Deutscher Weiterbildungsatlas Wer wo die besten Aufstiegschancen hat
16.09.2015, 11:00 Uhr
Anders als es diese sechs Hektar große Deutschlandkarte aus 20.000 Kohlköpfen in einem Kornfeld suggeriert, ist Deutschland alles andere als homogen, wenn es um Bildung geht.
(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)
Weiterbildung ist der Schlüssel zu Aufstieg und Erfolg im Berufsleben. Dumm nur, dass die, die sie am bittersten nötig hätten, oft leer ausgehen. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt erstmals, wer wo in Deutschland am meisten profitiert.
Ob Menschen beruflichen Erfolg in ihrem Leben haben oder nicht, hat vor allem mit ihrem Bildungsgrad zu tun. Leider sind Bildungschancen aber nicht gerecht verteilt. Welche Chancen ein Mensch auf einen guten Start ins Leben hat, hängt maßgeblich davon ab, wo er geboren wird und welcher Schicht er angehört. Später im Leben den Aufstieg zu schaffen, wird nicht leichter. Denn auch bei Weiterbildungsmaßnahmen hat nicht jeder die gleichen Möglichkeiten.

Damit Angebot und Nachfrage gut zusammenfinden, müssen Beratungsstellen müssen "milieunah" und "wohnungsnah" sein.
(Foto: picture alliance / dpa)
Eine erstmals durchgeführte repräsentative Umfrage der Bertelsmann-Stiftung unter 800.000 Menschen zeigt, dass zwar jeder siebte Bundesbürger über 25 Jahre (13,5 Prozent) Fortbildungsmaßnahmen nutzt. Die Chancen auf ein Weiterkommen im Berufsleben - wenn der Start vielleicht nicht so günstig ausgefallen ist -, bleibt aber genauso unterschiedlich.
Regionale und soziale Unterschiede
"Je nachdem, wo Sie wohnen, haben Sie bessere oder schlechtere Chancen auf Weiterbildung und Aufstiegschancen im Job", sagt der Sprecher der Bertelsmann Stiftung Frank Frick. Im niedersächsischen Emsland zum Beispiel, im Nordwesten Deutschlands, bilden sich nur sechs Prozent der Bevölkerung weiter. In anderen Teilen der Republik sind es fast dreimal so viele Erwachsene: zum Beispiel im unterfränkischen Würzburg (19 Prozent), in Ingolstadt (18,7 Prozent) oder Augsburg (18,1 Prozent).
Neben den regionalen Unterschieden belegt die Studie auch ein starkes soziales Gefälle. So nehmen Personen mit Ausbildung oder Hochschulabschluss mit 22,5 Prozent auch dreimal so häufig an Fortbildungen teil wie Geringqualifizierte - das ist mehr als jeder Fünfte.
Unterm Strich bedeutet das: Diejenigen, die Weiterbildungsmaßnahmen bitter nötig hätten, nutzen die Möglichkeiten, die ihnen den Aufstieg auf der sozialen Leiter sichern könnten, am wenigsten. Regional betrachtet sind es die Region um Aachen, Südsachsen und das Allgäu, wo Geringqualifizierte am wenigsten an Weiterbildungen teilnehmen. Laut Studie sind es jeweils nur zwischen drei und 3,6 Prozent der Erwachsenen. Eine ernüchternde Bilanz. Bessere Chancen auf Weiterbildung haben Geringqualifizierte offenbar dagegen im Oberen Elbtal/Osterzgebirge (10,7 Prozent), Mittelthüringen (10,1 Prozent) und in der Region Main-Rhön (9,8 Prozent).
Weiterbildungsangebote müssten gerade Geringqualifizierte deutlich besser erreichen. "Rund 7,5 Millionen Menschen arbeiten in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Das heißt, in befristeten Jobs, auf Mindestlohn oder darunter. Sie haben nicht die finanziellen Mittel, sich über Weiterbildungsmaßnahmen aus dieser schwierigen Situation zu befreien", sagt Frick. Ihnen fehlt die Möglichkeit, ihre Bildungssituation einzuschätzen und entsprechende Schritte einzuleiten, um eine sinnvolle Weiterbildung in Angriff zu nehmen. "Ohne Bildungsberatung funktioniert das nicht", so Frick weiter. Wichtig seien deshalb niedrige Hürden beim Zugang zu den Angeboten, also "milieunahe" oder "wohnungsnahe" Beratungsstellen, die jeder leicht finden könne.
Ungenutzte Potenziale
Wie die Studie zeigt, werden Bildungsangebote in einigen Regionen noch nicht einmal vollständig genutzt - auch wenn es genügend Menschen geben würde, die theoretisch Bedarf haben sollten. Ein Beispiel ist Hamburg, wo aufgrund der Sozialstruktur durchaus ein großer Andrang auf das Weiterbildungsangebot erwartet werden dürfte. Tatsächlich werden die Möglichkeiten aber nur zu gut 80 Prozent genutzt. Auch Berlin hätte noch Kapazitäten für über zehn Prozent mehr Teilnehmer. Besser als von den Experten erwartet schneiden dagegen die Bundesländer Hessen (111,1 Prozent), Baden-Württemberg (110,6 Prozent) und Schleswig-Holstein (106,4 Prozent) ab.
Ob es genügend Weiterbildungsangebote gibt und diese auch genutzt werden, hängt nicht nur von einer guten Verkehrsanbindung und einer guten Bildungsberatung ab, die Angebot und Nachfrage zusammenbringen. Ausschlaggebend ist vor allem die Wirtschaftsdynamik einer Region. "Je dynamischer eine Wirtschaft ist, desto mehr Weiterbildungen werden angeboten", sagt Frank. Wo es interessantere Jobs gebe, gebe es automatisch auch eine besser ausgebildete Bevölkerung. Diese wiederum hätte statistisch gesehen auch ein größeres Interesse an Weiterbildungen.
Ein positives Beispiel ist Schleswig-Holstein-Nord, wo sich erst jüngst im Bereich Logistik, Tourismus und Pflegebereich neue Anbieter angesiedelt haben. "Da waren die Weiterbildungsträger, die Bundesagentur für Arbeit, die kommunalen Entscheider und die Unternehmen schnell dabei. Sie wussten: Wenn sie rasch neue Qualifizierungsmaßnahmen auf die Beine stellen, dann haben die Menschen aus der Region auch eine Chance", so Frick. Die gute Zusammenarbeit hat sich gelohnt. So gute Konditionen gebe es in der deutschen Weiterbildungslandschaft leider nicht überall.
Quelle: ntv.de