Windparks an "falschen Stellen" Eon-Chef erklärt, warum Netzentgelte steigen und steigen
29.02.2024, 16:11 Uhr Artikel anhören
Wind und Sonne erzeugen Strom deutlich günstiger als fossile Energieträger. Je mehr Erneuerbare also genutzt werden, desto günstiger sollte Strom werden. Doch obwohl der Anteil 2023 bereits bei 60 Prozent lag, bleiben die Strompreise vergleichsweise hoch. Denn die Erneuerbaren müssen erst ins Stromnetz integriert werden, wie Eon-Chef Leonhard Birnbaum im "Klima-Labor" von ntv erklärt. Eine teure Aufgabe, denn Solar und Wind benötigen deutlich mehr Anschlüsse, Leitungen und Flächen, um ähnliche Strommengen wie konventionelle Kraftwerke zu erzeugen - und zusätzliche Reserven, weil Sonne und Wind nicht rund um die Uhr scheinen oder wehen. "Je mehr Erneuerbare in das System eingebracht werden, desto mehr steigen die Kosten", mahnt Birnbaum. Besonders stört sich der Eon-Chef aber an rücksichtslosen Investoren, die Windparks an falschen Stellen bauen und die Kosten für den Netzanschluss auf die Kunden umlegen.
ntv.de: Wann kommt der Tag, an dem Sie die günstigen Stromerzeugungspreise von vier Cent pro Kilowattstunde von Solar und Wind an die Kundinnen und Kunden weitergeben?

"Es ist fast egal, ob wir unsere Ausbauziele für 2030 erreichen. Entscheidend ist das Netz", sagt Eon-Vorstandschef Leonhard Birnbaum.
(Foto: picture alliance/dpa)
Leonhard Birnbaum: Die geben wir schon an den europäischen Strommarkt weiter. Aber der Endkundenpreis hat nur begrenzt etwas mit dem Großhandelspreis zu tun. Vier Cent pro Kilowattstunde (kWh) sind die Produktionskosten. Es kommt die Stromsteuer drauf, die Mehrwertsteuer, die Konzessionsabgabe. Das sind staatliche Lasten, die tendenziell eher begrenzt sinken. Zusätzlich haben Sie das Problem, dass die Erneuerbaren in das System integriert werden müssen: Solar produziert den billigsten Strom, aber nicht in der Nacht. Sie müssen also auch eine Reserve wie eine Batterie bezahlen. Bei Wind müssen Sie für windstille Tage vorsorgen. Das sind System-Integrationskosten: Je mehr Erneuerbare in das System eingebracht werden, desto mehr steigen die Kosten.
Dann wird der Strom durch die Energiewende teurer?
Nein. Es gibt einfach neue Komponenten, die zusätzlich bezahlt werden müssen. In der letzten Dekade war es kein Problem, Erneuerbare zu addieren, weil die konventionelle Reserve das System stabilisiert hat. Aber die Kernkraftwerke wurden abgeschaltet, demnächst folgt Kohle. Stattdessen wird eine Gasreserve geplant, die bezahlt werden muss. Erneuerbare machen die Stromerzeugung - die Gestehungskosten - günstiger. Gleichzeitig steigen die Kosten für Integration, Infrastruktur und aktuell auch Finanzierung, weil die Zinsen nach oben gegangen sind. Erst wenn alle Projekte gebaut und abgeschrieben sind und nichts mehr bezahlt werden muss, werden wir eine tolle Zeit haben.
Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Wir haben letztes Jahr das Kernkraftwerk Isar 2 bei Landshut stillgelegt. Der Strom ging im Wesentlichen nach München. Das Kraftwerk hatte 1500 Megawatt Leistung und einen Netzanschluss. Das lief ungefähr 8000 Stunden im Jahr, produzierte also 12 Milliarden Kilowattstunden Strom pro Jahr. Jetzt ersetzen wir das AKW - plakativ gesagt - durch Solar: Es gibt ungefähr 1000 wirkliche Sonnenstunden im Jahr, in denen man Strom erzeugen kann. Um dieselbe Menge zu produzieren, müssten sie 12.000 Megawatt Solar bauen, also acht Mal mehr!
Und dafür braucht man entsprechend mehr Stromleitungen?
Mehr Anschlüsse, Leitungen, Flächen und Kapital zum Bau. Dann müssen sie den erzeugten Strom einsammeln, steuern und verteilen. Das ist einfach mehr Infrastruktur. Und wie erwähnt: Manchmal scheint die Sonne, manchmal nicht. Dieses Profil müssen Sie ebenfalls glätten, also wieder Geld in die Hand nehmen. Anders gesagt: Die günstige Solarenergie hat Nebenkosten, die für einen großen Unterschied zwischen den Erzeugungskosten und den Endpreisen sorgen.
Das klingt nach steigenden Strompreisen.
Erneuerbare Energien können Strom deutlich günstiger erzeugen als fossile Energieträger. Das Fraunhofer-Institut sagt: Wird eine Solaranlage optimal eingesetzt, erzeugt sie Strom für 3 bis 6 Cent pro Kilowattstunde (Cent/kWh). Windkraft ist etwas teurer: An Land (Onshore) liegen die sogenannten Gestehungskosten bei 4 bis 8 Cent, auf See (Offshore) bei 9 bis 12 Cent. Moderne Gaskraftwerke schaffen ebenfalls 11 Cent. Kohlekraftwerke liegen dagegen zwischen 10 und 20 Cent - abhängig vom Alter des Kraftwerks: je älter, desto teurer.
Bis 2030 wollen wir zu 80 Prozent auf Erneuerbare umgestiegen sein, 2040 bei 100 Prozent stehen. In dieser Zeit werden wir auf jeden Fall steigende Infrastrukturkosten und Integrationskosten sehen. Trotzdem kann es für Haushaltskunden günstiger werden, denn wir steigen nicht nur beim Strom, sondern auch bei Wärme und Mobilität um. Wenn der Umstieg von einem Benziner auf das wesentlich energieeffizientere E-Auto gelingt, könnte das dafür sorgen, dass Mobilität günstiger wird - insbesondere, wenn man den Strom selbst auf der Garage produzieren kann. Dann hätte man steigende Stromkosten, aber fallende Gaskosten für die Heizung und fallende Benzinkosten für das Auto und stünde in Summe preislich genauso gut da wie jetzt - nur nachhaltiger.
Die Kosten verschieben sich?
Ja, aber nicht für alle gleich: Haben Sie ein Einfamilienhaus? Produzieren Sie eigenen Strom? Haben Sie ein E-Auto? Oder wohnen Sie zur Miete in der Stadt? Dann werden Sie höhere Preise bekommen.
Trotzdem beteiligen sich große Investoren am Ausbau der erneuerbaren Energien, die sind offensichtlich ein gutes Geschäft. Wie passt das zusammen?
Wenn Sie einen Windpark bauen, sind Ihnen die Kosten für Infrastruktur und Systemintegration egal, denn die werden über die Netzentgelte sozialisiert. Sie bauen einfach dort, wo sie die meisten Kilowattstunden erzeugen und verkaufen können. Dann kommen Sie zu mir und sagen: Ich brauche einen Netzanschluss. Dafür bezahlt der Investor einmalig, das Netz dahinter ist mein Problem. Und Eon ist verpflichtet, den Windpark anzuschließen. Dadurch steigen die Netzentgelte kontinuierlich.
Es ist egal, wo gebaut wird?
Sie können den Windpark an der völlig falschen Stelle bauen. Selbst wenn wir Sie anschließend ständig abriegeln müssen, weil Sie das System überlasten, kann Ihnen das egal sein, denn der Netzbetreiber muss Sie kompensieren. Für Investoren gibt es kein Risiko.
An der falschen Stelle?
Der Strom muss vom Windpark zu den Verbrauchern transportiert werden. Ein Windrad, das am Berliner Stadtrand steht, müsste wahrscheinlich nie abgeregelt werden, weil sich die Nachfrage sehr nah an der Produktion befindet. Steht dasselbe Windrad an der Ostseeküste, muss der Strom erst nach Berlin geleitet werden. Das funktioniert fürs erste Windrad, fürs zweite, für das dritte. Aber irgendwann sind die Leitungen voll. Werden dann immer neue Windparks gebaut, produziert man einfach Überlast auf den Leitungen.
Eine Art Stau?
Sozusagen.
Es ist doch aber gewollt und sinnvoll, dass Windparks dort entstehen, wo es viel Wind gibt: an der Küste. Und Solarparks baut man dort, wo es besonders viel Sonne gibt.
Wenn ich mit dem Strom anschließend aber nichts anfangen kann, nützt das nichts. Das war kein Problem zu Beginn der Energiewende, als wir Kernkraft und Kohle als Reserve hatten. Man konnte Erneuerbare zubauen und die "Probleme" wurden vom großen, starken Netz geschluckt. Jetzt beginnt die Zeit, in der es nur noch Erneuerbare geben soll. Die Netze sind aber schon am Limit, wir müssen zusätzliche Leitung bauen. Ich möchte mich nicht beschweren, Eon ist Netzbetreiber. Für uns ist das toll. Je mehr Netze gebraucht werden, desto mehr werden wir gebraucht. Wir wachsen. Vergangenes Jahr haben wir 3500 Leute eingestellt. Aber das kostet, ich muss die Rechnung weitergeben.
An die Kundinnen und Kunden.
Ja. Es gibt Märkte wie Texas, wo es andersherum läuft und der Investor das Risiko trägt: Wenn er das Windrad an der falschen Stelle baut und vom Netzbetreiber aus dem Netz geschmissen wird, weil er einen Stau verursacht, ist das sein Problem. Es gibt kein Geld. Der Investor muss genau überlegen, wo er den Windpark baut und ob er eine Batterie ergänzt, mit der er den Strom einspeisen kann, sobald der Stau vorbei und die Autobahn wieder frei ist.
Ist das eine Frage der besseren Zusammenarbeit?
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Der Synchronisierung, damit wir nicht länger Elektronenverkehr an Stellen produzieren, an denen es keine Straßen gibt. Wird ein Windpark gebaut, vergehen momentan nach der Genehmigung ein bis zwei Jahre, bis er in Betrieb gehen kann. Bei meinen Leitungen bin ich froh, wenn die Genehmigung in unter zehn Jahren kommt. Ich laufe immer hinterher. Wenn das synchronisiert würde, würden weniger Zusatzkosten produziert und die Menschen hätten mehr davon, dass die Erneuerbaren in der Produktion so günstig sind.
Die langen Genehmigungsverfahren für Windparks sind nicht das große Problem der Energiewende?
Salopp und auch kontrovers gesagt: Ja. Es ist fast egal, ob wir unsere Ausbauziele für 2030 erreichen. Entscheidend ist das Netz. Das Gigawatt Wind oder Solar kann zwei oder drei Jahre später fertig sein, wenn bis dahin das Netz ausgebaut ist. Umgekehrt wird's teuer. Die Infrastruktur ist der eigentliche Engpass, auch für E-Mobilität und Wärmewende. Haben wir die Infrastruktur, kommen die Erneuerbaren von ganz allein.
Woran hakt es denn? Warum ist bekannt, wie umständlich der Bau eines Windrades ist, aber nicht, dass es beim Netzausbau noch länger dauert?
Der Fokus lag auf dem Ausbau der Erneuerbaren, nicht auf der Infrastruktur. Denn die war ja da und hat funktioniert. Es ist wirklich ein wenig wie bei den Autobahnen: Man kann immer mehr Autos draufschicken, bis man feststellt: Verdammt, hier fehlt eine dritte Spur. Deswegen sind wir hinter die Welle gekommen.
Kann man diesen Rückstand aufholen?
Es hat ein paar Jahre gedauert, aber seit Klaus Müller Chef der Bundesnetzagentur ist, können wir besser investieren. Ich bin seit drei Jahren Vorstandsvorsitzender von Eon. In dieser Zeit haben wir unsere rollierende Investitionsplanung von knapp über 20 Milliarden Euro auf jetzt 33 Milliarden Euro angehoben.
Und das wäre früher nicht gegangen?
Wir sind ein Quasi-Monopol in unserer Region und daher ein "reguliertes Geschäft". Es lohnt sich nicht, ein zweites Netz neben ein bestehendes zu bauen. Damit wir aus dieser Position heraus keine übermäßige Rendite erzielen, legt die Bundesnetzagentur fest, was wir bekommen und wie viel wir ausgeben sollen. Wir dürfen nicht einfach Leitungen bauen, weil wir einen Engpass befürchten, sondern nur investieren, was im Rahmen der Entwicklungspläne genehmigt wurde. In der Vergangenheit wurde bei der Regulierung vorwiegend auf niedrige Preise für Stromkunden geachtet, Investitionen in das Netz wurden minimiert. Jetzt hat der Regulierer neben dem Verbraucherschutz eine zweite Aufgabe: Er muss zusehen, dass die Energiewende funktioniert. Dafür sind höhere Investitionen nötig, die auf der Stromrechnung zu höheren Netzentgelten führen. Das ist ein schwieriger Balanceakt.
Wird über diese Entwicklung in der Öffentlichkeit ausreichend ehrlich gesprochen?
Wir befinden uns an einer Weggabelung. Unsere Eon-Stiftung führt deutschlandweit Umfragen zum Thema "Gesellschaft und Energie" durch. Dort geht die Akzeptanz für die Energiewende messbar zurück: 60 bis 70 Prozent nehmen eine negative Entwicklung wahr. Eine große gesellschaftliche Transformation über einen längeren Zeitraum gegen die Mehrheit der Gesellschaft voranzutreiben, wird schwierig. Deswegen sollten wir unbedingt das Gespräch suchen und erklären, warum wir die Energiewende machen, was sie kann und was nicht, damit wir die Akzeptanz dafür zurückgewinnen.
Mit Leonhard Birnbaum sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?
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Quelle: ntv.de