV-Segment die Leistung - wie der Preis - zunimmt. In der zweiten Jahreshälfte 2016 stellt Audi die zweite Generation des Q5 vor, der fortan in  Mexiko gebaut wird. Auch bei Audi reicht die Motorisierung mit Vier- und Sechszylinder bis zu 350 PS.

Und bei Volkswagen? Da steht der neue VW-Tiguan bereit. Mit dieser zweiten Generation möchte der Konzern den Markt der kompakten SUV mächtig aufmischen. Schon der erste Tiguan, 2007 auf der IAA 2007 erstmals vorgestellt, war ein echtes Erfolgsmodell: 2,64 Millionen Mal verkauft. Die zweite Generation des Tiguan will mit Vierzylindern zwischen 125 und 300 PS insbesondere dem europäischen Markt seinen SUV-Stempel aufdrücken.

Auch Ford ist vom Mittelklasse-SUV-Fieber befallen und betrat mit dem Edge erstmals europäischen Boden. Zu haben zu Preisen ab 42.900 Euro, allein mit einem zwei Liter großen Commonrail-Diesel in Leistungsstufen von bis zu 210 PS. In den USA und anderen Ländern wird der Edge zudem mit einem 2,7 Liter großen Turbo-V6-Benziner mit 315 PS und fast 500 Newtonmeter Drehmoment sowie einem 3,5 Liter großen V6-Sauger mit 280 PS angeboten.

Böse Überraschung

Was lehrt uns die ganze PS-Orgie? Demut, Bescheidenheit, Annäherung an eine "saubere Mobilität"? Also Winkelmanns "edle Einfalt, stille Größe"? Weit gefehlt! Dumpfe Einfalt, krude Größe! Und das nicht nur bei den Autoherstellern, sondern vor allem bei den Kunden, die solche Autos durch ihre Kaufpräferenzen überhaupt erst möglich machen.

Für die Hersteller geht die Rechnung trotzdem nicht auf, denn das Dino-Marktsegment ist teuer und entsprechend klein. Jedenfalls deutlich kleiner in Summe als die Angebots-Explosion bei den Herstellern.

Quelle: ntv.de

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