Für Fahranfänger in Frankreich "Ein-Euro-Führerschein" kommt
04.10.2005, 10:26 Uhr"Führerschein? Wozu das denn? Ich kann doch fahren." Wie vielen Jugendlichen in französischen Vorstädten scheint Mike die Frage nach einer Fahrprüfung absurd. 800 bis 1500 Euro kostet der Schein im Schnitt, zu viel Geld für einen jungen Mann in der Ausbildung. Sein Kumpel Sbastien sieht das ebenso. "Alle Jungs hier fahren ihr Auto einfach so", sagt er. Nachdem die Polizei ihn erwischt hat, nimmt Sbastien jetzt Fahrunterricht. Doch überzeugt ist der Kfz-Lehrling immer noch nicht: Sein Chef sage ihm doch auch immer, er solle die Autos auf den Hof fahren.
Rund 800.000 Franzosen fahren nach Schätzungen des Pariser Verkehrsministeriums ohne Führerschein. Darunter sind auch "alte Hasen" mit jahrzehntelanger Erfahrung. Doch vor allem in den ärmeren Vorstädten nimmt das Fahren ohne Führerschein zu. Besonders riskant wird es, wenn sich Jugendliche Rallyes liefern. "Man muss die Jugendlichen von der Idee abbringen, dass sie in Wirklichkeit fahren können wie in einem Video-Spiel", mahnt Batrice Grgoire, Verkehrsexpertin des Gerichts in Crteil bei Paris.
"Für viele Jugendliche ist der Führerschein kein Mittel gegen den Unfalltod, sondern eine Bescheinigung der Fahrtüchtigkeit", erklärte der Verkehrspsychologe Jean-Pascal Assailly der Zeitung "Le Monde". "Und sie glauben, schon bei ihren Kumpels fahren gelernt zu haben." Viele wollten auch so schnell wie möglich ans Steuer.
Genau das will die französische Regierung jetzt den jungen Leuten ermöglichen: mit einem "Ein-Euro-Führerschein". Danach kann jeder 16-bis 25-Jährige sich den Führerschein von einer Bank bezahlen lassen. Die Bank überweist das Geld der Fahrschule. Der Jugendliche stottert den Kredit mit einem Euro pro Tag ab - zinslos. Denn die Zinsen zahlt der Staat. Das Prinzip ist nicht neu. Frankreich hat 2004 bereits mit dem "Ein-Euro-Laptop" für Studenten gute Erfahrungen gemacht.
Früher waren die Streitkräfte für die Vorstadt-Kids die "Fahrschule der Nation". Zu Zehntausenden nutzten sie den ungeliebten Wehrdienst, um den Führerschein zu machen. Ende 2002 wurde zwar die Wehrpflicht abgeschafft - aber nicht der Wunsch zum Fahren. Auch deshalb kam dem Abgeordneten Jean-Michel Bertrand die Idee zum "Ein-Euro-Führerschein". Außerdem wolle er die Zahl der schweren Verkehrsunfälle unerfahrener Jugendlicher senken, so Bertrand. "Wir müssen den jungen Leuten ein Verantwortungsbewusstsein geben." Dazu müssten sie die Möglichkeit bekommen, die Fahrprüfung abzulegen. "Viele müssen arbeiten, um sich den Führerschein zu verdienen, brauchen aber den Führerschein, um arbeiten zu können."
Trotz der Aussicht auf neue Geschäfte begrüßen die Fahrschulen den "Ein-Euro-Führerschein" nicht nur mit Jubel. Denn vor allem Kleinbetriebe müssen von der Bank als kreditwürdig eingestuft werden, um an dem Verfahren teilnehmen zu können. Der Staat will verhindern, dass marode Fahrschulen noch kurz vor der Insolvenz das Geld kassieren.
Unklar ist auch, wie viele Jugendliche mitmachen. Von den jährlich 1,3 Millionen Fahrprüflingen sind 700.000 unter 25 Jahre. Mehr als die Hälfte versucht es bereits zum zweiten oder dritten Mal. Vielen Jugendlichen - gerade, wenn sie schon fahren zu können glauben - ist die Prüfung einfach zu kompliziert. Und sie können sich in Frankreich ganz legal bereits mit 16 ans Steuer setzen, wenn sie von einem erfahrenen Autofahrer begleitet werden. Die Regierung hat daher nach Expertenmeinung noch viel "pädagogische Arbeit" vor sich, um die Zauderer vom "Ein-Euro-Führerschein" zu überzeugen.
Von Hans-Hermann Nikolei, dpa
Quelle: ntv.de