Becker sagt Stellenabbau vorher "Piëch hat den Machtkampf gewonnen"
28.04.2015, 10:40 Uhr
"Durch die Personalquerele wurde eine breite Öffentlichkeit auf die ganzen Baustellen bei Volkswagen aufmerksam", sagt Becker.
(Foto: picture alliance / dpa)
An der Börse herrscht Erleichterung nach dem Rücktritt von VW-Aufsichtsratschef Piëch. Doch ist mit dessen Weggang dem Konzern wirklich geholfen? Nicht direkt, sagt Auto-Experte Helmut Becker. Aus seiner Sicht hilft Piëch VW aber auf eine andere Weise. Mit n-tv.de sprach Becker zudem über die nun seiner Ansicht nach notwendigen Schritte des Konzerns, um der größten Probleme Herr zu werden.
n-tv.de: Ist der Weggang von Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch ein Sieg oder eine Niederlage für den VW-Konzern?
Helmut Becker: Schwer zu sagen. Im Nachhinein betrachtet wird es ein Sieg für den VW-Konzern sein, aber nicht wegen des Weggangs von Herrn Piëch. Alleine durch diese Personalquerele wurde eine breite Öffentlichkeit auf die ganzen Baustellen bei Volkswagen aufmerksam. Dadurch ist auch sehr viel angestoßen worden, was sonst unter der Decke geblieben wäre.
Als Baustellen werden immer wieder die niedrige Ergebnismarge der Marke VW, die verfehlte Modellpolitik in den USA und die schleppende Entwicklung eines Billigautos für den asiatischen Markt genannt. Wird nun mehr Dynamik in die Lösung dieser Probleme kommen?
In jedem Fall. Denn ein "Weiter so wie bisher" wie vor Beginn dieser Diskussion wird es nicht geben können. Die Öffentlichkeit und auch die Analysten werden darauf schauen, ob und dass sich bei Volkswagen nachhaltig etwas ändert. Und es wird in diesem Zuge sicher auch im Vorstand Veränderungen geben.

Helmut Becker leitet das Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation. Er schreibt als Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.
Welche sind das Ihrer Meinung nach?
In jedem Unternehmen obliegt das Kontrolling dem Finanzvorstand. Bei VW ist das Dieter Pötsch. Aus dieser Ecke ist aber seit 20 Jahren nichts gekommen. Kurz: Ein besseres Kostenkontrolling muss her.
Was ist Ihrer Meinung nach das drängendste Problem von VW, das nun angegangen werden muss?
Das größte Problem, dass Volkswagen hat, ist, dass der Konzern mit 600.000 Mitarbeitern zwar 10 Millionen Fahrzeuge produziert, Toyota aber – der wesentliche Wettbewerber von Volkswagen auf dem Weltmarkt – denselben Output mit nur 450.000 Mitarbeitern hinkriegt. Auch wenn Auto nicht gleich Auto ist: Dazwischen liegen Welten. Das Ertragsproblem der Marke VW PKW rührt ausschließlich aus dieser Differenz.
Muss Volkswagen also Arbeitsplätze abbauen, um mit Toyota mithalten zu können?
Man muss an die Produktivität und an die Kopfzahlen ran, kurz: an die interne Kostenstrukturen. Die materiellen Ressourcen sind ausgereizt, die Zulieferer hat man schon seit Jahr und Tag ausgiebig geschoren. Daher muss man nun bei den Personal-Ressourcen kürzen - natürlich bei gleichbleibendem Produktionsvolumen. Genau das hat der Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn bei der vergangenen Volumenorgie versäumt. Das ist zwar schmerzhaft, aber auf Dauer unumgänglich, wenn der Wettbewerb so bleibt, wie er ist.
Der Betriebsrat bei VW ist sehr mächtig – dieser wird einem massiven Stellenabbau sicherlich nicht ohne Weiteres zustimmen!?
Sicher, es erscheint wie die Quadratur des Kreises. VW ist seit seiner Gründung natürlich ein stark gewerkschaftsorientiertes Unternehmen. Aber nichtsdestotrotz: Wenn der Markt es erfordert, werden sich die Gewerkschaften Kostensenkungsprogrammen nicht grundsätzlich verweigern – das haben sie schon in der Vergangenheit bewiesen, zum Beispiel bei der Einführung der Vier-Tage-Woche. Bisher ist die Führung von VW zur Kostensenkung immer den leichtesten Weg gegangen – das wird so in Zukunft nicht mehr sein.
Wer könnte Ihrer Meinung nach Piëch an der Aufsichtsrats-Spitze beerben?
Das vermag ich nicht zu sagen. Worauf es hinausläuft ist aber, dass Vorstands-Chef Winterkorn mit Sicherheit nicht der Nachfolger von Piëch wird. Das halte ich für ausgeschlossen. Was der VW-Konzern an der Spitze für die Zukunft braucht, ist jemand mit innovativen Ideen - und niemand, der eine Fabrik nach der anderen hinstellt. Und Winterkorn soll ja als Vorstands-Chef weitermachen, dafür hat sich schließlich das Präsidium des Aufsichtsrats ausgesprochen. Daher wird man wohl einen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden von außen holen.
Sonst hätte sich Piëch ja am Ende auch durchgesetzt, wenn Winterkorn ihm als Aufsichtsrats-Chef nachfolgt!?
Piëch hat meiner Ansicht bei diesem Machtkampf sowieso gewonnen. Weil er das, was er erreichen wollte - dass an die inneren Strukturen und die Baustellen des Konzerns herangegangen wird -, erreicht hat. Wie auch immer die personelle Besetzung aussehen wird, die Aufgaben sind jetzt klar definiert.
Es wird derzeit auch über einen möglichen Verkauf der Anteile von Piëch an der Porsche SE Holding – die Mehrheitseigner von Volkswagen ist – spekuliert. Sehen sie diese Möglichkeit? Und könnte das zum Problem für Volkswagen werden?
Machbar ist das, kostet aber viel Geld und viel Zeit. Und ich sehe im Moment nicht, warum Ferdinand Piëch das machen sollte. Im Gegenteil: Wenn jetzt jemand kommt und die Aufräumarbeiten innerhalb des Konzerns durchführt, wird sich das entsprechend in der Rendite und im Aktienkurs niederschlagen. Und Herr Piëch kann in Ruhe abwarten, dass er noch die eine oder andere Milliarde hinzu verdient.
Mit Helmut Becker sprach Kai Stoppel
Quelle: ntv.de