Kritik an Niedrigzinsen Draghi kann nicht anders
18.04.2016, 14:38 Uhr
EZB-Präsident Mario Draghi.
(Foto: imago/Belga)
Das billige Geld der EZB kontert die CSU mit Populismus. Sie schießt sich auf EZB-Chef Mario Draghi ein - und übersieht dabei geflissentlich, dass er im Grunde das tut, was die Bayern verlangen.
Wer hierzulande auf EZB-Chef Mario Draghi schimpft, darf sich sicher sein: Er bekommt lauten Applaus. Und zwar völlig unabhängig davon, wie viel Substanz dahinter steckt. Das weiß auch die CSU, und so ätzt sie munter gegen Draghi – und diese Kritik nimmt mittlerweile absurde Züge an.
Da behauptet Unions-Fraktionsvize Hans-Peter Friedrich, Draghi habe durch die Niedrigzinsen zu einem massiven Glaubwürdigkeitsverlust der EZB geführt. Als ob der Italiener die Geldpolitik alleine bestimmen würde. Der CSU-Politiker fordert dennoch, der nächste Präsident der EZB müsse ein Deutscher sein, der sich der "Tradition der Währungsstabilität" der Bundesbank verpflichtet fühle. Das ist deshalb so widersinnig, weil Draghi genau in dieser Tradition handelt.
Zur Erinnerung: Die EZB ist - vor allem auf deutsches Drängen - bei ihrer Gründung verpflichtet worden, für Preisstabilität zu sorgen. Die liegt laut EZB-Definition mittelfristig bei knapp unter zwei Prozent. Von diesem Ziel ist die Notenbank weit entfernt. Im März fielen die Preise in der Eurozone im Jahresvergleich um 0,1 Prozent. Es sieht nicht so aus, als ob die Inflation in absehbarer Zeit nennenswert anzieht.
Und genau deshalb ist die EZB zur ultra-lockeren Geldpolitik gezwungen. Das sieht – nebenbei gesagt – Bundesbankpräsident Jens Weidmann ähnlich. Er lehnt einzelne Maßnahmen der Zentralbank zwar ab, hält expansive Geldpolitik derzeit aber prinzipiell für richtig.
Ihre Glaubwürdigkeit wird die EZB erst dann verlieren, wenn sie dem Drängen vor allem deutscher Politiker nachgibt und ihrer Verpflichtung nicht nachkommt. Auch Bayerns Finanzminister Markus Söder fordert trotzdem "eine mehr deutsche Handschrift" bei der EZB, Parteifreund Hans-Peter Uhl will an deren Spitze gar "einen deutschen Finanz-Spezialisten" sehen und wettert gegen die niedrigen Zinsen. Die CSU gefällt sich in der Rolle des Anwalts des deutschen Sparers, der von der Zentralbank um seine Altersvorsorge gebracht werde. Tenor: Sparen lohne sich nicht mehr.
Das klingt wohlfeil, ist aber nicht ganz richtig. Bankeinlagen stellen in Deutschland nicht die einzige Anlageform im Portfolio privater Haushalte dar. Dazu gehören auch renditestärkere Anlageformen wie Wertpapiere oder Versicherungsansprüche. Die Bundesbank kommt deshalb zu dem Schluss: "Das reale Renditeniveau [war] in den vergangenen Jahren höher, als es die Einlagezinsen suggerieren. (…) Darüber hinaus war die reale Gesamtrendite der privaten Haushalte auch in der Vergangenheit zeitweise schon niedrig, teilweise sogar weitaus niedriger als in den letzten Jahren."
Schimpfen reicht nicht
Dazu kommt: Die niedrigen Zinsen sind nicht die Ursache der gegenwärtigen Krise, sondern die Folge. Sie sind die Konsequenz daraus, dass in der Eurozone insgesamt zu viel gespart und zu wenig konsumiert und investiert wird.
Zu dieser Schieflage trägt Deutschland maßgeblich bei. Nach Berechnungen des Ifo-Instituts lag der deutsche Leitungsbilanzüberschuss im vergangenen Jahr bei mehr als acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts – mit 280 Milliarden Dollar ist das nach China weltweit der zweithöchste. Das heißt: Deutschland trägt dazu bei, dass sich andere Staaten massiv verschulden müssen, um diese Importe zu finanzieren. Statt auf die EZB zu schimpfen, sollte Deutschland angesichts von Niedrigzinsen mehr Geld ausgeben, also etwa in Infrastruktur und Bildung investieren und sich nicht auf Kosten künftiger Generationen kaputtsparen.
Ja, die Geldpolitik der EZB hat enorme Risiken und Nebenwirkungen. Doch wegen des Versagens der Politik ist die Europäische Zentralbank zu immer gewagteren Maßnahmen gezwungen. Bei aller berechtigten Kritik: Soll die EZB besser nichts tun oder die Zinsen sogar erhöhen? Die Folgen wäre sinkende Ausgaben, Pleiten, weniger Kreditvergabe. Das wäre für die Eurozone Gift.
Erst wenn sich Europa zu einer klugen Fiskalpolitik und zu Strukturreformen durchringt und so Wachstum bekommt, kann endlich wieder geldpolitische Normalität einkehren. Es wäre hilfreich, wenn Deutschland dazu beitragen würde, die Probleme zu lösen, die es mitverursacht hat.
Quelle: ntv.de