Kosten für Solarmodule Weltgrößte Hersteller warnt: "Im Moment bluten alle"


Laut dem Energieberatungsunternehmen Wood Mackenzie hat China im vergangenem Jahr umgerechnet 130 Milliarden US-Dollar in die heimische Solarbranche investiert.
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Die chinesische Solarindustrie dominiert den Markt unangefochten. Das soll sich ändern, indem wieder ein signifikanter Teil der Technologien in Deutschland und Europa produziert wird. Doch ganz ohne die Chinesen wird die angeschlagene Branche in Deutschland nicht wieder auf die Beine kommen.
Die deutsche Solarbranche kämpft ums Überleben. Tiefpreise von chinesischen Anbietern bringen längst nicht mehr nur die Schweizer Solarfirma Meyer Burger und Solarwatt in Bedrängnis. Inzwischen stellt auch ein dritter großer Modulproduzent den Standort Deutschland infrage: der Chemnitzer Photovoltaikhersteller Heckert Solar. Alle Unternehmen eint die Klage: Unter den aktuellen Marktbedingungen könnten sie nicht gewinnbringend arbeiten. Geschweige denn, mit den chinesischen Dumpingpreisen mithalten. Sollte die Bundesregierung der Branche nicht unter die Arme greifen, wollen sie ihre Produktionsstätten ins Ausland verlegen.
Als Ergebnis jahrzehntelanger staatlicher Unterstützung, eines raschen Anstiegs der Inlandsnachfrage und eines intensiven lokalen Wettbewerbs dominiert China inzwischen die Solarindustrie: Das Land stellt mehr als 80 Prozent der weltweiten Produktion. Angesichts des Überangebots an chinesischen Importen werden nicht nur die Forderung nach einer größeren Angebotsvielfalt, sondern auch vermehrt Sicherheitsbedenken hinsichtlich der Verwendung von in China hergestellten Komponenten laut.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wird nicht müde zu betonen, er wolle die Verbliebenen der Branche in Deutschland stützen. Ziel sei, einen signifikanten Teil der Technologien in Deutschland und Europa zu produzieren. Dabei stellt sich die Frage: Ist der Wiederaufbau einer heimischen Solarindustrie überhaupt realistisch und welche Konsequenzen hätte dieser Schritt?
"Chinesische Hersteller haben mittlerweile einen erheblichen Vorsprung insbesondere bei der Skalierung der Produktion, der auch zu einem erheblichen Kostenvorteil geführt hat", sagt DIW-Experte Peter-Wolf Schill ntv.de. Grundsätzlich halte er es für möglich, dass die europäische Solarindustrie diesen Vorsprung aufholen könnte. "Das würde aber erhebliche Fördermittel, den entsprechenden politischen Willen und einen ziemlich 'langen Atem' der Politik erfordern", grenzt Schill ein. In Anbetracht der derzeitigen finanziellen Situation hält der DIW-Experte es für unwahrscheinlich, dass die deutsche Solarbranche wieder wettbewerbsfähig wird.
"Im Moment bluten alle"
In der "Financial Times" warnt der weltgrößte Hersteller von Solarmodulen, Longi Green Energy Technology aus China, Europa und die USA würden eine langsamere Dekarbonisierung ihrer Volkswirtschaften riskieren, sollten sie chinesische Unternehmen von ihren Lieferketten für erneuerbare Energien verbannen. Vizepräsident Dennis She merkt an, eingeschränkte chinesische Solarlieferungen würden die Abkehr westlicher Länder von fossilen Brennstoffen "zumindest verlangsamen". Er warnt darüber hinaus davor, dass sich die Kosten für Solarmodule ohne chinesische Beteiligung in Ländern wie den USA verdoppeln würden.
In Bezug auf die Konsequenzen für die Dekarbonisierung gibt DIW-Experte Schill She unter einer Bedingung recht: "Sollte grundsätzlich ein gewisses Maß an 'local Content' gefordert werden, könnte das tatsächlich die Energiewende ausbremsen." Momentan sieht er diese Gefahr bei den diskutierten Resilienzausschreibungen eher nicht. Um der Branche kurzfristig zu helfen, sollen sogenannte Resilienzausschreibungen und -Boni im Erneuerbare-Energien-Gesetz verankert werden. Dann würde etwa für Solaranlagen, die vorrangig aus europäischer Produktion stammen, eine höhere Einspeisevergütung gezahlt.
Nach Angaben des Energieberatungsunternehmens Wood Mackenzie sind die Produktionskosten für Solarmodule in China im vergangenen Jahr um mehr als 40 Prozent auf etwa 15 Cent pro Watt gesunken - verglichen mit 30 Cent in Europa und 40 Cent in den USA. Dieser Rückgang ist zum Teil auf niedrigere Materialkosten und ein Überangebot zurückzuführen. "Im Moment bluten alle", zitiert die "FT" She. Er fügte hinzu, dass nur Akteure mit ausreichender Größe überleben werden. Kleine oder neue Anbieter würden vom Markt verschwinden.
Laut Wood Mackenzie wird China nach Investitionen in Höhe von mehr als 130 Milliarden US-Dollar allein im vergangenen Jahr auch in Zukunft weiterhin führend in der Solartechnologie sein. Zumindest in den nächsten drei Jahren werde das Land mehr als drei Viertel der weltweiten Produktionskapazitäten für Polysilizium, Wafer, Zellen und Module beherrschen.
Ohne China ist Wiederaufbau nicht machbar
Im Kampf um die Wettbewerbsfähigkeit steht gerade die deutsche Solarbranche vor einem schwerwiegenden Problem. Ohne Materialien und Vorprodukte aus China ist der Wiederaufbau der heimischen Industrie laut Jochen Rentsch, Solarexperte am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, nicht machbar. "Wenn Sie zum Beispiel Ausrüstung für die Solarwafer-Produktion suchen, werden Sie aktuell keinen wettbewerbsfähigen nicht-chinesischen Hersteller finden. Wenn wir den Aufbau schnell umsetzen wollen, wären wir dabei also auf China angewiesen", zitiert die Frankfurter Rundschau Rentsch.
Indem die EU zugelassen hat, dass Mitgliedstaaten Unternehmen der Energiewende-Technologien gezielt fördern dürfen, sind laut dem Experten bereits günstige Voraussetzungen geschaffen worden. Schließlich verbiete das Wettbewerbsrecht der EU dies eigentlich. "Die Mitgliedstaaten können dafür zum Beispiel Gelder aus dem 'Green Deal'-Topf verwenden. Auch können sie mithilfe von gezielter Standortförderung versuchen, Industriecluster anzulegen", sagt Rentsch.
Damit sich europäische Unternehmen gegen die billige Konkurrenz aus China durchsetzen können, sind auch Subventionen der Bundesregierung für die Solarbranche im Gespräch. Statt allein in Deutschland zu subventionieren, sollte laut dem Präsidenten des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle allerdings eher auf europäischer Ebene überlegt werden, wie Lieferketten breiter aufgestellt werden könnten. Ein Subventionswettlauf innerhalb Europas müsse unbedingt vermieden werden.
Ob Subventionen überhaupt etwas an der chinesischen Vormachtstellung ändern würden, ist ohnehin fraglich. DIW-Experte Schill sagt: "Unter Ökonominnen und Ökonomen ist es umstritten, ob eine Förderung der europäischen Solarindustrie überhaupt sinnvoll wäre." Einerseits sei es sicherlich hilfreich, unabhängig von einem Zulieferland zu sein. Andererseits ist die Frage, ob die deutsche Solarbranche nicht so weit abgehängt ist, dass ein Aufholen kaum möglich ist. Angesichts der beispielsweise hohen Kapital- und Energiekosten wäre eine Spezialisierung auf andere Wirtschaftsbereiche womöglich laut dem DIW-Experten dauerhaft sinnvoller.
Quelle: ntv.de