
Hochsicherheitslabor für die Viren-Forschung in Wuhan.
(Foto: imago images/Xinhua)
Neue Studien und Ermittlungen rücken erneut die Frage in den Fokus, ob die Corona-Pandemie von einem Labor-Virus ausgelöst wurde. In der Folge kocht die Ursprungs-Debatte hoch. Dabei gilt vielen Forschern ein natürlicher Ursprung von Sars-CoV-2 als klarer Favorit. Wo steht die Forschung derzeit?
Die Corona-Pandemie ist aus Sicht mancher bereits vorbei. Doch eine Frage bleibt bislang ungeklärt: Woher stammt das Virus Sars-CoV-2 eigentlich, das fast drei Jahre lang die Welt in Atem hielt? Weitgehend Einigkeit herrscht in der Wissenschaft darüber, dass die Antwort darauf äußerst nützlich sein könnte, um zukünftige Pandemien zu verhindern. Stand heute gehen die meisten Forscher von einem natürlichen Phänomen aus, einem Virus, das von Tieren auf den Menschen übersprang. Doch zuletzt erhält die Theorie eines menschengemachten Labor-Ursprungs wieder mehr Aufmerksamkeit.
In der breiten Öffentlichkeit galt es zu Beginn der Pandemie lange als unstrittig, dass Sars-CoV-2 aus der Natur stammt. Von Fledermäusen und Zwischenwirten wie dem Schuppentier als Quelle war in den ersten Monaten des Jahres 2020 die Rede. Auch der Ort des ersten bekannten Ausbruchs schien schnell festzustehen, ein sogenannter Nassmarkt in der Millionenstadt Wuhan, auf dem neben Meerestieren auch lebende Wildtiere als Delikatessen angeboten wurden.
Ein Nischendasein führte die Theorie, dass Sars-CoV-2 durch Forschungsarbeit in einem Labor freigesetzt worden sein könnte. Im Fokus stand dabei das Wuhan Institute of Virology, wo bereits seit Jahren Coronaviren vermischt und neuartige Viren mit dem Ziel erschaffen wurden, ihre Gefährlichkeit für die Menschheit abzuschätzen. Nicht unplausibel, dass dabei etwas schiefgegangen sein könnte. Doch derlei Überlegungen wurden von führenden Virologen bereits im Frühjahr 2020 als "Verschwörungstheorien" abgeräumt. Erst mit der Zeit mehrten sich die Forderungen aus der Forschungswelt, die Herkunft aus dem Labor zumindest in Erwägung zu ziehen.
Manipulierte Kopie eines Virus?
Mittlerweile gilt die Hypothese eines Labor-Ursprungs als weitgehend rehabilitiert. Und zuletzt scheint sie sogar Rückenwind zu bekommen. So sorgte der deutsche Immunologe Valentin Bruttel vom Universitätsklinikum Würzburg mit einer, zusammen mit zwei US-Forschern verfassten, Preprint-Studie für Aufsehen, die einen Labor-Ursprung von Sars-CoV-2 nahelegt. "In Kombination mit anderen molekularen Hinweisen zeigen unsere Ergebnisse, dass dieses Virus zu 99,9 Prozent eine künstliche, wahrscheinlich manipulierte Kopie eines natürlichen Virus ist", sagte Bruttel gegenüber ntv.de. Anlass dafür war ein von den Forschern ausgemachtes Muster im Erbgut des Virus, das aus ihrer Sicht der "Fingerabdruck" einer gezielten Manipulation sei.
Es folgte jedoch umgehend scharfe Kritik von Virologen und Mikrobiologen, zunächst auf Twitter. Auch andere Forscher äußerten gegenüber Zeitungen und Magazinen Zweifel an der Studie. Das Universitätsklinikum Würzburg gab schließlich eine eigene Bewertung durch Experten in Auftrag. Deren Schlussfolgerung: "In der Summe ergibt sich aus den in der Studie vorgelegten Analysen keine sichere Evidenz für die von den Autoren formulierte Schlussfolgerung, dass Sars-CoV-2 synthetischen Ursprungs sei."
Francois Balloux, Direktor des Genetics Institute am University College London, nahm in einem Beitrag das Preprint von Bruttel und seinen Mitautoren insoweit in Schutz, als es sich durchaus lohne, ungewöhnliche Muster im Erbgut zu hinterfragen. Er schloss zudem nicht aus, dass die Analysen künftig von anderen bestätigt werden könnten. Allerdings gab er auch zu bedenken, dass selbst dies wohl keinen Durchbruch in der Ursprungsfrage bedeuten dürfte: "Bestenfalls - oder schlimmstenfalls, je nachdem, was man vorher geglaubt hat - werden diese Ergebnisse nur ein paar zusätzliche schwache Indizien zur Debatte beisteuern."
Wirbel um chinesische Dokumente
Für Wirbel sorgte zuletzt auch ein gemeinsamer Report der unabhängigen US-Rechercheorganisation ProPublica mit dem Magazin "Vanity Fair": Demnach gab es im Institute of Virology in Wuhan erhebliche Sicherheitsmängel und im November 2019 womöglich sogar einen Zwischenfall im Hochsicherheitslabor. Der Bericht bezieht sich auf Dokumente in chinesischer Sprache, die das Forschungsinstitut selbst online gestellt hatte, und die angeblich verschleierte Informationen über die wahren Vorgänge vor Ort enthielten. Doch schnell folgte auch darauf in sozialen Netzwerken die Kritik, die Dokumente seien falsch übersetzt und fehlinterpretiert worden. Die "Los Angeles Times" sprach sogar von einem "Train Wreck" (deutsch etwa: "Katastrophe") für die hoch angesehene Rechercheplattform ProPublica.
Die Recherchen waren der Spin-Off zu einer Analyse von Republikanern im US-Kongress, die ihrerseits der Ursprungsfrage nachgegangen waren. In ihrem Bericht für das Gesundheitskomitee des US-Senats kamen sie zu dem Schluss, dass die Pandemie höchstwahrscheinlich durch einen Laborzwischenfall in China verursacht worden war. Der Molekularbiologe Richard Ebright, der sich stets für einen unvoreingenommenen Blick auf Labor-Hypothesen starkgemacht hatte, fand in dem Bericht jedoch "keine Informationen, die nicht bereits in den Medien präsentiert und diskutiert worden seien", wie er der "New York Times" sagte. Neu daran sei lediglich die Feststellung, dass China ungewöhnlich schnell nach dem Ausbruch Fortschritte bei Corona-Impfstoffen gemacht habe.
Neue Hinweise für Ausbruch auf Markt
Doch dürftig bleiben auch die Belege für einen natürlichen Ursprung von Sars-CoV-2. Für viel Aufsehen sorgte dieses Jahr ein Studien-Tandem, welches erneut den Huanan-Nassmarkt in Wuhan ins Visier nahm. Eine der Studien analysierte das Auftreten der ersten bekannten Fälle in Wuhan und fand eine Häufung in der Nähe des Marktes. In dessen Inneren wurden zudem die ersten Fälle bei Menschen in jenem Bereich verortet, wo lebende Wildtiere verkauft wurden und das Virus gleichzeitig in vielen Proben von Gegenständen und Boden nachgewiesen worden war. Die andere Studie legte zudem nahe, dass es zu mindestens zwei Übersprüngen vom Tier auf den Menschen gekommen war.
Die beiden Studien dienten unter anderem als Futter für den Bericht eines Expertengremiums zum Ursprung der Pandemie, der im Oktober veröffentlicht worden war. Dieser kommt zu dem Schluss, dass sich Sars-CoV-2 wahrscheinlich auf natürliche Weise verbreitet hat, ganz ohne Hilfe eines Labors. "In unserer Arbeit wird berücksichtigt, dass es verschiedene mögliche Ursprünge gibt, aber die Beweise für eine Zoonose sind überwältigend", sagte Mitautorin Danielle Anderson, Virologin an der Universität von Melbourne, dem Magazin "Science".
Es bleiben Zweifel
Doch es bleiben Zweifel. Genährt vor allem durch den Ort des Ausbruchs selbst: Wuhan. Im Fall einer natürlichen Übertragung scheint es ein großer Zufall zu sein, dass ausgerechnet dort, wo intensiv an und mit Coronaviren geforscht und experimentiert wurde, eine große Coronavirus-Pandemie mit einem zuvor unbekannten Virus ausbricht. Dabei liegt Wuhan Hunderte Kilometer weit entfernt von den Federmaushöhlen im Süden Chinas und dem Nachbarstaat Laos, wo die nächsten Verwandten von Sars-CoV-2 entdeckt wurden.
Wie ist das Virus also nach Wuhan gelangt? Über den Handel mit Wildtieren, argumentieren manche. Doch dafür fehlt es an Belegen. Die Spur des Virus verliert sich irgendwo in der Millionenstadt. Und so musste auch Peter Daszak, Zoologe und einer der lautstärksten Verfechter der Natur-Hypothese, eingestehen, dass die Hinweise auf eine natürliche Übertragung zwar "ganz gut" seien, aber "deutlich besser" sein könnten, wie er "Science" sagte. Die Ursprungsfrage sei daher nicht abschließend geklärt. Es fehlten schlicht wichtige Daten, so Daszak.
Wie geht es nun also weiter? Die Weltgesundheitsorganisation WHO führt nach eigenen Aussagen die Suche nach dem Ursprung von Sars-CoV-2 weiter fort. Im Oktober 2021 nahm eine ständige internationale wissenschaftliche Beratergruppe für den Ursprung neuartiger Erreger (Scientific Advisory Group for Origins of Novel Pathogens, SAGO) ihre Arbeit auf, die sich sowohl mit Sars-CoV-2 als auch mit künftigen neuen Erregern befasst. Mitglied ist auch der deutsche Virologe Christian Drosten.
Suche kann Jahre dauern
Allerdings macht sich SAGO nicht selbst auf die Suche nach dem Ursprung des Virus, sondern wertet wissenschaftlichen Erkenntnisse und Hinweise dazu aus. Zudem berät die Gruppe die WHO, welche Schritte bei der Aufklärung des Rätsels unternommen werden sollten. In ihrem jüngsten Bericht aus Juni 2022 empfiehlt SAGO weitere Studien zum Ursprung von Sars-CoV-2, etwa die genauere Analyse von medizinische Daten in Wuhan in den Monaten vor dem Ausbruch. Auch werden Untersuchung von Pelztierfarmen in verschiedenen Regionen Chinas angeregt, wo sich Viren erfahrungsgemäß gut ausbreiten können. Es wird aber auch empfohlen, Art und Umfang der Forschung mit Coronaviren in den Laboren in Wuhan näher zu beleuchten.
Ob es zu alldem jemals kommt, ist bislang völlig offen. China hat internationale Bemühungen zu umfassenden Forschungen auf seinem Territorium immer wieder abgelehnt. Aber selbst unter günstigeren Umständen kann, so betonen Experten, die Suche nach dem Ursprung eines Erregers Jahre in Anspruch nehmen - wenn sie überhaupt jemals zum Erfolg führt.
Quelle: ntv.de