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Nebenwirkungen des Wundermittels Löst die Wegovy-Abnehmspritze Selbstmordgedanken aus?

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Seit 29. Juli ist das Abnehmpräparat Wegovy in Deutschland erhältlich.

Seit 29. Juli ist das Abnehmpräparat Wegovy in Deutschland erhältlich.

(Foto: REUTERS)

Viele Stars schwören auf die Abnehmspritze Wegovy und auch für Übergewichtige ist sie eine große Hoffnung: Ab sofort ist das Mittel in Deutschland auf dem Markt. Doch Berichte über extreme Nebenwirkungen häufen sich. Sogar von Suizidgedanken ist die Rede.

Einige preisen sie als Wunderwaffe, andere warnen vor den Gefahren: Das Abnehm-Medikament Wegovy gibt es jetzt auch in Deutschland. Seit Ende Juli verkauft der dänische Pharmakonzern Novo Nordisk die Spritze in deutschen Apotheken. Bisher war das Mittel nur in den USA, Dänemark und Norwegen zu bekommen. Zugelassen in der EU ist es zwar schon seit Anfang 2022, wegen der großen US-Nachfrage war es hierzulande aber bisher noch nicht zu kaufen. Nun folgt der erste große europäische Markt. In Deutschland ist knapp jede zweite Frau von Übergewicht betroffen. Bei den Männern sind sogar zwei von drei übergewichtig. Fast ein Fünftel der Erwachsenen hat Adipositas.

Dass es wirkt, haben Prominente wie Reality-Star Kim Kardashian oder Tesla-Chef Elon Musk vorgemacht. Sie sollen damit schon einige Kilos losgeworden sein. Seitdem reißen sich übergewichtige Menschen auf der ganzen Welt um das Medikament.

Wegovy kann vor allem stark übergewichtigen Menschen beim Abnehmen helfen. Monika Netzband hat mit dem Mittel innerhalb von zwei Jahren 65 Kilo abgenommen. Sie konnte das Medikament schon vor dem offiziellen Start nutzen, berichtet sie bei RTL. Denn sie hat an einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) teilgenommen. Ihre Lebensqualität habe sich verbessert, Herz und Blutwerte seien in Ordnung.

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17 Prozent Gewichtsreduktion

Wegovy wirkt ähnlich wie das Medikament Ozempic, das ebenfalls von Novo Nordisk hergestellt wird. Beide Medikamente enthalten den Wirkstoff Semaglutid und dämpfen Appetit und Heißhunger.

Ozempic ist offiziell ein Arzneimittel für Diabeteskranke mit Typ-2-Diabetes, darf aber auch Übergewichtigen verschrieben werden. Es hatte schon vor einigen Monaten für Aufsehen gesorgt. Der Run war so groß, dass es in Deutschland Lieferengpässe gab.

Wegovy dagegen ist explizit ein Schlankheitsmittel für Menschen mit Adipositas. Gedacht ist das Präparat für Erwachsene mit einem Body-Mass-Index (BMI) ab 30. Sie spritzen es sich mit einer Art Stift einmal pro Woche in Bauch, Oberschenkel oder Oberarm. Als "Quantensprung" bezeichnet es Jens Aberle, der ärztliche Leiter des Adipositas-Centrums am UKE, bei RTL. Es sei deutlich effektiver als alle bisherigen Präparate in der Adipositas-Therapie. "Laut Studienlage liegt die durchschnittliche Gewichtsreduktion bei Menschen mit Adipositas bei etwa 17 Prozent ihres Körpergewichts", rechnet Jens Aberle bei ntv vor.

Therapie mit Wegovy ist teuer

In den USA können sich nur Wohlhabende die Behandlung leisten, denn Wegovy kostet dort etwa 1000 Dollar pro Monat. In Deutschland ist das Mittel deutlich günstiger. Wegovy kostet hierzulande aber trotzdem noch monatlich 170 bis 300 Euro. Patienten müssen es trotz Rezept vom Arzt selbst bezahlen, die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht.

Wer sich dafür entscheidet, muss mit größeren Ausgaben rechen, denn das Medikament wirkt auch nur so lange, wie es gespritzt wird. "Der Haupteffekt ist meistens nach neun bis zwölf Monaten erreicht", sagt Experte Aberle. Wer die Spritze absetzt, leidet meist unter dem Jo-Jo-Effekt. "Einige Patienten können das Gewicht halten. Bei anderen kommt es zu einer Zunahme des Körpergewichts und dann wäre es tatsächlich eher eine dauerhafte Behandlung."

Warnungen vor Erbrechen und Krebs

Für dauerhafte Schlankheit sorgen Wegovy und Co. also offenbar nicht. Daten aus den USA belegen auf jeden Fall, dass nur etwa ein Drittel der Patienten Wegovy oder vergleichbare Mittel ein Jahr nach Start der Behandlung immer noch nimmt. Das zeigen Daten des Krankenversicherungs-Dienstleisters Prime Therapeutics.

Es ist aber nicht ganz klar, warum das so ist. Es könnte vor allem in den USA mit den hohen Kosten der Mittel zu tun haben - aber auch mit den Nebenwirkungen. Denn in bisherigen Studien berichten Probanden von Übelkeit, Durchfall, Verstopfung und Erbrechen. Die American Society of Anesthesiologists warnt deswegen ausdrücklich davor, das Medikament vor einer Operation zu nehmen. Denn es besteht die Gefahr, dass unter Narkose Nahrung erbrochen und dann in die Lunge eingeatmet wird.

Novo Nordisk
Novo Nordisk 51,92

Der Hersteller Novo Nordisk nennt außerdem noch Gallensteine, ein Risiko für niedrigen Blutzucker, Sehstörungen bei Typ-2-Diabetikern und Entzündungen der Bauchspeicheldrüse als mögliche Nebenwirkungen.

Gerade am Anfang kämpften die Patienten oft mit Übelkeit und Erbrechen, sagt der Mediziner Thomas Kurscheid bei RTL. Zudem warne die US-amerikanische Gesundheitsbehörde davor, es zu nehmen, wenn es in der Familie Schilddrüsenkrebs gibt, "es könnte das Risiko erhöhen, selber daran zu erkranken".

Berichte über Selbstmordgedanken

Rat und Nothilfe bei Suizid-Gefahr und Depressionen
  • Bei Suizidgefahr: Notruf 112
  • Deutschlandweites Info-Telefon Depression, kostenfrei: 0800 33 44 5 33

  • Beratung in Krisensituationen: Telefonseelsorge (0800/111-0-111 oder 0800/111-0-222, Anruf kostenfrei) oder Kinder- und Jugendtelefon (Tel.: 0800/111-0-333 oder 116-111)
  • Bei der Deutschen Depressionshilfe sind regionale Krisendienste und Kliniken zu finden, zudem Tipps für Betroffene und Angehörige.
  • In der Deutschen Depressionsliga engagieren sich Betroffene und Angehörige. Dort gibt es auch eine E-Mail-Beratung für Depressive.
  • Eine Übersicht über Selbsthilfegruppen zur Depression bieten die örtlichen Kontaktstellen (KISS).

Für größere Unruhe sorgen derzeit Berichte aus den USA, wo Wegovy bereits seit 2021 auf dem Markt ist. Dort scheinen immer mehr Patienten unter Nebenwirkungen zu leiden. Sie berichten über anhaltendes Erbrechen und Magenlähmungen. Viele fühlen sich niedergeschlagen und deprimiert.

Der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA wurden im Zusammenhang mit der Einnahme von Ozempic und Wegovy bis März zudem rund 60 Fälle von Depressionen, Selbstmordgedanken oder Selbstmordversuchen gemeldet.

Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat sogar 150 entsprechende Berichte von Wegovy-, Ozempic- und Saxenda-Patienten auf dem Tisch. Saxenda ist ein älteres Diabetes- und Abnehm-Medikament. Die EMA prüft, ob die Mittel tatsächlich Selbstmordgedanken auslösen und verstärken können. Auch Großbritannien untersucht Fälle, bei denen Patienten Suizidgedanken hatten.

Weil inzwischen mehr Menschen das Medikament nehmen, gibt es natürlich auch mehr Erfahrungsberichte, auch über Nebenwirkungen.

Abfüller verstößt gegen Sicherheitsvorschriften

Unklar ist, welche Rolle eine Medikamentenfabrik in Brüssel spielt, die Injektionsstifte für Wegovy abfüllt und in den vergangenen Jahren mehrmals gegen US-Vorschriften für sterile Sicherheit verstoßen haben soll. "Standardbetriebsverfahren werden nicht befolgt oder sind mangelhaft", hatten Inspektoren der US-Arzneimittelbehörde FDA bei Qualitätskontrollen 2021 und 2022 festgestellt. Zudem hat das Fabrikpersonal Qualitätskontrollen verpasst.

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Was genau schiefgelaufen ist, ist nicht bekannt. Die Kontrolleure sprachen von der "schwerwiegendsten Form von Verstößen". Immerhin kann es tödlich für die Patienten sein, wenn bei der Abfüllung von Medikamenten nicht alles steril ist. Eine solche Verunreinigung wurde aber in der Fabrik nicht festgestellt.

Neue Adipositas-Medikamente in der Pipeline

Trotz all dieser negativen Schlagzeilen sind die Hersteller im Goldrausch: Der Markt für Abnehm-Medikamente ist Milliarden Dollar wert. Der Wegovy-Hersteller Novo Nordisk hat im vergangenen Jahr seinen Umsatz im Adipositas-Geschäft mehr als verdoppelt - auf umgerechnet 2,26 Milliarden Euro. Es wurde damit das zweitwertvollste Börsenunternehmen Europas - nach dem Luxuskonzern LVMH.

Der Hype ist noch lange nicht vorbei. Spätestens Anfang 2024 soll das Typ-2-Diabetes-Medikament Mounjaro auch für Übergewichtige zugelassen werden. Es soll noch wirksamer sein als Wegovy.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

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Quelle: ntv.de

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