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Keine Männersache Die Drei von der Tankstelle

Andrea Schütze arbeitet in der Kraftstoffentwicklung bei Shell. Die Chemikerin ist Expertin für das Superbenzin V-Power.

Andrea Schütze arbeitet in der Kraftstoffentwicklung bei Shell. Die Chemikerin ist Expertin für das Superbenzin V-Power.

Das Klischee ist so alt wie die Formel 1 selbst: Die schnellsten Rennwagen der Welt sind Männersache. Harte Kerle in offenen Autos, die der Gefahr die Stirn bieten. Ausgerechnet bei den Autos von Ferrari – nicht gerade bekannt als weichgespülte Softie-Kaleschen – sorgt eine Handvoll Frauen dafür, dass Räikkönen und Massa, früher auch Michael Schumacher, vorn mitfahren können. Als Entwicklerinnen der Rennkraftstoffe.

Schon 60 Jahre hält die Liaison, die der Mineralölkonzern Shell mit der italienischen Kultmarke unterhält. Seit damals ziert die gelbe Muschel als Markenlogo die roten Renner. Nicht ganz so lange, genau seit 1997, ist Andrea Schütze in der Kraftstoffentwicklung bei Shell tätig. Die Chemikerin ist Expertin für das Superbenzin V-Power, mit dem der Hersteller seit 1998 den Fahrern von Privatautos erfolgreich suggeriert, ein Schlückchen Rennsport in den Tank ihrer Familienkutsche zu füllen.

Es den Frauen anzulasten, dass die knallroten Ferraris auf den Rennstrecken im Moment etwas blass daherkommen, wäre eine ausgemachte Gemeinheit. Denn schon zu Schumachers Zeiten, als Ferrari den Mitbewerbern auf und davon fuhr, trugen Frauen in der Kraftstoffentwicklung bei Shell Verantwortung. Zur Damenriege gehört auch Anja de Rijk. Die 40-jährige Holländerin leitet in Hamburg-Harburg die Shell-Raffinerie mit rund 300 Mitarbeitern. Dort werden aus Rohöl Benzin- und Diesel, Schmierstoffe sowie die LPG-Bestandteile Buthan und Propan gewonnen.

Die Suche nach Optimierung

Rund 200 verschiedene Substanzen und Komponenten sind im Rennkraftstoff versammelt und 99 Prozent der fertigen Mixtur müssen bei der FIA, dem Welt-Motorsportverband, als chemischer Fingerabdruck des vom Team benutzten Sprits genehmigt und hinterlegt sein. Doch in dem restlichen einen Prozent steckt für Dr. Andrea Schütze und ihre Kolleginnen noch so viel Gestaltungsspielraum, dass es sich lohnt, immer weiter zu forschen und zu experimentieren. "Es gibt täglich Überraschungen", sagt die 43-Jährige. "Das Spannende ist, bei Zünd- und Verbrennungsverhalten, beim Ansprechen, der Minimierung von Ablagerungen und der Reibungsminderung immer wieder nach Optimierungsmöglichkeiten zu suchen."

Anja de Rijk leitet in Hamburg-Harburg die Shell-Raffinerie mit rund 300 Mitarbeitern.

Anja de Rijk leitet in Hamburg-Harburg die Shell-Raffinerie mit rund 300 Mitarbeitern.

Dass Formel-1-Rennwagen hochkomplexe und komplizierte Maschinen sind, die genauso nervös oder sensibel reagieren können wie Vollblutrennpferde, hat sich inzwischen herumgesprochen. Doch dies überrascht: "Theoretisch könnten wir für jede Rennstrecke den optimalen Kraftstoff herstellen", sagt Andrea Schütze im Hinblick auf die unterschiedlichen Streckenprofile und damit verbundenen Leistungsanforderungen. "das ist eine wunderbare Spielwiese, wir können testen, testen, testen".

Hat ein Rundkurs zum Beispiel viele Geraden, also einen hohen Vollgasanteil, läuft auch die Spritverbrennung in anderen Zyklen ab, als zum Beispiel bei einem winkligen oder bergigen Kurs. Muss viel geschaltet werden, ist die Reibung ein wichtiges Thema ebenso wie bei permanent hohen Drehzahlen. Auch das Gewicht spielt bekanntlich eine große Rolle in der Formel 1. Energiereiche Moleküle sind schwerer als energiearme. Also sucht die Chemikerin den idealen Kompromiss zwischen der größten Energieausbeute bei gleichzeitig geringstem Gewicht.

Mit dem mobilen Labor dabei

Und weil das so ist, hat Shell eine besonders große Nähe zum Formel-1-Spritkunden aufgebaut. Die Chefentwicklerin für Rennkraftstoffe, Lisa Lilley, hat sich nicht nur ein eigenes Büro am Ferrari-Heimatstandort Maranello eingerichtet, sondern ist mit einem mobilen Labor bei jedem Rennen dabei. Außer einem Gaschromatographen enthält die in einen Container eingebaute Untersuchungseinheit Meß- und Recheneinrichtungen, die es erlauben, zu jeder Zeit Analysen vom Zusammenspiel der Verbrennungsmaschine und dem Benzin anzustellen. Schon seit 1996 ist dies so genannte Track-Lab im Einsatz. Und dies, so Andrea Schütze, nützt wiederum der Weiterentwicklung des Massensprits. "Wir bekommen Massen an Daten aus dem Rennsport zurück, die wir zur Optimierung der Pkw-Kraftstoffe gut brauchen können."

Die Chefentwicklerin für Rennkraftstoffe, Lisa Lilley, ist mit einem mobilen Labor bei jedem Rennen dabei.

Die Chefentwicklerin für Rennkraftstoffe, Lisa Lilley, ist mit einem mobilen Labor bei jedem Rennen dabei.

Das Neueste und Beste darf sich dabei aber nicht zu sehr von den vorher gültigen Standards unterscheiden. Die neuesten High-Tech-Benzine an der Tankstelle müssen "rückwärtskompatibel" sein. Das bedeutet: Der für den aktuellen Direkteinspritzer des Herstellers X optimierte Sprit darf im zehn Jahre alten Zweiventil-Saugmotor des Herstellers Y keine Minderung der Leistung oder des Fahrkomforts mit sich bringen.

Zwar werden beim Formel-1-Rennen Unmengen von Fahrzeugdaten gespeichert und ausgewertet, aber der sportliche Wettbewerb ist kein rollendes Labor. Wie eine Neuentwicklung tatsächlich wirkt und wie der Fahrer das Verhalten Fahrzeugs wahrnimmt, dafür ist Marc Gené zuständig. Er ist Testfahrer und hat die Aufgabe, möglichst bis ins kleinste Detail zu berichten, wie sich die neueste Mischung denn auf der Strecke "anfühlt".

Oktanzahl als Betriebsgeheimnis

"Wir versuchen mit unserer Arbeit die Rennstrategie des Teams zu unterstützen", sagt die ebenfalls promovierte 34-jährige Lisa Lilley und hält ein Röhrchen mit dem mineralwasserklaren Rennsprit in die Höhe. "Mal geht es primär um Leistung und Verlässlichkeit, mal mehr um Gewicht und die Tempovorteile, die man daraus ziehen kann." Wie stark sich so etwas auswirken kann, ist Formel-1-Fans noch gut im Gedächtnis. Eine ganze Runde mehr konnte Michael Schumacher bei einem Rennen absolvieren, weil er mir leichterem Sprit unterwegs war.

Nachdem Shell mit dem 100-oktanigen V-Power-Benzin auf den deutschen Markt gegangen war, zogen Wettbewerber wie Aral oder BP schnell nach. Dass mancher weniger gut informierte Kunde die Schlussfolgerung zog, "hohe Oktanzahl gleich viel Leistung", kam da nicht ungelegen. Doch die Zahl hat nichts mit Energiegehalt zu tun, sondern ist ein Maß für die Klopffestigkeit. Allen Anbietern war es bisher kein wirkliches Bedürfnis, darauf hinzuweisen, dass die Formel 1 mit deutlich weniger Oktan unterwegs ist. Wieviel genau, das mögen die Frauen von der Tankstelle nicht verraten. Das ist Betriebsgeheimnis.

Quelle: ntv.de

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