Messerundgang mit Design-Experten Die Neuen in Genf: Von Ah bis Oje
04.03.2011, 14:49 Uhr
Skoda hat Mut gezeigt mit dem Konzeptfahrzeug Vision D, findet Designexperte Bracht.
Autodesign aus Expertensicht: Wir drehen mit Gernot Bracht, Dozent für Transportation Design an der Hochschule Pforzheim, einen Runde über den Genfer Salon.
Was passiert, wenn man mit einem Designer über eine Automesse geht? Gibt es lange Exkurse über die tiefgründige Bedeutung des Zusammenspiels von Sicken und Kanten im Gesamtkonzept der Formensprache unter besonderer Berücksichtigung der Auswahl von Licht, Farbe und Material? Normalerweise steigt der Design-Laie nach dem zweiten Satz aus. Doch wir haben einen Experten gefunden, der das Thema verständlich zu erklären verspricht.
Unser Gesprächspartner Gernot Bracht ist Dozent für Transportation Design an der Hochschule Pforzheim und hat für mehrere Autohersteller als Designer gearbeitet. Gleich zum Beginn macht er eine ganz unprätentiöse Aussage: "Design ist Geschmackssache, also subjektiv. Es muss den Leuten gefallen. Das ist das Wichtigste." Er sieht wohl die Erleichterung in dem Gesicht seines Gegenüber und schiebt noch hinterher: "Ich rede auch kein Fachchinesisch.
Lob für Koreaner
Also gut: Der Rundgang durch die Ausstellungshallen des Genfer Autosalons kann beginnen - mit den Neuvorstellungen und Studien im Fokus. Es wird unmittelbar deutlich, was Bracht gefällt oder nicht. Erregt ein Fahrzeug sein positives Interesse, greift er zur Kamera. Weniger gelungene Entwürfe ernten ein leichtes Kopfschütteln. Das passiert aber gar nicht so oft; offenbar ist 2011 ein guter Design-Jahrgang.
Lob erhalten beispielsweise die koreanischen Hersteller, denen es nach Aussage Brachts zwar noch nicht gelungen ist, wirkliche Design-Ikonen zu erschaffen, aber die doch solide gestaltete und gefällige Autos nach Genf gebracht haben - zum Beispiel den schwungvoll gezeichneten Mittelklasse-Kombi Hyundai i40.
Massenprodukt ohne Stil
Merkliches Stirnrunzeln gibt es dagegen bei Saab und Lancia. Erhält der schwedische Kombi 9-5 das Urteil "zu verquollen, zu nichtssagend", so muss sich die Studie Saab Phoenix den bissigen Kommentar "Da ist nur Asche übrig" gefallen lassen. Auch der Lancia Flavia darf auf keine Milde hoffen. Der traditionsreiche Name soll hier die schnöde Umetikettierung eines Chrysler 200 kaschieren - eines Massenprodukts "ohne Stil und Grazie". Bracht erklärt am Beispiel der Flavia, wie gefährlich es für eine Marke ist, wenn das Design austauschbar und die eigene Handschrift vernachlässigt wird.
Ein Musterbeispiel für gutes Design ist für Bracht das Audi A3 Concept. Ihn beeindrucken die "stimmigen Proportionen" und die gelungene Mischung aus sanft modellierten Flächen und scharfen Kanten. Der lange Radstand und die klassischen Radläufe des Stufenhecks gefallen ebenfalls: "Vielleicht das am besten umgesetzte Concept Car dieser Messe, aber natürlich schon sehr nah an der Serie." Ebenfalls besonders gut gefällt unserem Experten der Nissan Townpod, eine pfiffige Stadtwagen-Studie, die nach dem Pariser Salon nun zum zweiten Mal gezeigt wird.
Mut bei Skoda
Auch das neue Golf Cabrio kommt gut weg. Das Stoffdach ermöglicht einen schlankeren Rücken als bei den Klappdach-Cabrios. Allerdings findet Bracht, dass bei VW offenbar weniger kreativer Gestaltungsfreiraum als anderswo herrscht - er vermisst neue Ideen. Frischen Wind bringt allerdings die Bulli-Studie auf den VW-Stand. Geschickt mit den Retro-Elementen spielend, könnte der Bonsai-Transporter auch als Serienmodell gut ankommen.
Deutlich mehr Mut zu veränderten Formen und Kanten besitzt dagegen die VW-Tochter Skoda. Die Vision D genannte Studie sieht "gefährlich schön" aus, auch wenn die Tschechen bei der Frontgestaltung die Courage verließ. Müssen die Töchter Respektsabstand zur Mutter VW halten? Nur so kann sich der Pforzheimer Dozent auch die Seat Studie IBX erklären. Zu viele Kanten, zu wenige fließende Elemente, ein unfertiger Eindruck: Das SUV-Concept trägt keine klare Handschrift.
Scheinwerfer unterstreichen Charakter
Eine solche lässt sich dagegen bei dem neuen BMW 6er Cabrio erkennen. Elegant und ausgereift nennt hier Bracht als Attribute, ähnlich wie beim Z4 stimmt das Gesamtkonzept. Großes Lob erhält auch die Studie Mini Rocketman. Als Neu-Definition des klassischen Miniformats spielt der nur knapp über drei Meter lange Retrokünstler mit modernen Ideen wie beispielsweise der herausziehbaren Kofferraumschublade und klassischen Erwartungen wie den runden Lampen.
Überhaupt Lampen: Diese fallen Bracht nicht nur beim Mini positiv auf, sondern werden auch beim Alfa Romeo 4C Concept und beim Smart Forspeed positiv beurteilt: Sie schärfen den Charakter beider Fahrzeuge. So unterstreichen sie beim Italiener die Sportlichkeit, beim Smart wirken sie charmant.
Apropos Charme: Wie man ein Auto nebenbei ohne viele Worte kritisiert, demonstriert Bracht zum Abschluss des Rundgangs am Renault-Stand. Zwar lobt er die zukünftige Formensprache, die mit den Studien R-Space und Captur angedeutet wird. Bei der banal gezeichneten Limousine Latitude kehrt er allerdings zu seiner Anfangsthese zurück, dass Design Geschmacksache sei: "Auch das Fahrzeug findet sicherlich jemand schön."
Quelle: ntv.de, sp-x