Wirtschaft

Italienische Staatsverschuldung Rom muss nicht nur Brüssel fürchten

Machtkampf zwischen Rom und Brüssel: Im Etatstreit will keine Seite klein beigeben.

Machtkampf zwischen Rom und Brüssel: Im Etatstreit will keine Seite klein beigeben.

(Foto: picture alliance / dpa)

Italien hat sich entschieden, der umstrittene Schuldenhaushalt liegt in Brüssel auf dem Tisch. Die Regierung beharrt darauf, den Sparkurs zu verlassen. Klar ist: Die EU wird das nicht ungestraft lassen. Die größere Gefahr lauert jedoch woanders.

Italien ist offiziell auf Kollisionskurs mit Brüssel gegangen. Es stand Spitz auf Knopf, aber am Ende hat die Regierung die Frist, zu der alle 19 Euro-Länder ihre Etatplanungen für das kommende Haushaltsjahr in Brüssel einreichen mussten, doch noch eingehalten. Der Brief mit den neuen Schuldenplänen aus Rom schaffte es sogar noch vor Mitternacht auf den Tisch der Eurokraten. Damit steht jetzt fest: Die italienische Regierung lässt es auf den Streit mit der EU ankommen - und riskiert damit alles.

Die Koalition aus populistischer 5-Sterne-Bewegung und rechter Lega will den Sparkurs unbedingt verlassen und die Neuverschuldung für 2019 auf 2,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) hochfahren. Das ist dreimal so viel wie die Vorgängerregierung vorgesehen hatte. Laut Haushaltsentwurf sind Ausgaben von insgesamt 42,9 Milliarden Euro vorgesehen. Geplant sind unter anderem ein Grundeinkommen für Arme, ein früheres Renteneintrittsalter und Steuererleichterungen für Selbstständige.

Die Regierung ist überzeugt, damit durchzukommen. "In sechs Monaten ist Europa sowieso am Ende", sagte Viza-Premier Luigi Di Maio mit Blick auf die Europawahl Ende Mai vor wenigen Tagen. Die Populisten in den EU-Ländern würden triumphieren und die strikten Sparvorgaben schon am Tag nach der Wahl passe sein, gab sich der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung überzeugt. Auch Innenminister Matteo Salvini unterstrich in letzter Zeit bei jeder Gelegenheit die harte Haltung der Regierung: "Ich bin es leid, dass Italien an allen Fronten wie Ärsche behandelt werden", sagte er laut "Financial Times" (FT) kürzlich in kleiner Runde vor Unternehmern in Norditalien. "Wenn Brüssel sagt, dass du es nicht kannst, werde ich es trotzdem tun." Die Regierung fühle sich nur gegenüber den Italienern verantwortlich, machte er bei anderer Gelegenheit deutlich. "Nichts und niemand wird uns stoppen können."

"Müssen wir uns Sorgen machen?"

Die Bürger stehen hinter der Regierung. 60 Prozent der Italiener sind laut Umfragen mit ihrer Arbeit zufrieden. Laut Demopolis sehen 48 Prozent eine hohe Neuverschuldung von 2,4 Prozent als notwendig an. Nur 37 Prozent machen sich Sorgen wegen der Risiken, die mit der Neuverschuldung verbunden sind.

An den Märkten werden diese derweil immer konkreter: Denn die Investoren misstrauen der Regierung, Ängste vor einer neuen Schuldenkrise, die nicht nur für Italien, sondern den gesamten Währungsraum gefährlich werden könnte, machen sich breit. Seit der Regierungsbildung in Rom sind die Risikoaufschläge für italienische Schuldenpapiere kontinuierlich gestiegen. Das heißt, der Staat muss für frisches Geld am Kapitalmarkt immer mehr zahlen.

Viele Bürger wittern allerdings Panikmache. "Müssen wir uns Sorgen machen?", zitiert die FT eine Frau bei einer Umfrage in einer italienischen Markthalle. Mit der realen Wirtschaft habe dieser Etatstreit doch gar nichts zu tun, sagt ein Kaffeeverkäufer. Auch ein Handwerker ist sich sicher, dass die steigenden Renditen bei den italienischen Anleihen nichts mit seinem Alltag zu tun haben. Die Realwirtschaft bestehe aus Piadina, dünnem italienischem Fladenbrot, Artischocken und den Rechnungen, die am Ende des Monats zu zahlen sind. Genau hier erkennen andere wiederum doch noch einen Zusammenhang: "Ich weiß, dass meine Geldbörse dann leerer wird", sagt eine Frau. Eine andere beklagt bereits steigende Hypothekenzinsen. Denn diese orientieren sich am Anleihemarkt.

Auch wenn Italiens Finanzminister Giovanni Tria zuversichtlich ist, dürfte es für ihn schwierig werden, den Schuldenhaushalt zu rechtfertigen. Mit 2,4 Prozent liegt die geplante Neuverschuldung zwar unter den in den Maastricht-Kriterien geforderten drei Prozent. Aber viele Ökonomen befürchten, dass dieser Rahmen durch die teuren Wahlgeschenke gesprengt wird. Andere EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich haben diese Hürde zwar früher auch schon gerissen, aber Italien bedenkt mit seinen Wahlgeschenken nur einzelne Bevölkerungsgruppen. Was Rom fehlt, ist ein überzeugendes Konjunkturprogramm. Das wird mit den neuen Schulden nicht gezündet.

Die EU betritt Neuland

"Wir haben Italiens Haushalt noch nicht infrage gestellt", sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Dienstag vor italienischen Medienvertretern in Brüssel. Er erinnerte aber gleichzeitig daran, dass bestehende Verpflichtungen eingehalten werden müssen. Die Antwort der EU wird bald kommen. Im Falle "besonders schwerwiegender Verstöße" gegen die Budgetauflagen hat die Kommission eine Woche Zeit, Alarm zu schlagen. Sind die Pläne nicht regelkonform, müssen sie spätestens zwei Wochen nach Abgabe abgelehnt sowie eine schriftliche Begründung geliefert werden. Italien könnte aufgefordert werden, einen überarbeiteten Haushaltsentwurf vorzulegen. Dafür hätten sie dann maximal drei Wochen Zeit. Bessert Rom dann nicht nach, kann die EU schließlich ein Defizitverfahren einleiten. Der Defizitsünder riskiert im schlimmsten Fall den Zugang zu EU-Mitteln.

Eine Ablehnung des Etatentwurfs wäre ein Novum innerhalb der EU. Kein Mitgliedsstaat musste jemals eine zweite Version ihrer Haushaltsplanungen vorlegen. Ende November soll der Prozess theoretisch zwar immer noch abgeschlossen sein. So verhärtet wie die Fronten zwischen Rom und Brüssel sind, ist es jedoch fraglich, ob das klappen kann.

Mehr als Brüssel muss Italien die Finanzmärkte fürchten. Die Lage am Anleihemarkt hat sich am Dienstag zwar entspannt. Einige Investoren nutzten offenbar die Kursverluste der vergangenen Wochen, um sich günstig mit italienischen Bonds einzudecken. Dadurch fiel die Rendite der zehnjährigen Titel immerhin leicht von 3,5 Prozent auf 3,3 Prozent. Investoren seien erleichtert, dass der parteilose Finanzminister Tria hinter dem Etat stehe, begründet dies die DZ Bank. Aber spätestens, wenn die Kommission offen Kritik an den italienischen Haushaltssünden äußert, dürften die Risikoaufschläge wieder steigen.

Auf die Ratingagenturen kommt es an

Und es bahnt sich noch weiteres Ungemach für Italien an: Denn der Tadel aus Brüssel könnte zeitlich mit den erwarteten neuen Ratings für Italien zusammenfallen. Selbst in Rom erscheint es bereits ausgemachte Sache, dass Moody's die Kreditwürdigkeit Ende Oktober herabstuft.

Allgemein erwartet wird, dass das Rating von "Baa2" auf "Baa3" gesenkt wird. Das würde die Sorge widerspiegeln, dass der bereits hohe Schuldenberg Italiens noch weiter steigen könnte. Italien hat jetzt schon einen der höchsten Schuldenstände weltweit und nach Griechenland mit rund 130 Prozent des BIP die höchste Schuldenquote in der EU. Verpasst Moody's Italien zusätzlich einen "negativen" Ausblick, seien weitere Verluste bei italienischen Staatsanleihen wahrscheinlich, sagen die Analysten von TD Securities.

Bis zum Jahresende muss der italienische Etatentwurf gänzlich ausgearbeitet und verabschiedet sein. Das letzte Wort hat das Parlament in Rom. Je nachdem, wie viel Druck aus Brüssel und den Investoren kommt, sind Änderungen im Detail vielleicht doch nicht ganz ausgeschlossen.

Quelle: ntv.de

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