Piratin zur EU-Digitalstrategie "Das ist Roaming für Netflix"
06.05.2015, 18:26 Uhr
(Foto: dpa)
"Dieses Video ist in Deutschland leider nicht verfügbar" wird es wohl auch künftig bei Youtube heißen. Geoblocking werde auch die "Digitalstrategie" der EU-Kommission nicht abschaffen, kritisiert Europa-Parlamentarierin Julia Reda im Gespräch mit n-tv.de.
n-tv.de: Die EU-Kommission will den "digitalen Binnenmarkt" ermöglichen und damit Ländergrenzen abschaffen, die es im Internet gibt. Das klingt vielversprechend. Für Sie auch?

Julia Reda von der Piratenpartei ist seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments.
(Foto: Julia Reda)
Julia Reda: Nein, die Vorschläge der Kommission sind enttäuschend. Im Vorfeld gab es vollmundige Ankündigungen, man wolle nationale Grenzen im Urheberrecht einreißen. Doch nun präsentiert die Kommission eine Mini-Reform, die im Grunde nur den Bildungs- und Forschungsbereich betrifft und dort grenzüberschreitende Projekte erleichtern soll. Das ist zwar sehr wichtig, geht aber nur einen winzigen Teil der Probleme an.
Sie denken beispielsweise ans Geoblocking, das den Online-Zugriff auf Filme oder TV-Programme je nach Standort des Nutzers einschränkt?
Ja. Kommissions-Vizepräsident Andrus Ansip hatte im Vorfeld angekündigt, Geoblocking solle abgeschafft werden. Er "hasse" Geoblocking, so Ansip. Aber davon ist nun nicht mehr die Rede. Jetzt heißt es nur, "grenzüberschreitender Zugang zu rechtmäßig gekauften Online-Inhalten" solle ermöglicht werden. Das Problem ist, dass viele der blockierten Angebote in anderen Ländern gar nicht gekauft werden können und daher weiterhin von Geoblocking betroffen sein werden.
Und das heißt?
Das heißt beispielsweise, dass sprachliche Minderheiten nicht auf Inhalte zugreifen können, die für sie von Interesse sind. So können Deutsche, die in Dänemark leben, nicht die Mediathek des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks nutzen. Im Ausland wohnende Menschen können doch nicht plötzlich anfangen, deutsche Rundfunkgebühren zu bezahlen. Wie soll das gehen? Was die Kommission vorschlägt, ist nichts weiter als ein "Roaming für Netflix". Wer ein Netflix-Abo hat, wird das künftig auch im Urlaub nutzen können.
Ist der Zugriff auf Videos und Filme also nur ein Minderheitenproblem?
Überhaupt nicht. Der traurige Smiley von Youtube und die Worte "Dieses Video ist in deinem Land leider nicht verfügbar" sind ja geradezu ikonisch geworden für das Problem des Geoblockings. Ein zweites Problem ist, dass es häufig gar nicht möglich ist, digitale Inhalte zu kaufen, weil sie im Heimatland des Nutzers nicht legal angeboten werden. Ein Beispiel: Ich habe mir angeschaut, ob ich die Gewinner der European Film Awards der letzten zehn Jahre in Belgien, Österreich oder Estland online ansehen kann. Da sind durchaus erfolgreiche Filme dabei, auch deutsche Filme wie "Good bye Lenin". In den meisten Fällen hat das nicht funktioniert. Einige Filme habe ich auf Diensten aus anderen Mitgliedsstaaten gefunden. Doch auf diese durfte ich nicht zugreifen. Dann stelle ich mir natürlich die Frage: Wenn ein estnischer Film außerhalb Estland nicht frei zu verkaufen ist, warum muss man den dann geoblocken?
Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?
Unter anderem beim Urheberrecht. Die Vorschläge der Kommission gehen nicht auf die Rechtsunsicherheit ein, mit denen ganz normale Internet-Nutzer oder auch die Presse zu kämpfen haben, wenn es beispielsweise um das Recht auf Parodie oder um Zitate geht. Das ist wichtig für den kulturellen Austausch, ist aber in jedem Land anders geregelt. Selbst wenn die Vorschläge der Kommission umgesetzt werden, wird die Rechtslage beim grenzübergreifenden Austausch im Netz weiterhin undurchschaubar sein. Das gilt sogar für das Teilen von Fotos von Wahrzeichen im Urlaub – denn Aufnahmen öffentlicher Gebäude stehen in einigen EU-Staaten unter Urheberrechtsschutz der Architekten.
Mit Julia Reda sprach Jan Gänger
Quelle: ntv.de