Mehr Renault als Mercedes? Geheimnis um Ci(ty-Ti)tan gelüftet
19.04.2012, 15:42 Uhr
Ab September soll der Citan von Mercedes die Konkurrenz das Fürchten lehren. Doch irgendwie ist der Schwabe ganz Franzose.
Der Verkauf von Stadtlieferwagen und Hochdachkombis boomt. Kein Wunder, dass auch Mercedes nach dem Flop mit dem Vaneo einen neuen Versuch startet. Der Citan soll in diese Lücke stoßen und die Stuttgarter versprechen bei der Weltpremiere in Amsterdam einiges.
Anlässlich der RAI, der Nutzfahrzeugausstellung in Amsterdam, hat Mercedes das Geheimnis um das Äußere seines neuen City-Vans gelüftet. Jedenfalls für die Presse. Das "normale" Publikum in den Niederlanden durfte das Fahrzeug zwar in einem Showroom erleben, aber so richtig anfassen dürfen ihn die potenziellen Käufer erst auf der IAA im September in Hannover.
Nach dem ersten Eindruck der Weltpremiere bleibt die Hoffnung, dass Mercedes-Fans nicht enttäuscht sind. Denn die Stuttgarter haben mit dem Citan, so heißt der neue Stadtlieferwagen, einige Erwartungen geweckt. Allein der Name ist eine Ansage: Er setzt sich aus den Worten City und Titan zusammen. Und so ruft der Leiter von Mercedes-Benz Vans, Volker Mornhinweg, auch aus: "Er hat das Zeug zum Heroen der Städte". Und vor allem dort soll er punkten: "Er ist das Auto für die Metropolen wie Amsterdam, Rom, Paris und das Ruhrgebiet", so Mornhinweg in seiner Präsentationsrede.
Damit ist auch gesagt, wo die Reise hingehen soll. Allein bis Jahresende wollen die Stuttgarter - Verkaufsstart ist im September - 10.400 Fahrzeuge absetzen. Dabei hat der Premiumhersteller nicht nur Altkunden im Blick, sondern will vor allem neue Käufer gewinnen, Käufer, die sich bis dato nicht für einen Mercedes entschieden haben oder hätten.
Der Ansatz scheint nicht falsch. Allein im Segment der Vans hat Mercedes 2011 etwa 62.000 Fahrzeuge verkauft. Das sind 18 Prozent mehr als 2010. Insgesamt verdienten die Stuttgarter mit den Modellen Sprinter, Vario, Viano und Vito im vergangenen Jahr 835 Millionen Euro. Ein guter Grund, mit dem Citan weiter in dieses Segment zu investieren. Mercedes hofft von dem Kleinsten der Van-Familie bis 2015 etwa 400.000 Einheiten zu verkaufen.
Mehr Renault als Mercedes?
Einfach dürfte das nicht werden. Der Citan stößt in eine Lücke, die Mercedes schon einmal besetzen wollte. Damals hieß der Glücklose Vaneo. Aufgrund mangelnden Absatzes wurde die Produktion nach vier Jahre eingestellt. Ein solches Debakel soll es mit dem Citan nicht geben und der Wunsch ist verständlich, denn immerhin wurde in den letzten Jahren eine dreistellige Millionensumme in die Entwicklung des Fahrzeugs investiert. Eine Menge Geld, das Mercedes jetzt wieder einsammeln will. Was das in Bezug auf die Preise für einen Citan bedeutet, lässt Mercedes bis dato offen.
Um in dem Segment der Stadtlieferfahrzeuge bestehen zu können, haben sich die Schwaben Renault als Partner gesucht. Warum es ausgerechnet Renault sein musste begründet Mornhinweg damit, dass er "so schnell wie möglich mit dem Fahrzeug an den Markt wollte" und da war die Erfahrung der Franzosen anscheinend eine Art Brandbeschleuniger. Produziert wird der Citan dann auch in Frankreich. Wobei die Qualitätssicherung in deutscher Hand liegt, betont Mornhinweg.
Bei der Effizienz der Motoren will Mercedes aus den französischen Aggregaten – drei Turbodiesel von 75 bis 110 PS sowie ein aufgeladener Benziner mit 114 PS - noch einiges rausholen. Die Rede ist von einem Verbrauch um die fünf Liter Diesel. Angestrebt sind - das aber nur unter vorgehaltener Hand - 4,44 Liter auf 100 Kilometer. Das wäre rekordverdächtig und könnte den Käufer tatsächlich verführen.
Ob auch Optik und Ausstattung zum Kauf reizen, ist fraglich. Chefdesigner Bertrand Janssen sagte bei der Präsentation: "Ein Mercedes muss an jedem Detail zu erkennen sein." Tatsächlich ist die Front des Citan eine Adaption der neuen A-Klasse: verchromter Stern in einer robusten Kühlermaske. Hier zeigt sich das junge Gesicht, das bald allen Mercedes-Modellen eigen ist. Ganz im Gegenteil zur Seitenansicht, die erinnert bei längerem Hinsehen an etwas Bekanntes, so schon oft Gesehenes: an Renault.
Wenig Oberklasse, viel Plastik
Im Innenraum bleibt der entscheidende Hinweis auf einen Mercedes lediglich der Stern. Ansonsten gibt sich der Citan eher zweckmäßig. Vom Kopf bis zu den Fußmatten, die aus weichem, fast schaumigem Gummi sind, scheint alles auf ein "schmutziges" Handwerk ausgelegt, das es den Werkelnden ermöglicht, auch den Innenraum mit dem Schlauch sauber zu halten.
Die Sitze haben nach dem ersten Eindruck eine zu kurze Oberschenkelauflage und das Lenkrad lässt sich zwar in der Höhe, aber nicht in der Tiefe verstellen. Ein etwas massiger Kollege brummt, dass er diesen Wagen im Leben nicht fahren könne. In den Modellen der Präsentation, die in allen drei Längen - von 3,94 über 4,32 bis 4,71 Meter - gezeigt wurden, herrscht jedenfalls eher Praxistauglichkeit als Oberklassen-Feeling.
Böse Zungen könnten auch behaupten: viel Plastik, wenig Stil. Darüber kann auch ein Lederlenkrad nicht hinwegtäuschen, das aber ohnehin zu den Sonderausstattungen gehören dürfte. Was es sonst an zusätzlichen Features geben wird, verrät der Hersteller noch nicht. Das Radio kann es nicht sein, denn auch das war eher von der einfachen Sorte. Hier war aber wenigstens eine USB-Schnittstelle zu finden. Ansonsten einfache Drehknopfbedienung, wie man sie auch aus preiswerten Renault-Modellen kennt.
Sicherheitskonzept ist einzigartig
Eines wird den Mercedes aber dann doch von seinen Konkurrenten Opel Combo, Fiat Doblo, VW Caddy, Renault Kangoo und Citroen Belingo unterscheiden: Er wird serienmäßig mit ESP, Antiblockiersystem, Über- und Untersteuerungskontrolle und einer Antischlupfregelung ausgerüstet.
Auch beim Fahrwerk setzt man auf Mercedes-eigene Tugenden, verspricht Mornhinweg. Das Fahrwerk wurde straffer abgestimmt, die Drehstäbe vom Durchmesser erhöht, die Federn verkürzt und auch die Dämpferbelastung verändert. Das alles wurde in einem umfänglichen Testprogramm in Schweden, das Mornhinweg schlichtweg als "brutal" beschreibt, auf Herz und Nieren überprüft.
Die Performance und die daraus resultierenden Fahreigenschaften sind es dann wohl auch, mit denen der Citan wirklich punkten kann. Allerdings ergeben die sich bis jetzt nur aus der Theorie, denn bei der Weltpremiere gab es lediglich ein "Watch and Touch".
Quelle: ntv.de