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Studie zu Hydroxychloroquin War Trumps Corona-Wundermittel tödlich?

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In Deutschland gibt es keine Zulassung von Hydroxychloroquin für die Behandlung von Covid-19.

In Deutschland gibt es keine Zulassung von Hydroxychloroquin für die Behandlung von Covid-19.

(Foto: REUTERS)

Mitten in der ersten Corona-Welle verspricht ein Medikament schnelle Heilung: Hydroxychloroquin. Wissenschaftler und Politiker feiern es als Wundermittel gegen Covid-19. Doch schnell wird klar: Das Mittel ist nicht nur unwirksam, sondern auch gefährlich. Wie sehr, zeigt jetzt eine neue Studie.

"Was haben Sie schon zu verlieren? Nehmen Sie es einfach!" Mit diesen Worten preist der damalige US-Präsident Donald Trump Anfang 2020 das Medikament Hydroxychloroquin an. Mitten in der ersten Corona-Welle, als händeringend nach Behandlungsmöglichkeiten für Covid-Patienten gesucht wird, gilt Hydroxychloroquin als Wundermittel. Schnell wird allerdings klar: Das Medikament wirkt kaum und hat schwere Nebenwirkungen. Jetzt findet eine neue Studie sogar heraus: Die Einnahme war für viele Menschen wahrscheinlich tödlich.

Die Forscherinnen und Forscher schätzen, dass etwa 16.990 Covid-Patienten in den USA, Frankreich, Belgien, Italien, Spanien und der Türkei an den Folgen der Einnahme des Medikaments starben. Dies entspreche einem Anstieg der Sterblichkeitsrate unter Covid-19-Patienten um elf Prozent, heißt es in der Studie, die im Fachmagazin "Biomedicine & Pharmacotherapy" veröffentlicht wurde. Demnach ist die Toxizität von Hydroxychloroquin auf Nebenwirkungen wie Herzrhythmusstörungen und seine Verwendung anstelle anderer wirksamer Behandlungen zurückzuführen.

Da die Studie nur sechs Länder im Zeitraum von März bis Juli 2020 untersucht, könnte die Zahl der Todesopfer noch deutlich höher liegen, schreiben die Forschenden. Ärzte auf der ganzen Welt hätten während der ersten Virus-Welle Covid-Patienten Hydroxychloroquin verschrieben, "obwohl es keine Belege für seinen klinischen Nutzen gab".

Wie konnte es dazu kommen?

Den Wirkstoff Hydroxychloroquin (HCQ) gibt es bereits seit den 1930er-Jahren. Damals war das Medikament tatsächlich eine Art Wundermittel - und zwar gegen Malaria. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es das meistverwendete Anti-Malaria-Mittel. Heute wird es auch gegen Autoimmunerkrankungen wie Lupus oder rheumatische Arthritis eingesetzt. Sein großes Comeback verdankt Hydroxychloroquin jedoch der Corona-Pandemie, einem französischen Arzt und dem US-Präsidenten.

Als die Covid-19-Situation Anfang Januar 2020 in Wuhan eskaliert, setzen Ärzte dort alle bekannten antiviralen Medikamente ein. Es sind experimentelle Therapien, verbunden mit der Hoffnung, dass irgendetwas gegen dieses neuartige Coronavirus wirkt. Verabreicht werden diverse HIV-Präparate, Mittel gegen Hepatitis-Viren - und auch Hydroxychloroquin. Letzteres scheint tatsächlich zu helfen.

Die erste kleine chinesische Studie dazu fällt dem französischen Arzt und Mikrobiologen Didier Raoult in die Hände. Und obwohl klinische Details, wie die Angabe, ob es eine Kontrollgruppe gab, fehlen, ist Raoult überzeugt: Mit Hydroxychloroquin lässt sich Covid-19 besiegen. Eigene klinische Versuche mit 24 Patienten untermauern seine Überzeugung. Das Mittel wirkt scheinbar hervorragend. Raoult und sein Forscherteam veröffentlichen ihre Ergebnisse im "International Journal of Antimicrobial Agents". Aus Fachkreisen hagelt es prompt Kritik, die Methodologie sei nicht sauber, die Patientengruppe zu klein.

Fox und Trump schmeißen Propagandamaschine an

Raoult scheint das wenig zu interessieren. Er hält inzwischen Vorträge zum angeblichen Wundermittel Hydroxychloroquin und lädt diese bei Youtube hoch - mit Erfolg. Bis zu 730.000-mal werden seine Videos zum Teil geklickt.

Die Mär vom Wunder-Medikament erreicht derweil auch die USA. Beim Sender Fox News wird über Raoults Studienergebnisse gestaunt, es heißt, der Heilungserfolg von Covid-19 liege bei 100 Prozent. Nur wenige Stunden später spricht der damalige US-Präsident und Fox News' treuster Zuschauer Donald Trump in seinem täglichen Coronavirus-Briefing von "sehr, sehr, sehr" ermutigenden Resultaten.

In den folgenden Wochen läuft die Propagandamaschine aus Trump und Fox News auf Hochtouren: Kein anderer Sender erwähnt Hydroxychloroquin häufiger. Und der US-Präsident schwärmt nahezu bei jeder Gelegenheit von dem angeblichen Wundermittel und empfiehlt den Amerikanern, es auszuprobieren. Es sei ein "Geschenk Gottes". Auf den Zug springt auch ein weiterer Populist auf: Trumps brasilianischer Amtskollege Jair Bolsonaro wirbt ebenfalls fürs Medikament. Er sagt, Hydroxychloroquin rette Leben.

Derweil kommen bei immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Zweifel auf. Zum einen gibt es lediglich Vermutungen darüber, wie Hydroxychloroquin gegen SARS-CoV-2 wirken könnte. Zum anderen häufen sich Meldungen aus Krankenhäusern in vielen Ländern zu Herzschäden und Herzversagen nach der Einnahme des Medikaments. Eine Studie in Brasilien wird sogar abgebrochen, da die mit einer hohen Dosis Hydroxychloroquin behandelten Patienten eine höhere Sterblichkeit aufwiesen als jene ohne. Hinzu kommen schwere Nebenwirkungen wie Herzrhythmusstörungen, Augenschäden bis hin zu Blindheit, Erbrechen, Leberschäden, Blutbildveränderungen, Juckreiz, Schlafstörungen, Psychosen.

Eine (zu) einfache Lösung für eine komplexe Krise

Trump, Bolsonaro und Raoult halten noch lange an ihrem Wundermittel fest. Selbst als eine französische Studie keine Wirksamkeit nachweisen kann. Und auch dann noch, als US-Ärzte in Veteranen-Krankenhäusern Hinweise finden, dass Hydroxychloroquin zu einer höheren Sterblichkeit führen könnte. Trump nimmt das Medikament eine Zeit lang sogar als Coronavirus-Prophylaxe ein. Und auch Ärzte verschreiben Hydroxychloroquin weiterhin, trotz der Risiken.

Im Mai 2020 warnt die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) vor den schweren Nebenwirkungen bei der Anwendung von Hydroxychloroquin. Wenig später nimmt die FDA ihre Ausnahmegenehmigung zur Behandlung von Covid-19 zurück. Fast zeitgleich stoppt auch Frankreich den Einsatz. Ein Jahr später weist eine große Studie im Fachmagazin "Nature" schließlich ein deutlich erhöhtes Sterberisiko nach.

Heute steht fest: Ein Wundermittel war Hydroxychloroquin für Covid-Patienten sicherlich nicht - im Gegenteil. Es versprach eine einfache Lösung in einer komplexen Krise zu sein, kostete dabei aber womöglich Tausende Menschen das Leben, wie die aktuelle Studie zeigt. Die Forscherinnen und Forscher stellten zudem einen hohen Anteil an Verschreibungen von Hydroxychloroquin selbst in Ländern, die die Verwendung eingeschränkt hatten, fest. "Dieses Ergebnis spricht für eine strenge Regulierung des Zugangs zu Off-Label-Verschreibungen bei künftigen Pandemien."

Quelle: ntv.de

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