Der Erste seiner Art Eine Corvette auf VSpeed
10.09.2015, 11:54 Uhr
Der V77 GT von VSpeed ist ein echter Sportwagen und eine Reminiszens an die Geschichte dieser Spezies.
(Foto: Holger Preiss)
Die Kleinserienhersteller extrovertierter Sportwagen haben in Deutschland sukzessive das Zeitliche gesegnet. Doch einer lebt noch: VSpeed. Und das soll auch so bleiben, hoffen die Macher. Dafür sollen die Firmenphilosophie und der V77 GT sorgen.
Wer von Dresden kommt und sich für den V77 GT von VSpeed interessiert, muss auf der Christoph-Seydel-Straße kurz hinter dem großen Schild mit der Aufschrift "Bierstadt Radeberg" scharf links abbiegen. Etwas verwundert wird er dann vor dem Tor eines US-amerikanischen Brauseherstellers landen, der hier seinerzeit mit Subventionsgeldern die dunkle Limonade braute, die selbst der Weihnachtsmann gern trinkt. Heute wird das Gelände noch von zwei drei Firmen genutzt, eine davon ist VSpeed.
Interessenten sind rar

Eine Karbonspange klammert beim V77 die hinteren Kotflügel und dient gleichsam als Heckspoiler.
(Foto: Holger Preiss)
"Dass wir hier so versteckt sind, ist gar nicht verkehrt", sagt Chefingenieur Andreas Schubert. "Mit der Schranke und dem Pförtner schützen wir uns vor neugierigen Prospektjägern." Die gibt es wohl zuhauf. Nur die echten Interessenten sind rar und das hat seinen Grund: Immerhin kostet der V77 GT, der ursprünglich V1 heißen sollte, was sich aber mit Blick auf die deutsche Geschichte verbot, 177.000 Euro. Das ist eine Stange Geld, wenn man bedenkt, dass die Grundlage des Boliden aus der Bierstadt eine Corvette ist. Um genau zu sein, handelt es sich um die C6, die von 2005 bis 2013 gebaut wurde. Damals verlangte General Motors für den Bolzer knapp 77.000 Euro.
"Natürlich ist das viel Geld", so Bernd Nömer, Chef von VSpeed, "aber wir haben auch ein völlig neues Auto entwickelt." Wirklich? Chassis, Motor und die gesamte Elektronik sind die der Corvette. Unter der Haube arbeitet ein 6,2-Liter-V8. Doch während er im Spender noch 437 PS leistet und 575 Newtonmeter an die Hinterachse schickt, sind es beim V77 GT schon 477 PS und 626 Newtonmeter, die auf die Antriebsräder gedrückt werden. "Da ist immer noch Luft nach oben", so Schubert mit leuchtenden Augen, aber für den V77 soll alles so bleiben. Erst beim V88 wolle man noch mal "eine Schippe" drauflegen.
Mit spitzem Stift gerechnet
Den gibt es aber vorerst nur auf dem Reißbrett. Denn bevor sich das Duo Nömer/Schubert an den zweiten Flitzer macht, müssen sie die auf 12 Stück limitierte Auflage des V77 erstmal absetzen. Mit Blick auf Gumpert, Artege, Melkus und Wiesmann scheint das ein Vabanquespiel zu sein. "Ach", wiegelt Nömer ab, "die haben sich alle übernommen." Jeder auf seine Weise: Wiesmann habe diese Riesen-Austellungshalle gebaut und sich schwer verhoben, Melkus haben mit Vierzylinder nicht überzeugt und Gumpert und Artega hätten die Entwicklungskosten aufgefressen, weil sie unbedingt ein eigenes Fahrzeug haben wollten. "Ich habe das erstmal alles aus meiner Tasche bezahlt und keine Schulden gemacht", argumentiert Nömer.

Viel feiner gezeichnet als der Organspender Corvette präsentiert sich der V77.
(Foto: Holger Preiss)
"Das wäre mir alles viel zu teuer", so der VSpeed-Chef, der seine Wurzeln im Badischen hat, aber wohl auch ein schwäbisches Gen in sich trägt. "Dadurch, dass wir die gesamte Grundlage der Corvette C6 übernommen und auch A-, B- und C-Säule nicht verändert haben, mussten wir zum Beispiel keine zusätzlichen Crash-Tests machen, die Unsummen verschlungen hätten", erklärt Schubert. Das Wichtigste war für die beiden Ingenieure, das aus der "prolligen" Corvette ein feiner Gran Turismo wird, der Porsche- und Ferrari-Fahrer nicht nur auf der Rennstrecke ärgern soll.
Weniger ist bei VSpeed mehr
Insofern war die erste Aufgabe für Schubert, der Spezialist für Leichtbau und Kunststofftechnik ist, das Gesamtgewicht des Fahrzeugs zu reduzieren. Als Erstes wurde der Motor ausgeräumt und überflüssiges Dämm-Material entfernt. Die Verkleidung des Motorblocks wurde entsorgt, genau wie die Klammern zur Halterung der Zündkerzen. Blickt man jetzt unter die kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffhaube, erscheint ein so puristisches Triebwerk, wie man es wohl zuletzt bei Fahrzeugen in den 1980er-Jahren gesehen hat.
Anders ist es, wenn der Betrachter das Auge über die Karosserie schweifen lässt. Hier fühlt er sich in die Blütezeit des Sportwagenbaus zurückversetzt und darf raten, was sich wohl für geschichtsträchtige Vorbilder in der Hülle des V77 verstecken. Je nach Standpunkt erinnert die Front an Porsche, Melkus und Lamborghini. In der Seitenlinie schimmert – und das verwundert nicht – noch ein Hauch Corvette durch. Allerdings wird die Erinnerung durch den Aufschwung am vorderen Kotflügel und den ebenso dynamischen Lauf der Schulterlinie schnell vergessen gemacht. Das Heck wiederum scheint eine Reminiszenz an Lotus und Ferrari zu sein.
Von der Geschichte designt
Doch wie man es auch betrachtet, eins steht fest: die Chuzpe der Corvette ist weg. Optisch kommt der V77 im Lauf durch die Geschichte des Sportwagendesigns wesentlich charmanter daher und man muss sich etwas Zeit nehmen, um alle Feinheiten zu erkennen. Da ist zum Beispiel der verschraubte Tankdeckel aus gebürstetem Aluminium, der in einer sich öffnenden Sicke abtaucht. Da sind die fast feinziselierten, bumerangförmigen Luftauslässe in den vorderen Kotflügeln, wobei die hinteren durch eine Karbonspange über das Heck geklammert werden, die gleichsam als Heckspoiler dient und für den Abtrieb sorgt.
Wobei wir auch schon beim nächsten Thema wären: der Aerodynamik. Unter dem Frontspoiler schiebt sich nämlich eine breite Spoilerlippe nach vorn. "Mit der erzeugen wir bis zu 200 Kilogramm Abtrieb auf die Vorderachse", erklärt Schubert. Das ist bei einer möglichen Endgeschwindigkeit von 320 km/h auch nicht ganz unwichtig. Die erste Etappe auf dem Weg dorthin legt der in ein Kunststoffkleid gehüllte und nur noch 1399 Kilogramm schwere V77 übrigens in 3,9 Sekunden zurück. Damit hat er das Landstraßentempo 0,3 Sekunden schneller erreicht als die Corvette C6.
Es kracht und böllert
Und so schiebt der Radeberger Bolide die zwei Insassen beim Tritt auf den Pin auch fest in die tief verschalten Sportsitze von König, die Nömer extra hat anfertigen lassen. Der Schaltknüppel wurde mit einer edlen Holzkugel am oberen Ende aufgewertet, die sich in die Handfläche schmiegt, während die sechs Gänge nacheinander krachend einrasten und hinten der V8 aus den vier Endrohren brüllt, die sich selbst dezent unter der Heckschürze verstecken. "Wir haben im Augenblick nur zwei Klappen offen", so Nömer. "Aber wenn wir bei der Dekra zum Test waren, machen wir wieder alle vier auf, dann wird der Sound noch besser." Doch bereits aus den zwei Rohren pumpt der Flitzer aus der Bierstadt ordentlich. Man darf ihn nur nicht untertourig fahren, dann dröhnt es im Innenraum ziemlich unangenehm.
Apropos: Das Interieur ist echt Geschmackssache. Da die Armatur ebenfalls von der Corvette stammt, ist in der Basis ohnehin nichts Edles zu erwarten. Aber so richtig will der Funke auch nach den Umbauten beim V77 nicht überspringen. Klar, die Instrumententafel strahlt mit VSpeed-Aufschrift, die Luftauslässe in der Mittelkonsole sind jetzt rund, der Mitteltunnel wurde mit Echtkarbon überschraubt und die Mittelarmlehne ist verschwunden. Auch an das beflockte Armaturenbrett kann man sich gewöhnen. Im Rennsport ist das Usus, aber hier wirkt es ein wenig deplatziert und die Echtkarbonteile im wahrsten Sinne des Wortes aufgesetzt. Natürlich ist das Geschmackssache, aber die Idee eines edlen GT beißt sich hier etwas mit der Realität. Doch für Schubert gilt: Weniger ist mehr. "Da ist noch Luft nach oben. Beim V88 werden wir auch auf die Klimaanlage, Navi und die Soundanlage verzichten, um Gewicht zu sparen."
Den fährt sonst keiner
Da darf sich freuen, wer einen V77 fährt, denn neben diesem Luxus gibt es hier auch ein abnehmbares Targadach, Bilstein Sportfahrwerk und ATS-Schmiederäder, die vorn mit 255er und am Heck mit 305er Gummis von Pirelli bespannt sind. Natürlich ginge es auch breiter. "Verbrennen kann man auch die, da braucht es keine noch fetteren Walzen", sagt Schubert und grinst dabei. Außerdem sorgt das natürlich auch für einen gewissen Komfort. Tatsächlich schlagen Bodenwellen nicht so arg durch, wie man es sonst aus der Liga dieser Sportwagen kennt und der Grip auf dem Asphalt reicht allemal. Schließlich habe man seine Erfahrungen auf dem Sachsenring gesammelt, versichern die beiden.
Eins steht jedenfalls fest: Wer einen V77 fährt, läuft kaum Gefahr, dem gleichen Auto noch einmal zu begegnen. Selbst dann nicht, wenn er die 500 Liter Stauraum bis zum Anschlag befüllt hat und zwei Wochen unterwegs ist. Bleibt abzuwarten ob die nächsten zwei bis drei Bestellungen bei VSpeed eingehen, um das Überleben der Firma zu sichern. Zu wünschen wäre es Nömer und Schubert. Schon deshalb, um eines Tages den V88 in Augenschein nehmen zu können.
Quelle: ntv.de