Auf der Überholspur Autogas boomt
30.08.2008, 14:25 UhrDie Freude am "Gas geben" ist den meisten Autofahrern in Deutschland in den letzten Monaten gründlich abhanden gekommen. Zwar sind die Preise für Otto- und Dieselkraftstoff gerade wieder ein wenig gesunken, jedoch ist der Besuch an der Tankstelle für die meisten stets eine schmerzhafte Angelegenheit. Nicht so für rund eine Viertelmillion Autofahrer, die inzwischen mit einem Kraftstoff über die Autobahn gleiten, der früher Campingkochern und Heizstrahlern vorbehalten war: Flüssiggas.
Mit einem aktuellen Durchschnittspreis von nicht einmal 72 Cents je Liter (Stand Mitte August) kostet der auch als Autogas oder Liquid Petroleum Gas (LPG) angebotene Kraftstoff weniger als die Hälfte dessen, was an der Zapfsäule für Superbenzin fällig wird. Kein Wunder, dass immer mehr gebeutelte Benzin- und Dieselfahrer umschwenken und das "Gas geben" für sich neu definieren.
Der Boom ist unübersehbar: Noch vor vier Jahren waren beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Flensburg gerade einmal 13.000 deutsche Autos registriert, die sowohl mit konventionellem Benzin als auch mit Flüssiggas betrieben werden konnten. Zu Jahresbeginn 2008 hatte sich diese Zahl bereits mehr als verzehnfacht, das KBA hatte rund 162.000 Autos mit Flüssiggasantrieb in seiner Statistik. Die Zahl 250.000 dürfte in diesem Sommer erreicht sein. "Immer mehr Autofahrer kommen auf die Idee, ihre Autos umzurüsten", freut sich Robert Schneiderbanger, der Geschäftsführer vom Deutschen Verband Flüssiggas (DVFG). "Die Werkstätten sind total ausgelastet."
Förderprogramme für Erdgas verpufft
Diese Entwicklung ist um so verblüffender, als Staat und Gasversorger noch vor wenigen Jahren eine Allianz für das Erdgas schmiedeten. Mit dem Wohlwollen des Finanzministers, dem Erdgas für den Kfz-Betrieb steuerliche Vorteile einzuräumen und dem Sponsoring der Erdgas-Wirtschaft, die den Autofahrern die Umrüstung mit Zuschüssen und Versorgungsangeboten schmackhaft zu machen versuchten, sollte den auch klimamäßig vorteilhaften Erdgasautos eine freie Fahrspur geschaffen werden.
Der freie Markt ging in eine andere Richtung. Ferdinand Dudenhöffer vom Center of Automotive Research (CAR) der Fachhochschule Gelsenkirchen schätzt, dass Ende 2009 eine halbe Million LPG-Autos auf deutschen Straßen unterwegs sein werden. Für 2015 rechnet der "Auto-Papst" mit einem Bestand von zwei Millionen Pkw mit Flüssiggas-Antrieb. "Denn unter den Benzin-Alternativen Ethanol, Erdgas und Flüssiggas ist LPG auf absehbare Zeit die preisgünstigste Lösung", sagt Dudenhöffer. Inzwischen hat der Gesetzgeber auch die steuerliche Bevorzugung des LPG-Kraftstoffs bis 2018 verlängert, so dass durchaus damit gerechnet werden kann, dass Gebrauchtwagen mit Gas-Anlage höhere Wiederverkaufspreise erzielen, als das gleiche Modell mit herkömmlichem Antrieb.
Die Versorgung der LPG-Fahrer ist in gleichem Tempo gewachsen, wie die Zahl der Nachfrager. Während der Ausbau des Erdgas-Tankstellennetzes vor sich hindümpelt, gehen immer mehr Anbieter von Otto- oder Dieselkraftstoff dazu über, auf ihrem Gelände auch eine Zapfstelle für Flüssiggas vorzuhalten. Während vor wenigen Jahren die seltenen Zapfsäulen mit der Aufschrift "Autogas" oder "LPG" in Deutschland in erster Linie von Touristen aus Holland, Italien oder Polen angesteuert wurden, werden nun immer mehr Einheimische zu dankbaren Kunden einer wachsenden Infrastruktur.
Fünfmal mehr Autogas-Tankstellen
Das Internet-Forum www.gas-tankstellen.de hatte Anfang August bundesweit 4047 Versorgungspunkte für Autogas in seiner Datenbank registriert, denen nur 800 Erdgas-Tankstellen gegenüber standen. Diese Entwicklung wird durch die Tatsache befördert, dass der technische und damit kostenmäßige Aufwand für solch einen Gastank relativ gering ist. Wegen der verwendeten hohen Drücke und den daraus resultierenden Sicherheitsanforderungen sind die Investitionskosten für eine Erdgas-Tankstelle bedeutend höher. Ähnlich wie bundesweit ist auch in der Hauptstadt das Verhältnis von Autogas- und Erdgas-Anbietern. Der Suchaufruf bei gas-tankstellen.de wirft für die Berliner LPG-Fahrer 56 und für die Erdgas-Fraktion 14 Zapfstellen aus.
Die Autohersteller versuchen nach Kräften, sich auf die Neuorientierung der Kunden einzustellen. Während Importeure wie z.B. Chevrolet Autogas-Varianten schon seit Jahren im Angebot haben, sind deutsche Hersteller wie etwa Ford erst in diesem Jahr auf den Zug aufgesprungen. Wer die Umrüstung seines vorhandenen Pkw in Betracht zieht, muss je nach Fahrzeugtyp, Zahl der Zylinder und gewählter Gasanlagentechnik mit zwischen 2000 und 3500 Euro rechnen, wobei das obere Ende der Preisspanne für hubraum- und leistungsstarke Achtzylinder gilt.
Bei LPG-Nachrüstsystemen wird häufig die Ersatzradmulde zur Platzierung des Gasbehälters benutzt. Gegen eine Reifenpanne schützen sich die Gas-Fahrer mit einem so genannten Pannenspray, das mit Hilfe eines Spezialschaums die sofortige Reparatur eines platten Reifens ohne Ausbau des Rades ermöglicht. Wer nachrüsten lässt, gewinnt Reichweite, denn der Benzintank wird nicht unangetastet. Sollte also mal keine Gas-Tankstelle in der Nähe sein, bleiben die Insassen weiterhin mobil.
Wer mit seinem umgerüsteten Fahrzeug in den Urlaub fährt, den erwartet in den meisten europäischen Ländern ein solides Angebot an Versorgungsstellen. Das hat vor allem damit zu tun, dass andere Ländern einen ähnlichen Boom bei der Nachfrage nach Autogas-Pkw erleben wie Deutschland. In Italien zum Beispiel hat sich die Zahl der Neuzulassungen in den ersten zwei Monaten dieses Jahres gegenüber den Vorjahresmonaten mehr als verzehnfacht.
Quelle: ntv.de