Wirtschaft

Rechtsanwalt im Interview "Sanktionen sind politisch überaus wirksam und alternativlos"

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Wie hart treffen die Sanktionen aufgrund des Krieges gegen die Ukraine die russische Wirtschaft?

(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)

Seit einem Monat gelten die westlichen Sanktionen gegen Russland. Nach und nach werden die Folgen für die russische Wirtschaft sichtbar. Im Interview erklärt der Jurist Viktor Winkler, wie er die Maßnahmen bewertet und ob sie langfristig erfolgreich sein können.

Herr Winkler, nach der Annexion der Halbinsel Krim 2014 hat der Westen schon einmal Sanktionen gegen Russland erlassen. In einigen Fällen haben Gerichte diese im Nachhinein kassiert. Sind die jetzigen Sanktionen haltbar?

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Viktor Winkler ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Sanktionsrecht. Im Zuge der Russland-Sanktionen betreut er Banken, Firmen sowie Künstlerinnen und Sportler, die von Boykotten betroffen sind.

Viktor Winkler: Ob Gerichte die Sanktionen aufrechterhalten, lässt sich noch nicht sagen. Zahlreiche Firmen lassen zwar aktuell die Rechtslage prüfen. Aber es gibt noch keine Klage. Niemand hat bisher ausdrücklich gesagt, dass er oder sie klagen will, auch keine sogenannten Oligarchen.

Wo könnten rechtliche Angriffspunkte sein?

Die nationalen Regierungen und die Europäische Union sind laut bisheriger Rechtsprechung sehr frei darin, zu entscheiden, warum sie sanktionieren. Der Knackpunkt ist aber die Begründung. Es gilt die Faustformel: Die EU muss die Gründe so detailliert darlegen, dass im Fall einer Klage das Gericht nachprüfen kann, ob diese Gründe bestehen. Formuliert die EU ihre Vorwürfe an den Sanktionierten in der Verordnung so vage, dass gar keine Auseinandersetzung darüber möglich ist, ob das alles wahr ist oder nicht - dann ist die Sanktionierung bereits aus diesem Grund rechtswidrig.

Ist diese "Faustformel" bei den jetzigen Sanktionen erfüllt?

Jede Sanktionierung ist anders und wurde von der EU anders begründet. Zwei juristische Angriffspunkte halte ich für zumindest nicht ausgeschlossen: Der eine ist, dass die Sanktionen in vielen Fällen recht vage mit der Nähe zu Putin beziehungsweise seinem Machtzirkel oder mit einem Profitieren von dieser Nähe begründet werden. Hier könnte ich mir durchaus vorstellen, dass die EU-Gerichte sagen könnten: Das können wir nicht überprüfen. Wodurch hat jemand profitiert, wo beginnt Nähe, wer gehört zu diesem Machtzirkel und wer nicht? Ein schwieriges Thema sind auch die Angehörigen, die in manchen Fällen ebenfalls sanktioniert werden. Da geht es um die Frage der Verhältnismäßigkeit. Selbst wenn bei jemandem die Voraussetzungen rechtlich erfüllt sind, heißt das nicht automatisch, dass es verhältnismäßig ist, auch sein Umfeld zu sanktionieren. Rechte auf Privatheit und den Schutz der Familie spielen im EU-Recht eine enorme Rolle. Relevant ist außerdem der Zeitfaktor: Ob und wie weit darf man in die Vergangenheit zurückgehen, um Sanktionen zu begründen? Sanktionen dürfen streng genommen rechtlich nicht Strafe sein für vergangenes Handeln. Sonst könnten die Verfahrensrechte von Beschuldigten umgangen werden, die von allen westlichen Verfassungen und übrigens auch vom Völkerrecht garantiert werden. Sanktionen sollen also Gefahren abwehren und gegenwärtiges völkerrechtswidriges Handeln sanktionieren.

Wie viele Klagen gegen die erste Sanktionswelle 2014 waren erfolgreich?

Meine grobe Schätzung: Etwa zwei Drittel der Klagen waren erfolgreich. Allerdings reden wir hier nicht über eine Klagewelle, sondern insgesamt nur über vielleicht 20 sogenannter Delisting-Klagen innerhalb der vergangenen 20 Jahre. Die Erfolgsquote ist dennoch überraschend hoch, wenn man das als Jurist vergleicht mit den üblichen Erfolgschancen einer Klage. Erfolgreich war zum Beispiel der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch, der nach seiner Absetzung im Februar 2014 die Annexion der Krim begünstigt haben soll und deshalb von einem Kiewer Gericht verurteilt wurde. Im Fall Janukowitsch hat die EU übrigens vor Gericht verloren und die Sanktionierung wiederholt - und die EU-Gerichte haben auch diese Sanktionierung wieder kassiert. Beim Sanktionsthema gab es da in der Vergangenheit bisweilen durchaus harte Gegensätze zwischen der Kommission und den Gerichten.

Droht eine Klagewelle von Oligarchinnen und Oligarchen?

Das ist gegenwärtig schwer einzuschätzen. Es wird auch viel davon abhängen, wie stark der Druck sein wird, den die vom Westen gebildeten Taskforces entfalten werden. Ich glaube aber letztlich nicht an eine Klagewelle. Vielen Oligarchen dürfte das Vertrauen in die EU-Gerichte generell fehlen. Zudem könnten einige Oligarchen bereits für eine Zeit nach dem Krieg und damit auch nach den Sanktionen planen. Affronts durch auch nur teilweise gewonnene Verfahren gegen die EU könnten da eine Rückkehr politisch noch unmöglicher machen.

Welche Gerichte wären zuständig?

Üblicherweise sind Sanktionen Teil des Völkerrechts, die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossen und dann von den einzelnen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. In diesem Fall nicht. Russland hat von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht, der Sicherheitsrat konnte nicht handeln. Wir in Deutschland haben es also aktuell mit reinen EU-Sanktionen zu tun. Wer sich hierzulande oder in einem anderen EU-Mitgliedsstaat gegen die Sanktionen wehren will, muss das deshalb vor den EU-Gerichten mit einer sogenannten Nichtigkeitsklage tun.

Bringen Sanktionen überhaupt etwas, wenn sie im Nachgang kassiert werden können?

Diese Frage muss man politisch und rechtlich unterschiedlich beantworten. Politisch zeigen die Sanktionen aktuell eine enorme Geschlossenheit des Westens, ich halte sie daher schon aus diesem Grund für politisch überaus wirksam und alternativlos. Rechtlich gilt: Nur weil die jetzigen Sanktionen juristisch angreifbar sein können, heißt das nicht, dass Klagen dagegen erfolgreich sein müssen. Generell sind Sanktionen eine junge Erfindung. Als Handlungsmittel der Politik wurden sie erst mit dem Jahr 2014 richtig etabliert, während der Krim-Krise. Natürlich ist schon vorher sanktioniert worden, insbesondere war es eines der Instrumente der Terrorismusbekämpfung nach dem 11. September 2001. Doch ich behaupte, dass die Bedeutung der Sanktionen für die Wirtschaft heute eine völlig andere ist. Sanktionsbeachtung, auch über automatisierte Systeme, war schon immer streng gehandhabt in der deutschen Wirtschaft, bei Banken sowieso. Was sich jetzt radikal ändert: Sanktionen sind nicht mehr nur Recht, sondern werden Teil der politischen Kultur. Unternehmen übererfüllen Sanktionen aus politischen Gründen, nicht aus rechtlichen. Auch dadurch nähern wir uns bald einem Totalembargo gegen Russland - noch bevor die EU ein solches ausspricht. Das ist für uns Sanktionsfachleute schon eine sehr bemerkenswerte Entwicklung.

Wie bewerten Sie das Sanktionspaket gegen Russland insgesamt?

Es ist sicher das komplexeste und - je nachdem, worauf man schaut - wohl auch größte Sanktionspaket in der Geschichte westlicher Sanktionen. Diese Geschichte selbst ist noch sehr jung. Das Rechtsgebiet gab es bis vor wenigen Jahren gar nicht. Entsprechend jung sind die zuständigen Abteilungen in vielen Unternehmen. Sie und die deutsche Wirtschaft als Ganzes müssen ihr Verhältnis zu Sanktionen in diesen Tagen völlig überdenken.

Wie?

Indem sie sie nicht mehr nur im Recht verorten. Wer Sanktionen bloß als Recht sieht, als regulatorische Herausforderung, ist in diesen Tagen kaum handlungsfähig. Bei den heutigen Sanktionen spielen mögliche Reputationsschäden und deren Bewertung eine massive Rolle, genauso wie Risikoabwägungen, Compliance, betriebswirtschaftliche Faktoren, Ethik und Politik. Unternehmen können diese Felder nicht mehr der Reihe nach abarbeiten und eine zuständige Abteilung nach der anderen befragen. Sie müssen diese Felder zusammen sehen und dabei noch schnell reagieren. Es gibt in der vernetzten Weltwirtschaft keine Pause-Taste, um in Ruhe Sanktions-Risikobewertungen durchzuführen.

Woher kommt dieser Paradigmenwechsel?

Die aktuelle Bedeutung von Sanktionen wird sicherlich entscheidend von den Taskforces bestimmt werden, die die Einhaltung der Sanktionen überprüfen sollen und aktuell überall, auf nationaler wie auf internationaler Ebene aus dem Boden gestampft werden: Die KleptoCapture und das National Cryptocurrency Enforcement Team sitzen in den USA, die Russian Elites, Proxies, and Oligarchs (REPO) Taskforce ist die internationale Ebene. Hinzu kommen die Taskforces in den einzelnen Ländern. Auch Deutschland installiert gerade eine solche Gruppe und siedelt sie beim Bundeskanzleramt an. Sie dort anzudocken, ist natürlich der besonderen politischen Bedeutung geschuldet. Es dürfte dabei aber wohl auch um die Koordinierungsfunktion der Geheimdienste gehen, die ja ganz ausdrücklich nach dem Willen des Westens eine zentrale Rolle bei den Taskforces spielen sollen. Ich erwarte, dass damit der Verfolgungsdruck bei der Sanktionsumgehung dramatisch erhöht werden wird, gerade auch international. Auch das ist durchaus ein historischer Wandel.

Sind Sanktionen langfristig erfolgreich?

Ja, das glaube ich schon. Sie haben sehr häufig Kriege verhindert und Kriegsdiskussionen entschärft. Sanktionsrecht ist Kriegs-Ersatz. Sanktionen verweisen militärische Lösungen dauerhaft auf den zweiten Platz. Wer das nicht schätzt oder als Erfolg unterschätzt, hat aus dem 20. Jahrhundert nichts gelernt.

Die Sanktionen von 2014 konnten einen Krieg in der Ukraine aber nicht verhindern …

Das stimmt, aber als Vorwurf wäre das trotzdem nicht fair. Die Sanktionen damals waren ja nicht speziell dafür gemacht, einen Angriffskrieg in der Ukraine zu verhindern. Sie sollten insbesondere eine Distanzierung darstellen und Putin politisch schwächen.

Wie sehen Sie die Zukunft von Sanktionen?

Meine Prognose ist: Sanktionen werden nicht nur ihren Siegeszug fortsetzen, sondern als Instrument der Außenpolitik noch deutlich beliebter werden, wie auch immer es in der Ukraine-Krise weitergeht. Hauptsächlich, weil niemand mehr Krieg will: Die westlichen Regierungen nicht, die Wählerinnen und Wähler nicht, aber auch die westlichen Militärführungen nicht. Die Zukunft wird auch davon geprägt sein, dass die Sanktionen viel stärker professionalisiert werden, einschließlich der Sanktions-Compliance in Wirtschaft und Gesellschaft. Hier besteht noch deutlich Luft nach oben. Und das wird, glaube ich, jetzt mit den Russland-Sanktionen massiv beginnen. In kleinen wie großen Unternehmen werden neue Abteilungen aufgebaut und zunehmend Sanktionsfilter angeschafft oder verbessert werden. Es gibt da, nicht nur bei kleineren Unternehmen, einen enormen Nachholbedarf.

Mit Viktor Winkler sprach Laura Eßlinger

Das Interview ist zuerst bei Capital erschienen

Quelle: ntv.de

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