Auto

Ein Luxusathlet startet durch Bentley zündet zweite Stufe des "Flying Spur"

Dank harmonischer Proportionen wirkt das 5,30-m-Schiff gar nicht so wuchtig.

Dank harmonischer Proportionen wirkt das 5,30-m-Schiff gar nicht so wuchtig.

(Foto: Axel F. Busse)

Es klingt nach einer spannenden Herausforderung, ein Auto mit deutschen Ingenieuren und deutscher Technik zu konstruieren, das authentisch britisch sein soll. Der neue Bentley Flying Spur ist so ein Auto. Doch mit welchen Eigenschaften beeindruckt der schnellste Viertürer der Welt die betuchte Kundschaft wirklich?

Leistung satt: Der 12-Zylinder-Motor des Flying Spur bringt es auf 625 PS.

Leistung satt: Der 12-Zylinder-Motor des Flying Spur bringt es auf 625 PS.

(Foto: Axel F. Busse)

Mehr als 20.000 Einheiten wurden weltweit vom Vorgänger des Flying Spur abgesetzt, einem Auto, das in Deutschland um die 200.000 Euro kostete. Dass zuletzt rund 50 Prozent der Produktion bei chinesischen Kunden landeten, könnte den Verdacht erhärten, der Zwölfzylinder sei dort günstiger zu haben als hierzulande. In Wahrheit ist er wegen der Luxussteuer dort noch deutlich teurer. Beim Hersteller geht man davon aus, dass künftig noch mehr Betuchte im Reich der Mitte Bentley fahren wollen. Das Auto der internationalen Presse in Peking vorzustellen, ist deshalb durchaus als Verneigung vor gegenwärtigen und künftigen Kunden zu verstehen.

Dass der Wohlstand auf der Welt wächst, zeigen die Verkaufszahlen der Marke Bentley. Bei dem englischen Luxuswagenhersteller fallen die Quartalswechsel zuverlässig mit immer neuen Absatzrekorden zusammen. 2012 wurden weltweit so viele Bentleys verkauft, wie nie zuvor, im ersten Vierteljahr 2013 stieg der Absatz nochmals um 25 Prozent. Seit 1998 ist die Firma im Besitz des deutschen Volkswagen-Konzerns. Was "very british" an den Produkten der Traditionsmarke ist, wird letztlich in Wolfsburg festgelegt. Ein bisschen Stolz und Extravaganz wirken als Eigenschaften glaubhaft, ganz sicher Fairness, gute Manieren und wohl auch eine Prise Unvollkommenheit.

Zehn Häute für die Polster

Besonders die zweifarbige Innenausstattung wirkt sehr geschmackvoll.

Besonders die zweifarbige Innenausstattung wirkt sehr geschmackvoll.

(Foto: Axel F. Busse)

Mag sein, dass Bescheidenheit nicht zu den typisch englischen Tugenden zählt, denn Bentley nennt den Flying Spur in seinen Präsentationstafeln unverblümt "die beste Luxuslimousine der Welt". Ob das die Besitzer eines Bentley Mulsanne auch so sehen, sei dahingestellt. Die Eigenschaft "Stolz" erfüllt das neue Auto ohne jeden Zweifel, denn es ist 5,29 Meter lang und 2,5 Tonnen schwer. Edles Holz und geschmeidiges Leder sind darin in einer Menge verbaut, dass man daraus fast eine Polstergarnitur nebst Couchtisch machen könnte. Zehn Rinder, so heißt es, tragen dafür ihre Haut zum Kürschner und Stolz müsste wohl auch sie ergreifen, wüssten sie um die Verwendung der edlen Pelle.

Die Frage, ob der Luxusathlet nun ein wirklich neues Fahrzeug oder "nur" ein Facelift sei, ist rein akademischer Natur. Nachzählbar sind laut Bentley die rund 600 Neuteile, sichtbar ist die viel harmonischere und eigenständige Gestaltung der Karosserie, wo eine kräftige Schulterpartie an der C-Säule andockt und in den neuerdings aus Verbundwerkstoff gefertigten Kofferraumdeckel übergeht. Er ist mitverantwortlich für die rund 50 Kilogramm Gewichtsersparnis gegenüber dem Vorgänger, was aber von Bentley zu Recht nicht als großer Durchbruch gefeiert wird, sondern eher als Kollateral-Nutzen der Verwendung modernen Baumaterials. Der Cw-Wert von 0,29 spricht für ausgefeilte Aerodynamik.

Wer nach Extravaganz im Flying Spur sucht braucht sich nicht lange umzuschauen. In Form einer smartphone-ähnlichen Fernbedienung für Klima- und Entertainment-Funktionen ist sie offenkundig. Oder ist es gar schon snobistisch, den Getränkehalter an der Mittelkonsole mit einer Brillenschatulle zu verschließen, deren Oberschale das erlesene Furnier des Armaturenbretts spiegelt? Die ganze Pracht eines mittelenglischen Adelssitzes ist hier in handgenähte Lenkradbezüge, verchromte Ausströmerhebel und ein gekühltes Getränkefach zwischen den Fondsesseln destilliert. Die komplette elektrische Verstellbarkeit analog zu den Vordersitzen ist für diese Fauteuils natürlich obligatorisch.

Der Edelmann hat’s eilig

Der Verzicht auf die Bezeichnung "Continental" soll die Eigenständigkeit betonen.

Der Verzicht auf die Bezeichnung "Continental" soll die Eigenständigkeit betonen.

(Foto: Axel F. Busse)

Zur Fairness des englischen Edelmannes gehört, dass man sagt, wen man anzugreifen gedenkt. Und womit. Die durch vergleichbar große Motoren angetriebenen Rolls-Royce Ghost zum Beispiel oder Mercedes S-Klasse, auch Sportlimousinen vom Schlage eines Aston Martin Rapide oder Maserati Quattroporte. Mittel zum Zweck ist ein Sechsliter-Zwölfzylindermotor in extrem kurz bauender W-Anordnung. 625 Pferde werden von einem Achtganggetriebe gebändigt. Sind sie von der Longierleine gelassen, kriegt der Flying Spur Flügel und stürmt auf 322 km/h – Weltrekord für einen Viertürer. "Anstrengungslose Beschleunigung" hat Bentley als Markenwert definiert, mit 800 Newtonmeter Drehmoment klappt es überzeugend. Ab 190 km/h fängt das Fahrwerk selbstständig an, die Bodenfreiheit zu verringern, das senkt den Luftwiderstand. Gemessen an Gewicht und Leistungskraft erscheinen 14,7 Liter Normverbrauch durchaus akzeptabel, wenngleich auf der Teststrecke trotz verhaltener Fahrweise 16,5 Liter nicht zu unterbieten waren.

Selbst der Spurt auf 100 Stundenkilometer in unter fünf Sekunden geht so dezent und unaufdringlich von statten, dass an den guten Manieren nicht zu deuteln ist. Der Sherwood Forest, früh morgens um drei, dürfte kaum geräuschärmer sein, als der Innenraum des Flying Spur bei Autobahntempo. Obwohl die meisten China-Kunden ihren Bentley vom Chauffeur bewegen lassen dürften, ist die neue Limousine ein Selbstfahrerauto mit sportlichem Charakter. Eine nur geringe Spreizung zwischen den Dämpfereinstellungen "komfortabel" und "hart" ist Beleg genug dafür. Der "fliegende Teppich", den andere für sich reklamieren, ist der Flying Spur gewiss nicht, sondern ein fahraktives Auto, dessen Größe und Gewicht hinter spontanem und leichtfüßigem Handling verschwinden. Wer als Fondpassagier sowohl auf akustische, als auch auf optische Abgeschiedenheit von der Umwelt Wert legt, bedient sich der in den Türen und in der Heckscheibe versteckten elektrischen Jalousien.

Der vollkommene Edel-Renner also? Zum Glück nicht. Das Navigationssystem des ersten Flying Spur war dem Komfortanspruch der Marke nicht gewachsen. Das neue ist besser. Vorbildlich in Sachen Informationsniveau und Bedienbarkeit ist es freilich noch nicht. Doch zum Beispiel ein Audi A8-System zu adaptieren, statt auf Phaeton-Level zu verharren, hätte wahrscheinlich den Kostenrahmen der Neuauflage des Bentleys gesprengt. Zu den mit einem Schmunzelns quittierten Unvollkommenheiten gehört das Funktionssymbol auf der Taste für die Dämpfereinstellung: Es zeigt die Silhouette eines Bentley Continental GT. Wer das als Grund ansieht, an der Qualität des Autos zu zweifeln, dem sei gesagt, dass es diese Kombination aus Komfort und Tempo so kein zweites Mal auf der Welt gibt. 161.000 Euro sind in Europa mindestens fällig, Mehrwertsteuerzahler müssen noch mal 30.590 Euro zusätzlich drauflegen.

Legt man die eingangs aufgestellten Kriterien zugrunde, so darf der neue Zwölfender aus Crewe in vollem Umfang als "very british" gelten. Nicht umsonst wird trotz deutscher Chefs und Ingenieure, trotz deutschen Motors nebst Getriebe, immer wieder betont, dass sich "die Entwicklungshoheit" im englischen Stammsitz des Unternehmens befinde. Teutonische Gestaltungskraft bricht sich unterdessen im verborgenen Bahn: am Zigarrenanzünder zum Beispiel. Dort prangt der Schriftzug "Made in Germany".

Quelle: ntv.de

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