Behinderte in unserer Gesellschaft Ein lebenslanger Kampf
28.11.2008, 14:31 UhrMenschen mit Behinderung haben es schwer in unserer Gesellschaft - immer noch. Umso ermutigender ist die Geschichte von Wolfgang Müller, der sich seinen Weg gegen viele Widerstände freigekämpft hat und heute semiprofessioneller Rennfahrer ist.
Die Integration von behinderten Menschen sollte heutzutage eigentlich kein Thema mehr sein. Zahlreiche Appelle und viel Arbeit zum Verständnis sind gemacht worden. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Davon kann Wolfgang Müller ein Lied singen. Er hat am eigenen Leib erfahren, wie schwer es Menschen mit Behinderung heutzutage immer noch haben. Aber er hat sich durchgebissen, ist seinen Weg gegangen und hat sein großes Ziel erreicht: Er hat sich als Rennfahrer die Achtung seiner nichtbehinderten Kollegen erkämpft. Jetzt will er anderen helfen Widerstände zu überwinden.
Den ersten Schock gab es schon im Kindergarten. Am ersten Tag sagte die Leiterin der Turnstunde zu dem Dreijährigen: "Wolfgang, Du wirst Dir nie Deine Schuhe selbst zubinden können." Weinend lief der Kleine nach Hause. Sein Vater, von dem Wolfgang immer viel Unterstützung erfuhr, übte mit ihm das Schnürsenkelbinden, wohl ohne zu wissen, ob es jemals klappen würde. Es hat geklappt und am folgenden Tag demonstrierte Wolfgang dem versammelten Kindergarten seine neue Fertigkeit.
Behinderte haben gute Menschenkenntnis
Es sollte wahrlich nicht die letzte Prüfung für Wolfgang Müller sein. Torwart beim Fußball, Laubsägearbeiten oder Rollhockeyspielen, er musste immer kämpfen, bekam nie etwas geschenkt. "Behinderte lernen in ihrem Leben andere Menschen sehr gut einzuschätzen. Oft hat man andere schon in den ersten Minuten kennengelernt", sagt Müller über den Umgang zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen. "Das Schlimmste, was einem widerfahren kann, ist Mitleid." Das wollen Behinderte am wenigsten.
Wolfgang Müller hatte das Glück eine tolle Familie zu haben. Vor allem der Vater unterstütze ihn bei seinen Bestrebungen, ein "normales" Leben zu führen. Keine Idee von ihm, schien sie auch noch so abstrus, wischte der Vater beiseite. Das hat Müller geprägt. Er lernte seine Ziele gegen alle Widerstände durchzusetzen. Als er seinen Führerschein machte, wurden ihm 27 Auflagen aufgebrummt. Das Auto, das er gebraucht hätte, wäre fast unbezahlbar geworden. Jede einzelne Auflage musste er widerlegen, bis er einen ganz normalen Führerschein besaß.
Rennwagen in Eigenbau
Beim Deutschen Motorsportbund war man weniger misstrauisch. Natürlich gab es auch dort Zweifel, aber Müller bestand die medizinischen Tests und überzeugte mit ruhigem, aber flottem Fahrstil die Prüfer. Beim DMSB legte man weniger Wert auf eine "perfekte" Optik. Dort zählte nur die Leistung. Heute fährt Müller zusammen mit seinem nichtbehinderten Partner das jährliche 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring.
Ein Werksauto bekam sein Team nicht. Auf seine vielen Bewerbungen als Werksfahrer bekam er überhaupt nur eine Antwort. Doch solche Probleme konnten Wolfgang damals schon gar nicht mehr irritieren.
Zusammen mit befreundeten Unternehmen aus Steuerrecht, Rechtsanwälten und natürlich seinem Chef von "Heim & Haus", einer Firma für den Vertrieb von Bauelementen, wurde ein Auto gekauft. In monatelangen Schrauberarbeiten wurde der Opel Astra zerlegt und für das Team zu einem Motorsportgerät umgerüstet. "Wir müssen uns sicher besser vorbereiten als Andere", erklärt Müller den Erfolg des Teams. 2006 fuhr das Fahrer-Duo, nach Ausfall der dritten Pilotin wegen eines Unfalls, mit nur zwei Fahrern unter die ersten 100 und auf Platz 10 in der Diesel-Gruppe. 2008 gelang dieses Kunststück erneut, wobei eventuell fehlende Leistung durch fahrerisches Können und perfekte Vorbereitung ausgeglichen wurde.
Einsatz für andere
Der zweite Mann im Cockpit ist der Nordschleifen-Experte Oliver Rudolph. Der Instruktor, der für die Organisation "Audi Driving Experience" arbeitet, ist früher Rallye gefahren und hat, ebenso wie Müller, Benzin im Blut. Sein hohes Leistungspotential auf allen Rennstrecken in Europa stellt er täglich unter Beweis. Er konnte sich dem Angebot seines ehemaligen Schützlings nicht entziehen und dreht seitdem Jahr für Jahr beim Eifelmarathon seine Runden.
Damit es andere Behinderte wenigstens etwas leichter haben, gründete Wolfgang Müller den Verein "Pro Handicap". Dort wollen er und seine Mitstreiter helfen, die zahlreichen Probleme des Alltags zu überwinden. "Geht nicht, gibt's nicht" ist Motto und Programm. In diesem Rahmen hat er auch einen Schützling gefunden. Er hat die gleiche Behinderung wie Wolfgang und fährt bereits seit seinen jüngsten Jahren Kartrennen. Ihm will Müller helfen die Hindernisse, die er nur allzu gut kennt, etwas leichter zu überwinden. Aber der Rennsport ist nur das Leuchtturmprojekt des Vereins. In zahlreichen Projekten und Auftritten in der Öffentlichkeit soll behinderten Menschen Mut gemacht werden. Mut, den eigenen Weg zu gehen. Denn das ist das Wichtigste, um gegen das eigene Handicap anzugehen.
Quelle: ntv.de